Russland holt Corona-Einbruch auf

IWF hebt Wachstumsprognose 2021 auf 4,4 Prozent an

Russlands Wirtschaftsminister Maksim Reschetnikow ist optimistisch: im Juni 2021 war Russlands reales Bruttoinlandsprodukt nach ersten Schätzungen des Wirtschaftsministeriums 0,1 Prozent höher als vor der Corona-Krise im vierten Quartal 2019. Das teilte Reschetnikow bei der internationalen Wirtschaftskonferenz „Russland und die islamische Welt“ am 28. Juli in Kazan mit. Laut einer Pressemitteilung des Wirtschaftsministeriums, bezeichnet der Minister das Erholungstempo der Wirtschaft als „gut“ und die aktuelle Wirtschaftslage als „ziemlich ermutigend“.

Anfang Juli hatte das Ministerium mitgeteilt, dass es in seinen Prognosen für die Haushaltsberatungen jetzt von einem Wachstum der russischen Wirtschaft um 3,8 Prozent im Jahr 2021 ausgehe. Zuvor hatte es nur mit 2,9 Prozent gerechnet. Noch weiter angehoben hat seine Wachstumsprognose für Russland in der letzten Woche der Internationale Währungsfonds. Schon Ende April hatte er Russland ein Wachstum von 3,8 Prozent für 2021 prognostiziert. Jetzt geht er davon aus, dass das BIP um 4,4 Prozent steigt.

Wie stark haben sich welche Wirtschaftsbereiche erholt?

Vergleicht man die im Juni erreichten Produktionsergebnisse mit dem Vorjahresstand  ergeben sich für viele Bereiche der russischen Wirtschaft sehr hohe Wachstumsraten, weil ihre Produktion im „Lockdown“ im Frühjahr 2020 stark eingeschränkt werden musste. In seinem Konjunkturbericht für Mai/Juni schätzt das Wirtschaftsministerium, dass die gesamtwirtschaftliche Produktion im Juni 8,5 Prozent höher war als im Juni 2020. Im gesamten zweiten Quartal 2021 sei das Produktionsniveau des zweiten Quartals 2020 um 10,1 Prozent übertroffen worden.

Aber auch im Vergleich zum Jahr 2019 ist die Produktion gestiegen. Auch dazu bietet der Bericht erste Berechnungen. Im zweiten Quartal war das reale Bruttoinlandsprodukt demzufolge 1,5 Prozent höher als vor der Corona-Krise im zweiten Quartal 2019. Besonders starke Wachstumsimpulse kamen Im Vergleich mit dem zweiten Quartal 2019 vom Verarbeitenden Gewerbe (+ 5,6 Prozent) und von der Bauproduktion (+ 6,4 Prozent).

Die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ war wegen der mit der OPEC+ vereinbarten Produktionsbeschränkungen im zweiten Quartal 2021 hingegen noch 1,9 Prozent niedriger als zwei Jahre zuvor. Die gesamte Industrieproduktion war deswegen nur 2,7 Prozent höher als im zweiten Quartal 2019. Etwas stärker nahm gleichzeitig die Produktion der Landwirtschaft zu (+ 3,1 Prozent). Kräftig gestiegen ist im Zwei-Jahres-Vergleich im zweiten Quartal der reale Einzelhandelsumsatz (+ 4,9 Prozent). Demgegenüber waren die Dienstleistungen für die privaten Haushalte noch 1,2 Prozent niedriger als im zweiten Quartal 2019.

Wie sich der Arbeitsmarkt und die Löhne erholten

Natalia Orlova, Chef-Volkswirtin der Alfa-Bank, macht in ihrem Kommentar zu den neuen Konjunkturdaten darauf aufmerksam, dass sich die Erholung der Wirtschaft auch auf dem Arbeitsmarkt fortsetzte. Die Arbeitslosenquote fiel im Juni auf 4,8 Prozent (vierte Zeile, vorletzte Spalte in der folgenden Tabelle). Im März hatte sie noch 5,4 Prozent betragen. Die Reallöhne waren in den ersten fünf Monaten 2021 3,0 Prozent höher als von Januar bis Mai 2020 (zweite Zeile, dritte Spalte).

Wirtschaftsentwicklung 2020 und 2021 mit Prognose für Juli 2021

Zeilen von oben nach unten: Realer Einzelhandelsumsatz; Reallöhne; Nominallöhne; Arbeitslosenquote in %; Konsumentenkredite; Bauproduktion; Industrieproduktion

Quelle: Natalia Orlova; Alfa Bank: Real wage growth supports inflationary risks; finam.ru; 29.07.2021

VEB-Institut: Der Lockdown-Einbruch des BIP ist klar wettgemacht

Das Forschungsinstitut der Vnesheconombank (VEB) veröffentlichte am Freitag in seinem Wochenbericht eigene Berechnungen zur saisonbereinigten Entwicklung der Produktion. Die folgende Abbildung zeigt, wie schnell sich die russische Wirtschaft vom Lockdown im zweiten Quartal 2020 erholte.

Geschätztes Bruttoinlandsprodukt, viertes Quartal 2018 = 100; saisonbereinigt

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“; 30.07.2021

Bereits im ersten Quartal 2021 war das reale Bruttoinlandsprodukt laut den Berechnungen des VEB-Instituts kaum noch niedriger als ein Jahr zuvor im ersten Quartal 2020. Im zweiten Quartal 2021 stieg das BIP weiter und war rund 2 Prozent höher als im ersten Quartal 2020. Auch der bisherige Höchstwert vom vierten Quartal 2019 wurde merklich übertroffen.

In vielen Industriebereichen sank die Produktion aber zuletzt

Das VEB-Institut veröffentlichte auch eine Abbildung zur monatlichen Produktionsentwicklung wichtiger Industriebereiche seit 2014. Sie zeigt, dass der Maschinenbau (obere dunkelgrüne Linie) den Rückgang der Produktion im Frühjahr 2020 sehr schnell wettgemacht hat. Allerdings ging seine Produktion in den letzten drei Monaten von Monat zu Monat zurück.

Im Vergleich zum Vormonat gestiegen ist die Produktion in den dargestellten Industriebranchen im Juni nur in der Chemischen Industrie (hellgraue Linie). Gesunken ist die Produktion im Juni gegenüber Mai in den Industrie-Bereichen „Metallurgie“ (Gewinnung und Verarbeitung von Metallen; schwarze Linie), „Nahrungsmittel“ (olivgrüne Linie) und „Kohle- und Mineralölprodukte“ (rote Linie).

Produktion ausgewählter Industriezweige (2014 = 100)

Maschinenbau; Kohle- und Mineralölprodukte; Metallurgie; Chemie; Nahrungsmittel

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“; 30.07.2021

Die real verfügbaren Einkommen haben noch Aufholbedarf

Die real verfügbaren Einkommen waren nach Angaben des Statistikamtes Rosstat im ersten Halbjahr 2021 zwar 1,7 Prozent höher als im Vorjahr. Nach Berechnungen des VEB-Instituts haben sie ihren Einbruch im letztjährigen „Lockdown“ bisher aber noch nicht völlig aufgeholt. Sie waren im zweiten Quartal 2021 zwar 6,8 Prozent höher als vor einem Jahr. Das im ersten Quartal 2020 sowie im dritten und im vierten Quartal 2019 erreichte Einkommensniveau wurde im zweiten Quartal 2021 aber noch um rund zwei Prozent unterschritten wie folgende Abbildung zeigt.

Real verfügbare Einkommen,

4. Quartal 2018 = 100; saisonbereinigt

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review“; 30.07.2021

Der IWF erwartet jetzt für 2021 4,4 Prozent Wachstum

Von der raschen Produktionserholung der russischen Wirtschaft zeigte sich auch der Internationale Währungsfonds überrascht. Beim „update“ seines „World Economic Outlook“ hob er Ende Juli seine Prognose für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft von 3,8 Prozent auf 4,4 Prozent an. Gleichzeitig senkte er aber seine Prognose für 2022 von 3,8 Prozent auf 3,1 Prozent.

In der Reuters-Umfrage bei Analysten stieg der Mittelwert für das diesjährige Wachstum Ende Juli auf 3,9 Prozent (Juni-Umfrage: + 3,8 Prozent). Auch für 2022 erwarten die Analysten im Mittel jetzt etwas mehr Wachstum (+ 2,4 Prozent) als Ende Juni (+ 2,3 Prozent).

Wachstumsprognosen 2021 bis 2023

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

  202120222023
Reuters-Umfrage30.07.213,92,4 
Sberbank29.07.214,2  
Internationaler Währungsfonds27.07.214,43,1 
Russische Zentralbank23.07.214,0 bis 4,5 Urals 65 $/b2,0 bis 3,0 Urals 60 $/b2,0 bis 3,0 Urals 55 $/b
Economist Intelligence Unit, London20.07.213,42,41,9
Standard & Poor’s Rating17.07.213,72,5 
Commerzbank, Frankfurt16.07.213,72,5 
Helaba, Frankfurt16.07.213,02,0 
ING Bank, Amsterdam16.07.213,82,23,0
Zentralbank-Umfrage15.07.213,52,42,2
OPEC, Wien15.07.213,02,3 
Vnesheconombank Institut12.07.214,32,22,8
DekaBank, Frankfurt09.07.213,82,2 
Fitch Ratings09.07.213,72,72,0
Wirtschaftsministerium08.07.213,8 Urals 65,9 $/b3,2 Urals 64,8 $/b3,0 Urals 60,8 $/b
wiiw, Wien07.07.213,53,02,6
Eurasische Entwicklungsbank, EDB07.07.214,12,22,4
FocusEconomics Consensus06.07.213,42,62,3
JP Morgan02.07.214,52,6 
Alfa Bank, Moskau01.07.213,3  
Interfax-Umfrage30.06.213,72,0 
Unicredit, Mailand30.06.213,42,6 
EBRD, London28.06.213,33,0 
Russische Zentralbank23.04.213,0 bis 4,0 Urals 60 $/b2,5 bis 3,5 Urals 55 $/b2,0 bis 3,0 Urals 50 $/b
Internationaler Währungsfonds06.04.213,83,8 

Auch die Sberbank hob ihre Wachstumsprognose weiter an

Die Sberbank erhöhte in ihrer Präsentation zur Geschäftsentwicklung im zweiten Quartal Ende Juli ihre Prognose für Russlands diesjähriges Wirtschaftswachstum von 3,8 Prozent auf 4,2 Prozent (Seite 25).

Während die Sberbank Ende April noch erwartet hatte, dass der Anstieg der Verbraucherpreise bis zum Dezember 2021 auf 4,8 Prozent sinkt, rechnet sie jetzt am Jahresende noch mit einer Inflationsrate von 5,8 Prozent. Den Leitzins der Zentralbank, der kürzlich auf 6,5 Prozent erhöht wurde, sieht sie bis zum Jahresende weiter auf 7,0 Prozent steigen.

Gesamtwirtschaftliche Prognosen der Sberbank

Sberbank: IFRS Earnings presentation 2Q2021; 29.07.2021

  Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

Titelbild
Maksim Reschetnikow. Quelle: Maksim Konstantinov I Shutterstock.com