Zentralbank-Umfrage: Russlands Rezession endet 2023

Trotz immer neuer Sanktionen erwarten immer weniger Beobachter eine Verschärfung der Rezession in Russland in diesem Jahr. Die aktuellen Wachstumsprognosen im Überblick.

Bei der Mitte April von der russischen Zentralbank durchgeführten Befragung von 31 Banken, Forschungsinstituten und Finanzmedien rechneten die Teilnehmer im Mittelwert damit, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion Russlands 2023 kaum weiter sinkt (- 0,1 Prozent gegenüber 2022). Diese Erwartung entspricht fast genau der Anfang April von der Weltbank veröffentlichten Prognose, dass es 2023 nur einen BIP-Rückgang um 0,2 Prozent geben dürfte. 2024 wird sich Russlands gesamtwirtschaftliche Produktion laut der Zentralbank-Umfrage um 1,5 Prozent erholen. Auch diese Einschätzung deckt sich weitgehend mit der Sicht der Weltbank (+ 1,2 Prozent).

Russische Regierung erwartet eine rasche Erholung von der Rezession

So optimistisch wie die russische Regierung sehen die Analysten in der Zentralbank-Umfrage Russlands Konjunktur allerdings nicht. Die Regierung erwartet, dass sich das Bruttoinlandsprodukt schon 2023 um 1,2 Prozent erholt und 2024 beschleunigt um 2,0 Prozent wächst. Das teilte Wirtschaftsminister Reschetnikow Mitte April bei der Vorlage der Entwürfe des Wirtschaftsministeriums für die Planung der sozioökonomischen Entwicklung bis zum Jahr 2026 mit.

Olga Belenkaja, Chef-Volkswirtin des Finanzportals Finam.ru, hat in einer Analyse wichtige Prognosen des Wirtschaftsministeriums in folgender Tabelle zusammengestellt:

Forecasts of the Ministry of Economic Development

Source: Forecasts of the Ministry of Economic Development

Olga Belenkaja; Finam.ru: Ministry of Economy forecasts – there are several questions; 17.04.23

An Russlands Wachstum schon im Jahr 2023 glauben bisher aber nur wenige

Die Finam-Chefvolkswirtin setzt an einige Prognosen der Regierung deutliche Fragezeichen. Wie viele andere Beobachter, auch in Russland, erwartet sie derzeit im Jahresdurchschnitt 2023 noch keine Erholung der Produktion. Sie rechnet damit, dass sich die Rezession fortsetzt und die russische Wirtschaft in diesem Jahr um weitere 1,5 Prozent schrumpfen wird (siehe auch Anfang April veröffentlichte ausführliche Finam.ru-Analyse).

Zu den Prognosen des Wirtschaftsministeriums gibt Belenkaja folgenden Überblick.

Die Erholung des Verbrauchs soll 2023 das Wirtschaftswachstum tragen

Russlands BIP-Wachstum wird 2023 laut der Prognose des Wirtschaftsministeriums 1,2 Prozent erreichen (nach einem Rückgang um 2,1 Prozent im Jahr 2022). Seine bisherige Wachstumsprognose für 2024 verringert das Ministerium zwar von 2,6 auf 2,0 Prozent. In den beiden folgenden Jahren soll sich das Wachstum jedoch beschleunigen:  2025 auf 2,6 Prozent und 2026 auf 2,8 Prozent.

Das Wirtschaftswachstum soll hauptsächlich auf dem Anstieg der Binnennachfrage basieren. Die Prognose setzt voraus, dass die Einkommen der Bevölkerung steigen. Das Ministerium erwartet, dass die Reallöhne 2023 um 5,4 Prozent steigen und die verfügbaren Realeinkommen der Bevölkerung um 3,4 Prozent. Dabei soll gleichzeitig die Sparquote von 8,4 Prozent im Jahr 2022 auf 7,0 Prozent im Jahr 2023 sinken.

Laut dem Wirtschaftsminister wird das Wachstum von Einkommen und Verbrauch durch die niedrige Arbeitslosigkeit und den Wettbewerb um knappe Arbeitskräfte gestützt werden. Hinzukommen sollen höhere staatliche Sozialleistungen (Unterstützung für Familien mit Kindern, Indexierung des Mindestlohns, Erhöhung von Renten).

Die Investitionen wachsen 2023 vorübergehend schwächer

Das deutliche Wachstum der Investitionen in Sachanlagen um 4,6 Prozent im Rezessionsjahr 2022 war größtenteils auf höhere öffentliche Ausgaben für große Infrastrukturprojekte zurückzuführen (laut dem Wirtschaftsminister stiegen sie um 26 Prozent).

Im Jahr 2023 erwartet das Wirtschaftsministerium eine Verlangsamung des Wachstums der Anlageinvestitionen auf 0,5 Prozent. Es soll durch eine Zunahme der Investitionstätigkeit der Privatwirtschaft getragen werden (unterstützt durch Maßnahmen der Regierung zur Abdeckung von Risiken für Unternehmen sowie die Umsetzung von großen Projekten, vor allem im Verkehrs- und Logistikbereich). In den Jahren 2024 bis 2026 erwartet das Wirtschaftsministerium eine Beschleunigung des Wachstums der Investitionen in Sachanlagen auf 3,2 Prozent (2024) bis 4,5 Prozent (2026).

Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass sich im Jahr 2023 auch die Industrieproduktion bereits etwas erholt (+ 0,2 Prozent). Es erwartet zudem ein anhaltend starkes Wachstum im Baugewerbe. In der Landwirtschaft rechnet es nach der Rekordernte im letzten Jahr hingegen mit einem Rückgang der Produktion (- 3,4 Prozent).

Die Arbeitslosenquote bleibt bis 2026 anhaltend niedrig

Laut der Prognose wird die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 2023 von 3,9 Prozent auf 3,5 Prozent sinken. Auf diesem neuen historischen Tiefstand dürfte sie sich im gesamten Prognosezeitraum bis 2026 halten. Die bisherige Prognose des Wirtschaftsministeriums ging von einem Anstieg auf der Arbeitslosenquote auf 4,4 Prozent im Jahr 2023 aus, gefolgt von einem Rückgang auf 4,1 Prozent im Jahr 2025.

Die außenwirtschaftliche Entwicklung dämpft 2023 das Wachstum

Die Öl- und Gasexporte werden laut dem Wirtschaftsministerium 2023 um real 6,7 Prozent zurückgehen. Dank einer Erholung der übrigen Exporte werden die gesamten realen Warenexporte zwar um 0,8 Prozent steigen, nachdem sie im Jahr 2022 um 14 Prozent zurückgegangen sind. Die gesamten realen Importe werden in diesem Jahr aber deutlich stärker als die Exporte um 7,4 Prozent wachsen (nachdem sie 2022 um 16,9 Prozent gesunken sind).

Die Entwicklung der Nettoexporte wird 2023 damit das Wirtschaftswachstum dämpfen.

Der sinkende Leistungsbilanzüberschuss trägt zur Abwertung bei

Russlands Leistungsbilanzüberschuss, der 2022 wegen der stark gestiegenen Energie- und Rohstoffpreise auf 10,2 Prozent des BIP gewachsen ist, wird sich 2023 laut der Prognose des Wirtschaftsministeriums mehr als halbieren und nur noch 4,2 Prozent des BIP erreichen. Bis 2026 soll er sich weiter auf 2,6 Prozent des BIP verringern.

Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass der Preis des US-Dollars in Rubel trotz des sinkenden Leistungsbilanzüberschusses bis Ende 2026 unter 80 Rubel liegen wird. Der Finam-Chefvolkswirtin erscheint diese Prognose „zu konservativ“. Sie rechnet angesichts des sinkenden Leistungsbilanzüberschusses mit einer stärkeren Abwertung des Rubels.

Weitere Zweifel an den Regierungsprognosen

Belenkaja bezweifelt vor allem, dass der Anstieg der Verbraucherpreise auf 5,3 Prozent im Dezember 2023 beschränkt werden kann, die Reallöhne im Jahr 2023 um 5,4 Prozent steigen und der private Verbrauch entsprechend stark wächst. Sie hält es für unwahrscheinlich, dass viele Unternehmen angesichts des Rückgangs von Produktion und Gewinnen im letzten Jahr so hohe Reallohnsteigerungen finanzieren können. Auch der angenommene Anstieg der Ausfuhren (ohne Öl und Gas) scheint ihr „etwas überschätzt“.

Zu den Prognosen des Wirtschaftsministeriums für die Entwicklung der Anlageinvestitionen meint sie:

Die Prognose eines bescheidenen Wachstums der Anlageinvestitionen (+ 0,5 Prozent) in diesem Jahr liegt nahe an unseren Erwartungen, während die Begründung für die Prognose eines schnellen Wachstums der Investitionen in den Jahren 2024-26 (mit einem Anstieg von 3,2 Prozent auf 4,5 Prozent) fehlt.“

Angesichts der zunehmenden Sanktionierung von Einfuhren von Investitionsgütern nach Russland und der abnehmenden Verfügbarkeit von importierten fortgeschrittenen Technologien in Russland hält Belenkaja das angestrebte Wachstum der Investitionen für nur schwer erreichbar. Sie verweist darauf, dass laut IWF und Weltbank neben der Einschränkung ausländischer Investitionen auch der Wegzug internationaler Unternehmen und der Abfluss von Humankapital das langfristige Wachstum der russischen Wirtschaft vermindern.

Analysten zeigen weniger „Wachstumsoptimismus“ als die Regierung

Die am 20. April veröffentlichte Zentralbank-Umfrage bei 26 russischen und 5 ausländischen Banken, Forschungsinstituten und Medien lässt zwar im Mittelwert inzwischen erwarten, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt 2023 nur 0,1 Prozent niedriger sein dürfte als im Vorjahr. Anfang März hatten die Umfrage-Teilnehmer noch damit gerechnet, dass Russlands Wirtschaft nach dem Rückgang um 2,1 Prozent im Jahr 2022 im Jahr 2023 um weitere 1,1 Prozent schrumpft.

Hinter den Wachstumsprognosen des Wirtschaftsministeriums für 2023 (+ 1,2 Prozent) und 2024 (+ 2,0 Prozent) blieben die BIP-Erwartungen bei der Zentralbank-Umfrage im Mittelwert jedoch merklich zurück.

BIP-Prognosen 2022 bis 2024

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Zentralbank-Umfrage: Erst ab 2024 wächst Russlands Wirtschaft wieder

Die folgende Abbildung der Zentralbank zeigt den Aufwärtstrend der BIP-Prognosen. Bei der Mitte April durchgeführten Umfrage erhöhte sich der Median der Prognosen der Analysten zur Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2023 gegenüber der Anfang März durchgeführten Umfrage um einen Prozentpunkt von minus 1,1 Prozent auf minus 0,1 Prozent. Für die Jahre 2024 und 2025 erwarten die Analysten wie bereits in der März-Umfrage ein reales Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von jeweils 1,5  Prozent.

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent
2023 bis 2025: Ergebnisse der Zentralbank-Umfragen vom Februar, März und April
sowie höchste und niedrigste Prognosen in den Umfragen

Russische Zentralbank: Macroeconomic survey of the CBR; 20.04.2023

Die Spannweite der Prognosen für die Veränderung des realen BIP im Jahr 2023 reicht von – 2,5 Prozent bis + 1,0 Prozent (grau schraffierte Fläche zwischen den grünen Linien).

Steigende Löhne bei sinkender Inflation geben Wachstumsimpulse

Die folgende tabellarische Übersicht der Zentralbank zeigt, dass die Analysten im Vergleich mit der März-Umfrage jetzt u.a. mit stärker steigenden Nominallöhnen bei einer niedrigeren Arbeitslosenquote rechnen.

Die Inflationserwartungen der Analysten sind etwas gesunken. Erwartet wird jetzt für Dezember 2023 eine jährliche Inflationsrate von 5,9 Prozent (März-Umfrage: 6,0 Prozent).

Die Erwartungen für die Höhe des durchschnittlichen jährlichen Leitzinses für 2023 hielten sich bei 7,5 Prozent.

Die Prognose für die Arbeitslosenquote am Jahresende 2023 ist deutlich auf 3,7 Prozent gesunken. In der März-Umfrage war noch mit 4,1 Prozent gerechnet worden. Die Erwartungen für den Anstieg der Nominallöhne haben sich gleichzeitig erhöht. Die Analysten erwarten 2023 jetzt 8,9 Prozent höhere Nominallöhne. Bisher wurde nur ein Anstieg um 7,6 Prozent prognostiziert. Auch für die nächsten zwei Jahre sind die Schätzungen für die Lohnsteigerungen gestiegen: 2024 von 6,5 auf 7,1 Prozent, 2025 von 5,9 auf 6,1 Prozent.

Die Entwicklung des konsolidierten Haushaltsdefizits des Gesamtstaates wird jetzt günstiger als bisher eingeschätzt. Das Defizit dürfte sich 2023 nicht auf 3 Prozent des BIP, sondern nur auf 2,6 Prozent des BIP erhöhen. Danach wird ein Rückgang bis auf 1 Prozent des BIP im Jahr 2025 erwartet.

Ergebnisse der Konjunktur-Umfrage der Zentralbank bei Banken und Instituten

Russische Zentralbank: Macroeconomic survey of the CBR; 20.04.2023

Vom Einbruch der Ausfuhr im Jahr 2023 erholt sich Russland nur langsam

Die Erlöse beim Export von Waren und Dienstleistungen werden laut der Umfrage im Jahr 2023 voraussichtlich um rund 21 Prozent auf 505 Milliarden US-Dollar sinken und sich bis 2025 lediglich um rund 4 Prozent auf 525 Milliarden Dollar erholen.
Gleichzeitig erhöhen sich die Ausgaben für Einfuhren voraussichtlich um rund 8 Prozent von 370 Milliarden Dollar im Jahr 2023 auf 400 Milliarden Dollar.

Dabei wird ein ziemlich stabiler Ölpreis in US-Dollar angenommen. Der durchschnittliche Urals-Ölpreis im Jahr 2023 wird von den Analysten auf 60 USD pro Barrel geschätzt. Im nächsten Jahr soll er auf 64 USD pro Barrel steigen, im Jahr 2025 auf 62 USD sinken.

Der Rubel wertet bis 2025 langsam ab

Die Prognose für den durchschnittlichen Rubel-Wechselkurs im Jahr 2023 wurde Im Vergleich mit der März-Schätzung von 73,6 Rubel auf 76 Rubel je US-Dollar angehoben. 2024 wird eine weitere Abwertung des Rubels auf 77 Rubel je US-Dollar und 2025 auf 79 Rubel je US-Dollar erwartet.

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Titelbild
Pixabay.com