Republik Tatarstan verliert Sonderstatus unter Putin
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion genießt Tatarstan den Status einer autonomen Republik. Doch am Montag ist eine entsprechende Vereinbarung mit Moskau ausgelaufen.
Es sieht nicht danach aus, als wolle Wladimir Putin den Sonderstatus der Republik Tatarstan verlängern. Nach einem Bericht der Moscow Times hat Tatarstan am 24. Juli 2017 als letzte russische Republik ihre Autonomie verloren. Damit erhält der Kreml mehr Macht über die Region, in der nach Angaben von 2014 rund 3,8 Millionen Menschen leben. Die Hauptstadt Kasan hat sich zu einem bedeutenden Kultur-, Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort entwickelt.
Im Jahre 1992 hatten alle russischen Regionen mit Ausnahme von Tatarstan und Tschetschenien mit der Landesregierung eine Vereinbarung unterzeichnet, die zur Verfestigung der föderalen Struktur Russlands führte. Damals drängten die Funktionäre Tatarstans darauf, einen separaten Vertrag zu unterzeichnen, um die Souveränität der Republik zu erhalten. Zwei Jahre später gewährte Moskau der ethnisch vielfältigen Region an der Wolga zahlreiche Sonderrechte.
Russland gewährte Autonomie für Tatarstan
Tatarstan durfte nicht nur eigene Gesetze und Steuerregeln beschließen, sondern eigenmächtig über Rohstoffe und Haushalt verfügen. Diese Privilegien wurden unter Boris Jelzin auf 45 weitere Regionen ausgeweitet. Erst ab dem Jahre 2000, nach Machtübernahme von Wladimir Putin, wurden diese Sonderregeln Schritt für Schritt abgebaut. Der politische Analyst Michail Winogradow bezeichnete die neue Ära unter Putin als „autoritäres Modell des Föderalismus“.
Der Politikwissenschaftler Abbas Galljamow stimmt dieser Einschätzung zu. „Es ist klar, warum Putin in 2000 damit begonnen hat. Er war wie die britische Königin. Er wollte die Macht in Moskau anhäufen.“ 2009 besaßen nur noch Tatarstan und Tschetschenien einen Sonderstatus als autonome Republik. Bereits zwei Jahre zuvor wurden Tatarstan fast alle Sonderrechte entzogen – mit der Ausnahme, dem Reisepass eine einseitige Beilage auf Tatarisch hinzuzufügen.
Tschetschenien gab Autonomie freiwillig auf
Die Republik Tschetschenien gab 2010 alle Sonderrechte freiwillig auf. In Russland könne es nur einen Präsidenten geben, erklärte das Oberhaupt Ramsan Kadyrow. Nach diesem Vorgang, der später zu informellen Vorteilen für Tschetschenien führte, blieb nur noch Tatarstan als autonome Republik übrig. Nach Ablauf der Vereinbarung am Montag stellt sich nun die Frage nach der Zukunft der Republik, die zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen in Russland zählt.
Nach einem Ranking der Agentur für Strategische Initiativen (ASI), das im Zuge des SPIEF 2017 veröffentlicht wurde, hat Tatarstan das beste Investitionsklima in Russland. Laut einem Ranking von RIA Rating war Tatarstan im Jahre 2015 mit einem BIP von 434.509 Rubel pro Kopf (ca. 6.265 Euro) auf Rang 16 der wohlhabendsten Regionen. Die Republik verfügt über eine gut entwickelte Ölindustrie – und die Hauptstadt Kasan ist Gastgeber der Fußball-Weltmeisterschaft 2018.
Politischen Spannungen zwischen Moskau und Kasan
Obwohl der Sonderstatus in den letzten Jahren nahezu symbolisch war, wurde er von lokalen Behörden leidenschaftlich verteidigt. Sollte die Vereinbarung nicht verlängert werden, könnten die Einwohner Tatarstans dies als „Schlag ins Gesicht“ werten, vermutet Galljamow. Letztlich könnten die politischen Beziehungen zum Kreml leiden. Die lokalen Behörden hatten sich nach dem Anschluss der Krim an Russland als Vermittler zur tatarischen Diaspora verdient gemacht.
Laut Winogradow werde die Nicht-Verlängerung zu einem „Vertrauensverlust“ in Tatarstan führen. Er sehe ein gesteigertes Protestpotenzial in Anbetracht der Präsidentschaftswahlen 2018. Tatarstans Präsident Rustam Minnichanow wiederum könnte für mangelnde Durchsetzungskraft kritisiert werden. Es werde „keinen Kampf“ geben – dafür sei Minnichanow „zu schwach“, so Galljamow. Auch die tatarische Bankkrise im Winter 2016 schwäche dessen Position.