Nord Stream 2: Hoffnungen und Ängste zum Ausbau der Ostsee-Pipeline
Die Gastrasse Nord Stream zwischen Wyborg und Greifswald soll ausgebaut, ihr Transportvolumen verdoppelt werden. Streitigkeiten wirtschaftlicher, aber auch politischer Natur kehren zurück – verschärfter als zur ersten Ostsee-Pipeline. Des Pudels Kern: ein russisch-deutsches Gas-Projekt, das den Rest Europas ausschließt? Eine Übersicht zu Für und Wider.
Von Peggy Lohse, Redakteurin der Moskauer Deutschen Zeitung (MDZ). Dieser Artikel ist zuerst in der Ausgabe 419 der MDZ erschienen.
Nord Stream wurde 2011 eröffnet und pumpt seitdem jährlich bis zu 55 Milliarden Kubikmeter sibirisches Erdgas nach Norddeutschland. Das Volumen des tatsächlich gelieferten Erdgases nimmt weiter zu, 2015 wurde die Kapazität bereits zu 71 Prozent ausgenutzt.
Das Ausbau-Projekt, der sogenannte Nord Stream 2, wurde im September vergangenen Jahres beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok beschlossen. Der Hauptaktionär ist mit 50 Prozent bekanntlich der russische Staatskonzern Gasprom. Außerdem sind mit jeweils 10 Prozent die europäischen Energieunternehmen E.on, OMV, Shell, Wintershall/BASF und Engie beteiligt (Link zum Factsheet des Projekts).
Mit dem Bau will Gasprom 2017 beginnen. Schon 2019 könne Nord Stream 2 dann den Betrieb aufnehmen. Deutschland und Russland als direkte Nutznießer des Projektes befürworten die Umsetzung. Die EU-Kommission sprach sich Mitte Februar gegen Nord Stream 2 aus. Gegenwärtig wird die Rechtslage geprüft, sagte EU-Energie-Kommissar Miguel Arias Canete am 1. März in Brüssel.
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Sicher und lukrativ
Die deutsche Regierung steht hinter dem Nord-Stream-Ausbau. SPD-Wirtschaftsminister und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel betonte, der Ausbau werde die Energieversorgungssicherheit Deutschlands gewährleisten und dabei die politisch und wirtschaftlich instabile Ukraine als möglichen Unsicherheitsfaktor umgehen: „Nord Stream 2 liegt im deutschen Interesse, da bin ich mir mit der Bundeskanzlerin einig.“ Auch Außenminister Steinmeier verteidigte das Projekt mehrfach als wirtschaftlich vielversprechend: Es sei kein Regierungsprojekt, sondern ein Projekt freier Unternehmen.
Deutschland stellt dafür auch Bedingungen: Der Gastransit über die Ukraine müsse auch nach 2019 aufrecht erhalten werden, die Energieversorgung Osteuropas gewährleistet sein und das Projekt müsse deutschem und europäischem Recht entsprechen. Zu welchem Anteil welche Gesetzgebung angewandt werden muss, prüft gegenwärtig die EU-Kommission.
Russland wiederum will vor allem eine Alternative zum Ukraine-Korridor nach Europa finden, da diese dem staatlichen Energiekonzern noch immer 30 Milliarden Dollar schuldig sein soll, sie als „unzuverlässiges Transitland“ angesehen wird und die Verträge bald auslaufen.
Gasprom, zu über 50 Prozent Staatseigentum, rechnet derweil mit einem Anstieg des Gas-Importbedarfs Nordwesteuropas in den kommenden Jahren um rund 40 Prozent, von durchschnittlich 163 auf 253 Milliarden Kubikmeter jährlich bis 2030.
Diesen wachsenden Markt will sich Gazprom schon allein aus ökonomischer Sicht natürlich erhalten. Premier Dmitrij Medwedew betonte zudem, dass sich mit Nord Stream 2 eine gegenseitige und faire Abhängigkeit zwischen den Abnehmern in Europa und den Zulieferern in Russland ergebe.
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Ausgeschlossen und abhängig
Die baltischen und osteuropäischen EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Polen und Litauen, positionierten sich von Anfang an gegen den Nord Stream sowie dessen Ausbau, weil sie dabei als mögliche Transit- und Abnehmerländer umgangen werden.
Polens Präsident Andrzej Duda forderte einen sofortigen Baustopp. Die EU-Kommission betonte, das Nord Stream-Projekt widerspreche europäischem Recht und dürfe so nicht realisiert werden. Es müsse eine Lösung gefunden werden, die für alle Mitgliedsstaaten von Vorteil sei. Italien kritisierte den Ausbauplan zu Nord Stream heftig, da im Sommer 2014 der geplante South Stream (siehe Kasten) schon wegen ähnlicher Bedenken Brüssels gestoppt worden war.
Die EU sei grundsätzlich bestrebt, so Ratspräsident Donald Tusk, ihre Abhängigkeit von russischem Gas abzubauen. Mit einem Ausbau der Ostsee-Pipeline erreiche man jedoch das Gegenteil, wie Kommissions-Vizepräsident Maros Sefcovic erklärte und gleichzeitig ergänzte: „80 Prozent des aus Russland importierten Gases würden über eine einzige Route fließen.“ Das widerspreche dem Streben der EU nach Versorgungssicherheit. Ein weiterer Faktor ist die Ukraine: Sie bekommt wegen ihrer kriselnden Wirtschaft EU-Finanzhilfen, bislang wurden insgesamt 1,8 Milliarden Euro bewilligt.
Mit einem Ausbau von Nord Stream würden ihr zusätzlich auch noch Gastransit-Einnahmen in Höhe von rund 2 Milliarden Euro jährlich entgehen. Letztlich behindere Nord Stream 2 auch die Bemühungen der EU um ein alternatives Konzept zur Energiesicherheit Europas. Dazu zählt der Ausbau der Versorgung mit Flüssiggas, welches per Schiff aus allen Ecken der Welt transportiert werden kann, beispielsweise auch aus den USA.
Info: Pipelines von Russland nach Europa
Über die Autorin:
Peggy Lohse
ist Redakteurin der Moskauer Deutschen Zeitung (MDZ). Die MDZ ist eine zweiwöchentlich in Moskau erscheinende Zeitung mit einem deutschen und einem russischen Teil.
Peggy Lohse schreibt zudem einen deutsch-russischen Blog.
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Titelbild und Logo: Nord Stream AG
Bild: Von Kremlin.ru, CC-BY 3.0,via Wikimedia Commons
Karte von Nord Stream: By Samuel Bailey (sam.bailus@gmail.com) (Own work) [CC BY 3.0 ], via Wikimedia Commons
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