Ukraine-Konflikt: Alle Schotten dicht

Handels- und Versorgungsblockaden im Ukraine-Konflikt

Im Ukraine-Konflikt setzen die Akteure zunehmend auf Handels- und Versorgungsblockaden, um den jeweiligen Gegner zu schwächen. Zu Lasten geht dies vor allem der Bevölkerung in der Ukraine sowie der selbsternannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk.

Bereits im vergangenen Februar hat die ukrainische Regierung den Notstand im Energiesektor ausgerufen, nachdem die wichtigen Kohlelieferungen aus Separatistengebieten in der Ostukraine unterbrochen wurden. In der Region befindet sich das größte Vorkommen an Anthrazitkohle. Der Energieträger nimmt einen hohen Stellenwert in der Versorgung des Landes ein.

Verantwortlich für die Blockaden waren ukrainische Nationalisten, die mit der Aktion gegen den Handel zwischen der Regierung und den Separatistenrepubliken protestierten. In Kiew betonte man jedoch die eigene Abhängigkeit von den Kohlegebieten und verurteilte das Vorgehen der Aktivisten. So erklärte Präsident Petro Poroschenko, dass eine Unterbrechung der Lieferungen die gesamte Ukraine destabilisiere.

Auch Premierminister Vladimir Groisman rief zu geschlossenem Auftreten gegen die Blockade auf. Sie diene in keiner Weise der Bevölkerung, sondern sorge im Gegenteil nur dafür, dass es zum Verlust von Arbeitsplätzen und Engpässen in der Strom- und Wärmeversorgung komme. Die letztliche Auflösung der Blockade durch Polizeikräfte löste umfangreiche Demonstrationen aus, an denen sich auch die politische Rechte des Landes beteiligte.

Neue Blockade durch Separatisten

Seit März haben die prorussischen Separatisten die Kohlelieferungen aus ihren Gebieten selbst gestoppt. Einher mit der erneuten Sperrung gingen auch Enteignungen ukrainischer Unternehmen innerhalb der beiden selbsternannten Republiken. Auf diese harte Gangart folgte dann die Antwort aus Kiew: Das Land stellte den Warenaustausch mit den Separatisten komplett ein.

Für Poroschenko fungieren die Unternehmen im umkämpften Osten als eine wichtige Verbindung zur Ukraine. Auch von ihnen hänge die erhoffte Wiederaufnahme der verlorenen Gebiete mit ab. Aleksander Sachartschenko, der Gouverneur von Donezk, zeigte sich von der Reaktion jedoch unbeeindruckt und betonte die Souveränität der Republik: „Lasst sie tun, was sie wollen, die Ukraine ist nicht Teil unserer Pläne.“

Er selbst ließ rund 50 Unternehmen, hauptsächlich Kohle- und Stahlwerke, für sich beschlagnahmen. In deren Führung will man sich jetzt in Richtung russischer Abnehmer orientieren. Der Schritt der ukrainischen Regierung zur Einstellung des Handels wurde von Seiten Russlands kritisiert. Man sehe in ihm eine Verletzung des zweiten Minsker Abkommens. Doch auch aus Deutschland und Frankreich ertönten Mahnungen an Kiew, nicht weiter eskalierend auf den Konflikt einzuwirken.

“Ukrenegro” zieht den Stecker

Vor wenigen Tagen verschlimmerten sich die Verhältnisse jedoch erneut. Der ukrainische Energiekonzern „Ukrenergo“ hat die Stromversorgung der separatistischen Volksrepublik Luhansk und deren 1,2 Millionen Bewohnern abgestellt. Als Grund wurden unbeglichene Schulden für die Energielieferungen in Höhe von 5,2 Milliarden Dollar genannt. Laut Igor Nasalik, dem ukrainischen Minister für Energie und Kohleindustrie, werde der Strom wieder angestellt, sobald man das fehlende Geld erhalte.

Es drohe aber auch eine Einstellung der Wasserversorgung, da es keine Versorgungswege nach Luhansk gebe, die nicht durch die Separatistengebiete oder russisches Territorium führten. Der Kreml äußerte erneutes Unverständnis für die Entscheidung: „Dieser Schritt widerspricht dem Geist der Minsker Vereinbarungen“, ließ ein Sprecher verlauten. Der russische Außenminister Lawrow adressierte Petro Poroschenko sogar persönlich und warf ihm vor, keine Möglichkeit auszulassen, um der Bevölkerung in den östlichen Gebieten zu schaden.

Sachartschenko zeigte sich betroffener als noch zuvor: „Sie haben noch einmal bewiesen, dass sie nicht unsere Verwandten sind.“ Der russische Vertreter der trilateralen Kontaktgruppe, Boris Gryzlov, stellte eine Wiederherstellung der Stromversorgung und humanitäre Hilfe von Seiten Russlands in Aussicht. Es gibt mögliche Hinweise darauf, dass Russland die Republiken von Donezk und Luhansk auf lange Sicht wirtschaftlich eingliedern will, ohne sie zu annektieren oder für unabhängig zu erklären.

Trilaterale Kontaktgruppe bemüht

Das Kappen der Stromleitungen hat insgesamt für zusätzlichen Gesprächsstoff in der trilateralen Kontaktgruppe der OSZE gesorgt. In ihr wird an diplomatischen Lösungen für den Krieg in der Ukraine gearbeitet. Ein Treffen am vergangenen Mittwoch sollte unter anderem dazu beitragen, die Versorgung der betroffenen Menschen im Separatistengebiet zu sichern.

Martin Sajdik, Vertreter des OSZE-Vorsitzes der trilateralen Kontaktgruppe, vermeldete nach ihrem Ende einen Fortschritt, was die Wasserversorgung der östlichen Regionen anbelange. So hätten die Parteien ihre Bereitschaft demonstriert, eigene Schulden zu begleichen, um zur vollständigen Versorgung zurückzukehren.

Kein Ende in Sicht

Bei den Gesprächen in Minsk nahm insbesondere die Sicherheitslage der Ukraine großen Raum ein. Vor knapp einer Woche war ein OSZE-Beobachter bei einer Minenexplosion in der Luhansker Republik getötet worden. Er war mit seinem Fahrzeug auf einer Straße gefahren, die eigentlich hätte geräumt sein müssen. Beide Seiten weisen die Verantwortung für den Toten von sich – und der jeweils anderen Partei zu.

In der Gesamtlage des Konfliktes zeigt sich keine Besserung. Der in Minsk vereinbarte Waffenstillstand existiert de facto nicht. Täglich fallen Schüsse an den 2015 festgelegten Demarkationslinien. Seit der Vereinbarung haben UN-Schätzungen zufolge bereits über 10.000 Menschen bei den Kämpfen in der Ostukraine ihr Leben verloren.

Titelbild
Quelle: Eirien, IMG_20151104_154724-2, Size changed to 1040x585px., CC BY 2.0 [/su_spoiler]