Russlandreisen ab Mitteleuropa sind durch Krieg und Sanktionen nicht unmöglich geworden. Bis auf wenige verbleibende normale Reisealternativen muss man aber schon etwas Abenteuerlust mitbringen, wenn man 2023 nach Moskau oder ins Hinterland will.
von Roland Bathon
Die Tagesschau berichtete vor einer Woche, Auslandsreisen nach Russland seien 2022 gegenüber dem Vorjahr um 96 Prozent zurückgegangen. Wenn man solche Meldungen unbedarft liest, könnte man zur Auffassung kommen, Russlandreisen seien aktuell kaum durchführbar oder sogar unmöglich. Wenn man in Russland selbst aktuell an touristischen Hotspots unterwegs ist, wundert man sich eher, wo dann all die Leute herkommen. Hört man genauer hin, erfährt man die Aufklärung des scheinbaren Widerspruchs: Fast alle anwesenden Touristen sind russische Inlandsreisende.
Zwangsboom des russischen Inlandstourismus
Während manche Moskauer mit den nötigen Finanzmitteln sonst für das verlängerte Wochenende nach Berlin oder Paris gejettet sind, sind Ziele wie Sankt Petersburg oder Jekaterinburg bei Großstadtrussen jetzt (zwangsläufig) en vogue. Wer als Inlandsbewohner gerne verreist, hat vor allem durch die Finanzsanktionen des Westens kaum die Möglichkeit, sich im Ausland überhaupt eine Unterkunft zu reservieren. Gereist wird trotzdem – Russland ist immerhin sehr groß und auch die Türkei oder Kaukasusstaaten haben ihre Türen für russische Reisende nicht verschlossen.
Hier zeigt sich auch, dass das Reisen innerhalb Russlands – will man nicht in die Grenzregionen zur Ukraine – nicht generell gefährlicher geworden ist. Das gilt auch für unbedarfte Ausländer. Reist man jedoch mit westlicher Staatsangehörigkeit vor allem über kleinere Flughäfen ins Land ein, muss man sich am Zielflughafen auf eine intensive Befragung im Bezug auf den Reisezweck und das Ziel einstellen. Hat man das überstanden, präsentiert sich das Land hinter dieser Grenze erstaunlich ähnlich wie zur Zeit vor dem Ukrainekrieg.
Das gilt jedoch eben nicht für Nachbarregionen der Ukraine – Belgorod, Kursk, Bryansk, Woronesch, Rostow und Krasnodar. Nicht umsonst warnt das Auswärtige Amt für Reisen in diese Gebiete – auch alle Flughäfen sind hier geschlossen. Dort befinden sich Bereitstellungsräume und Nachschubdepots der Invasionsarmee, es gibt in unmittelbarer Grenznähe auch gelegentliche Drohnenangriffe und Artilleriebeschuss aus der Ukraine. Wer nicht unbedingt muss, sollte sich dort nicht aufhalten.
Abenteuerliche Alternativen ins Land
Doch wie soll man überhaupt nach Russland kommen? Alle Flugverbindungen direkt aus der EU sind seit dem Kriegsbeginn unterbrochen. Russische Airlines fliegen ebenfalls nicht mehr in Richtung Westen und haben allgemein ein sehr dünnes Auslandsangebot. Reisen zwischen Russland und Westeuropa seien so kompliziert, wie nie zuvor in den letzten 50 Jahren stellt der Russland-Reiseblogger Karsten Packeiser auf seiner Seite „Rhein-Wolga-Kanal“ zurecht fest.
Von den üblichen Reisewegen per Flugzeug ohne allzu viel „Abenteuer“ ist nur einer übrig: Der Flug über die Türkei, vor allem via Istanbul. Hier kann man ganz normal buchen und wie gewohnt umsteigen, Turkish Airways bietet guten Service und internationalen Standard zu verschiedenen russischen Destinationen. Man darf sich nur auf dem riesigen Istanbul Flughafen nicht verlaufen.
Die fliegenden Alternativen zu dieser Route sind meist weniger attraktiv. Bei den serbischen Flügen – auch hier gibt es Umsteigeflüge nach Russland im Programm – sind laut Packeiser die Preise höher als über die Türkei. Über die arabischen Staaten wie Dubai macht man eine halbe Weltreise, um letztendlich nur nach Moskau oder Sankt Petersburg, beides Städte innerhalb Europas, zu kommen. Andere Alternativen per Flugzeug gibt es nicht mehr.
Am Zielflughafen in Russland angekommen lassen sich weiter Leihwägen mieten oder Hotelzimmer in Unterkünften mit internationalem Standard spontan buchen. Da das Geschäft beider Branchen ohne Auslandskunden schlecht läuft, steht das Angebot fast vollständig zur Verfügung. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann auch vor Reiseantritt mit den entsprechenden Anbietern in Kontakt treten und reservieren. Nur vorab zahlen kann man nicht – zu den finanziellen Problemen dabei kommen wir später.
Je mehr Abenteuerlust, desto mehr Möglichkeiten
Alle anderen verbliebenen Wege nach Russland sind für den deutschen Standardreisenden mehr oder weniger mit einem ungewohnten Abenteuer verbunden. Per Auto kann man über Finnland, Polen oder das Baltikum nach Russland fahren. Während vor allem von der viel befahrenen lettisch-russischen Grenze immer wieder Geschichten von Horror-Wartezeiten und viel Bürokratie zu hören ist, lässt sich die finnisch-russische Grenze mit weniger Zeitaufwand überqueren. Das Auto transportiert man, wenn man diesen Weg wählen will, am einfachsten mit einer der vielen Fähren nach Finnland. Nach Helsinki geht das direkt und bequem auch von deutschen Fährhäfen.
Noch ein bisschen abenteuerlicher ist ein Weg, den die Moskauer Deutsche Zeitung beschreibt. Die russische Ostseeexklave Kaliningrad zwischen Litauen und Polen ist nach wie vor mit häufigen und günstigen Flügen mit Moskau oder Sankt Petersburg verbunden. Von dort fahren wiederum regelmäßige Linienbusse ins polnische Danzig, von wo man problemlos per Flixbus oder Zug nach Deutschland weiterkommt.
Ein Problem für alle, die in Deutschland starten, ist bei dieser Reisemöglichkeit jedoch, dass man die Tickets für den russischen Inlandsflug eben nicht vom Westen aus kaufen kann – dieser Reiseweg bietet sich mehr für in Moskau oder Sankt Petersburg Startende an. Reiseexperte Packeiser wählte für seine Russlandreise im Sommer 2022 aus diesen Gründen gleich eine Kombination aus Zugreise, zu Fuß über die Grenze, mit dem Taxi ins Hinterland und dort mit dem Zug weiter. Einen Mangel an Reiseabenteuer gibt es in Richtung Russland auf jeden Fall nicht mehr.
Geldprobleme wie vor 50 Jahren
Das Problem mit dem Reisegeld sollte man nicht unterschätzen. Durch die Finanzsanktionen funktionieren in Russland westliche Kredit- und Debitkarten ebenso wenig wie russische Karten im Ausland. Finanzdienstleister wie Western Union, PayPal oder Moneygram arbeiten nicht mehr mit russischen Zielen. Wie in der Zeit vor 50 Jahren sollte man also auf seiner Russlandreise erhebliche Bargeldmengen für alle Fälle mitnehmen. Nachschub wird es nicht mehr geben, wenn man nicht eine der wenigen UnionPay-Karten in Deutschland besitzt.
UnionPay ist ein chinesisches System, das sowohl im Westen als auch in Russland funktioniert, wenn man die Karte nicht von einer russischen Bank hat. Tauschen kann man seine Euros in Russland weiter völlig problemlos, sollte aber bei kürzeren Reisen nicht zu viel wechseln, da man Rubel umgekehrt im Westen nicht mehr loswird. Dann kann man sie höchstens für den nächsten Russlandtrip aufheben.
Bei diesen Umständen und angesichts des Krieges ist es kein Wunder, dass es rein touristische Reisen von Mitteleuropa nach Russland kaum noch gibt. Wer aber andere gute Gründe hat, nach Moskau, Sankt Petersburg oder ins russische Hinterland zu reisen, sollte sich nicht abschrecken lassen und kann durchaus touristische Highlights am Rande des Reisewegs mitnehmen. So rein russisch wie aktuell waren sie schon lange nicht mehr.