Russland kopiert Gesetz gegen Hassbotschaften

Russland kopiert Gesetz gegen Hassbotschaften

Das russische Parlament diskutiert ein neues Gesetz, um Inhalte in sozialen Netzwerken stärker zu kontrollieren, und orientiert sich dabei ausdrücklich an dem Ende Juni in Deutschland verabschiedeten Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet.

Dies ist kein redaktioneller Beitrag, sondern eine Pressemitteilung der Reporter ohne Grenzen.


Reporter ohne Grenzen hat das so genannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz in der vorliegenden Form heftig kritisiert und davor gewarnt, dass es repressiven Staaten als Vorbild dienen könnte. In Russland wird das Internet immer stärker kontrolliert, Nutzer sollen nicht mehr anonym kommunizieren dürfen und ihre Daten ausschließlich in Russland gespeichert werden. 2016 wurden dort doppelt so viele Menschen wegen kritischer Nachrichten zu Gefängnisstrafen verurteilt wie noch ein Jahr zuvor.

„Unsere schlimmsten Befürchtungen werden wahr: Das deutsche Gesetz gegen Hassbotschaften im Internet dient undemokratischen Staaten nun als Vorlage, um gesellschaftliche Debatten im Internet einzuschränken“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Auch in Russland sollen in Zukunft Mitarbeiter sozialer Netzwerke unter hohem Zeitdruck darüber entscheiden, welche Informationen gelöscht werden. In einem Land ohne unabhängige Gerichte, die den Schutz der Meinungsfreiheit durchsetzen könnten, ist das eine verheerende Entwicklung. “

Russischer Gesetzentwurf kopiert deutsche Vorlage

Am 12. Juli reichten Abgeordnete der Duma-Fraktion „Einiges Russland“ einen Gesetzentwurf ein, der Betreibern sozialer Netzwerke hohe Strafen androht, wenn sie rechtswidrige Inhalte nicht innerhalb von 24 Stunden löschen. In ihrer Begründung beziehen sich die Initiatoren ausdrücklich auf das Ende Juni vom deutschen Bundestag verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz, aus dem sie zahlreiche Punkte kopiert haben.

Der Entwurf verlangt von Betreibern sozialer Netzwerke mit mehr als zwei Millionen Nutzern, Online-Formulare bereitzustellen, über die Nutzer „rechtswidrige“ Inhalte melden können. Diese Inhalte und sämtliche Kopien davon müssen innerhalb von 24 Stunden gelöscht, zu Beweiszwecken jedoch drei Monate lang gespeichert werden. Netzwerkbetreiber müssen den Behörden vierteljährlich Bericht über die gemeldeten Inhalte erstatten.

Außerdem sind sie verpflichtet, Kontaktstellen in Russland einzurichten. Bei Zuwiderhandlungen sind für verantwortliche Personen Bußgelder von bis zu fünf Millionen Rubel (73.550 Euro) vorgesehen, Unternehmen sollen mit bis zu 50 Millionen Rubel (735.500 Euro) belangt werden. Dass das Gesetz verabschiedet wird, gilt als sicher. Es soll am 1. Januar 2018 in Kraft treten.

Welche Inhalte von den Netzbetreibern zu löschen sind, ist im Gesetzentwurf nur sehr allgemein formuliert. Es geht um Informationen, die zu Krieg oder ethnischem oder religiösem Hass aufrufen, um ehrverletzende Äußerungen und „sonstige Informationen, für deren Weiterverbreitung man straf- oder zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann“ – wobei gerade letztere Formulierung so schwammig und weit auslegbar ist, dass sie leicht missbraucht und willkürlich gegen Kritiker ausgelegt werden kann.

Anonymisierungssoftware und Messengerdienste im Visier

Der Gesetzentwurf über soziale Netzwerke ist der jüngste mehrerer eilig verhandelter Entwürfe, mit denen die freie Kommunikation im Internet eingeschränkt werden soll. Am 23. Juni befasste sich das Parlament in erster Lesung mit einem Gesetzentwurf, der die Nutzung von Anonymisierungsdiensten und anderen Instrumenten zur Umgehung von Internetsperren stark einschränkt.

Virtual Private Networks, Proxy Server oder das Tor Netzwerk, mithilfe derer Nutzer in Russland blockierte Seiten aufrufen können, dürften demnach nur noch entsprechend den Zensurvorgaben der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor benutzt werden. Ansonsten würde der Zugang zu ihnen gesperrt, genau wie sämtliche Seiten, die Hinweise auf enthalten (Ostexperte.de berichtete).

Der Gesetzentwurf war erst zwei Wochen zuvor in die Duma eingebracht worden. In einer geschlossenen Sitzung hatte der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, die Abgeordneten unmittelbar vor der ersten Lesung aufgefordert, Gesetze zur Regulierung sozialer Netzwerke zügig zu verabschieden.

Ein weiteres Gesetz, über das am 14. Juni in erster Lesung beraten wurde, soll es unmöglich machen, anonym über Messengerdienste zu kommunizieren. Anbieter von Messengerdiensten müssen demnach mit Telekommunikationsunternehmen zusammenarbeiten, um Nutzer zu identifizieren. Gleichzeitig sollen durch ein weiteres Gesetz SIM-Karten nur noch an Menschen verkauft werden dürfen, die durch Vorlage ihres Passes ihre Identität nachweisen.

Zur Überprüfung der Angaben sollen Telekommunikationsunternehmen Zugang zu staatlichen Melderegistern erhalten) Auch dieses Gesetz wurde am 14. Juni in erster Lesung angenommen. Messengerdienste, die sich nicht an die neuen Regeln halten, sollen künftig bis zu einer Million Rubel (14.710 Euro) Strafe zahlen.

Aufsichtsbehörde Roskomnadsor gegen Telegram-Gründer Pawel Durow

Wie stark Betreiber sozialer Netzwerke und Messengerdienste unter Druck stehen, zeigt die Auseinandersetzung zwischen der russischen Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor und Pawel Durow, dem Gründer des russischen Facebook-Pendants Vkontakte und des Messengerdienstes Telegram.

Seine Anteile an Vkontakte, dem größten sozialen Netzwerk in Russland, hatte Durow schon vor drei Jahren verkaufen müssen, nachdem er sich weigerte, dem Geheimdienst die Nutzerdaten ukrainischer Maidan-Aktivisten zu verraten. Durow lebt seitdem im Exil. Der Messengerdienst Telegram, der vielen mit seiner Verschlüsselung als sicher gilt, hat schätzungsweise sechs Millionen russische Nutzer und wird selbst im Kreml für die interne Kommunikation benutzt.

Am 23. Juni drohte die Aufsichtsbehörde Roskomnadsor, Telegram zu sperren, sollte sich der Dienst nicht in das amtliche Register für Informationsdienste eintragen lassen. Fünf weniger populäre Messengerdienste – BlackBerryMessenger, ImoLine, VChat and WeChat – waren im Mai blockiert worden, nachdem sie sich weigerten, ins Register aufgenommen zu werden.

Parallel dazu berichteten Staatsmedien immer wieder, beim Bombenanschlag auf die Metro in Sankt Petersburg im April hätten die Terroristen über Telegram kommuniziert. Auch die Initiatoren der oben genannten Gesetze führten dies wiederholt als Begründung dafür an, dass Kommunikation über Messengerdiensten stärker überwacht werden müsse.

Am 28. Juni teilte Pawel Durow auf Vkontakte mit, sämtliche für den Eintrag ins Register notwendige Daten seien öffentlich zugänglich und fügte die entsprechenden Links an. Roskomnadsor nahm Telegram daraufhin in sein Register auf, theoretisch müsste sich der Dienst damit an russische Gesetze halten. Durow lehnt es jedoch weiterhin ab, Nutzerdaten oder Kodierungsschlüssel herauszugeben und sich Gesetzen zu unterwerfen, die den Datenschutzbestimmungen der Firma widersprechen.

Einst freies russisches Internet inzwischen streng kontolliert

Die Führung in Moskau hat die Kontrolle über das Internet nach den Massenprotesten gegen Wahlfälschungen 2011/12 massiv verstärkt. Seit Ende 2012 wurde eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, die es nach weit auslegbaren Kriterien erlaubt, Inhalte – teilweise ohne Gerichtsbeschluss – zu blockieren: zum Schutz von Kindern, wegen der Propagierung homosexueller Lebensweisen oder wegen Aufrufen zum Extremismus, wozu selbst Satire-Artikel oder Berichte über den Krieg in der Ostukraine zählen können.

Im Juni 2016 schrieb die Duma im Rahmen eines Pakets von Anti-Terror-Gesetzen („Jarowaja-Gesetze“) unter anderem eine umfangreiche Vorratsdatenspeicherung fest: Anbieter von Kommunikationsdiensten müssen Verbindungsdaten künftig drei Jahre lang speichern. Konkrete Inhalte wie Telefonate, Nachrichten, Fotos und Videos, die Nutzer verschicken, müssen sechs Monate gespeichert und auf Wunsch den Behörden übermittelt werden.

Um diese massive Überwachung zu gewährleisten, werden von den Betreibern Investitionen in Millionenhöhe für neue Ausrüstung und den Bau neuer Zentren zur Datenspeicherung verlangt. Nach Protesten russischer Telekommunikationsunternehmen erwägt die russische Führung inzwischen, das Gesetz nicht wie geplant 2018, sondern erst 2023 in Kraft treten zu lassen.

Ein anderes Gesetz im Anti-Terror-Paket sieht vor, Messenger-Dienste zu sperren oder mit hohen Geldbußen zu bestrafen, wenn sie sich weigern, dem Geheimdienst Schlüssel zur Dekodierung von Nachrichten bereitzustellen. Im September 2016 trat außerdem ein Gesetz in Kraft, das verlangt, Internetdaten russischer Bürger ausschließlich in Russland zu speichern. Das  Karriere-Netzwerk LinkedIn, dass sich weigerte, dem nachzukommen, wurde daraufhin im November 2016 in Russland gesperrt.

Gefängnisstrafen sollen Internetnutzer einschüchtern

Parallel zum Blockieren von Inhalten, Internetseiten oder ganzen Kommunikationsdiensten haben die Behörden in den vergangenen Jahren den Druck auf individuelle Nutzer merklich verstärkt. Das Strafmaß für Rechtsbrüche im Internet wurde in vielen Fällen erhöht, härtere Urteile sollen Bürger einschüchtern und sie davon abhalten, kritische Kommentare zu veröffentlichen oder zu verbreiten. Der russischen Menschenrechtsorganisation Agora zufolge wurden 2016 in 29 Fällen Gefängnisstrafen gegen Internetnutzer verhängt – doppelt so viele wie im Jahr zuvor.

Titelbild
Quelle: Mehdi Kabab, reddit.com – 404 04, Size changed to 1040x585px., CC BY 2.0 [/su_spoiler]