Russland: Wo bleibt der Wettbewerb der Märkte?

Ost-Ausschuss: Früher nannte man das Wettbewerb

Seit März 2017 veröffentlicht der Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft eine regelmäßige Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um die Wettbewerbsfähigkeit der Märkte, die Lage in Russland und was sich daran ändern muss. 


Indien dreht an der Zollschraube. Je nach Produkt werden die Abgaben um bis zu 50 Prozent erhöht. Zur Erinnerung: Indiens Premierminister Modi hatte noch im Januar in Davos mit blumigen Worten für eine liberale Weltwirtschaftsordnung geworben: „Ich will nicht, dass die Fenster meines Hauses geschlossen werden“. Die USA kündigten sofort Gegenmaßnahmen an. Nicht nur gegen Indien, im Januar wurden schon Strafzölle auf Waschmaschinen und Solarmodule beschlossen. Davon sind vor allem Exporteure aus China, Mexiko und Südkorea betroffen. Auch die deutsche Stahlindustrie ist ins Blickfeld der Amerikaner geraten. Die EU wiederum belegt chinesischen und russischen Stahl mit Einfuhrzöllen. China prüft Sonderabgaben auf Einfuhren aus den USA und der EU, und so belegt jeder jeden fleißig mit zusätzlichen Abgaben.

Alles außer Wettbewerb

Die WTO, in der alle angesprochenen Länder Mitglied sind, kann sich vor Klagen kaum retten und ist mehr damit beschäftigt Einzelfälle zu lösen als das zu tun, wozu sie gegründet wurde: „Liberalisierung der Märkte, Senkung von Zöllen und die Schaffung einer Welthandelsordnung.“ Von letzterer sind wir augenblicklich weit entfernt. Steigende oder überhaupt Zölle werden mit zum Teil abstrusen Begründungen eingeführt. Die USA wollen Bombardier-Flugzeuge mit einem Zoll in Höhe von 220 Prozent wegen angeblich unfairer Subventionsleistungen belegen. In Nepal sollen Hilfsgüter für Erdbebenopfer verzollt werden. Die Eidgenossen treiben es besonders bunt. Für ein Zuchtpferd fallen innerhalb eines bestimmten Kontingents 120 Franken Zoll an. Außerhalb des Kontingents steigt der Zoll auf 3.195 Prozent. Zu diesem Irrsinn gesellen sich weltweit tarifäre und nichttarifäre Handelshemmnisse, Sonderabgaben, komplizierte Genehmigungsverfahren und technische Barrieren.

Sofort erschallt der Ruf nach Antidumping-Maßnahmen

Die reflexartige Reaktion derjenigen, die solche Maßnahmen einführen oder befürworten, lautet regelmäßig: Antidumping-Maßnahmen. Solche Untersuchungen erfreuen sich in Russland augenblicklich außerordentlicher Beliebtheit. Die Antimonopolbehörde unterstellt, in aller Regel ausländischen Marktteilnehmern, dass sie ein Produkt oder eine Dienstleistung bewusst unter Preis anbieten. Fast immer gibt es in den betroffenen Branchen einen oder mehrere nationale Marktteilnehmer. In letzter Konsequenz müssen die ausländischen Produzenten, um weiter am Markt aktiv bleiben zu können, ihre Preise meist deutlich erhöhen. Diese Erhöhung wird dann direkt an den Markt oder den Verbraucher weitergegeben.

Der Verbraucher muss entscheiden, was gut ist

Selbstverständlich muss der Staat seiner Pflicht zur Regulierung des Marktes nachkommen, wenn es offensichtliche Verwerfungen, monopolistische Strukturen und Kartelle gibt. Allerdings nicht, indem er Unternehmen schützt, die entweder nicht wettbewerbsfähig sind oder einfach nicht willens, sich zu entwickeln. Früher nannte man das Wettbewerb. Ein an sich recht einfacher Mechanismus, der die Unternehmen zwingt, sich permanent weiter zu verbessern, um innovativ und erfolgreich zu sein. Das Ergebnis waren hochqualitative Produkte zu einem fairen Preis, und der Kunde entschied darüber, welche Anbieter die besten sind. Eine Politik ganz im Sinne und zum Wohle des Verbrauchers.

Käse viel teurer als in Europa

Weil dieser Mechanismus aber außer Kraft gesetzt wurde, ist es nicht verwunderlich, dass in Russland viele Produkte deutlich teurer sind als in Deutschland, einem absoluten Hochlohnland. Das wird besonders beim Blick in einen Supermarkt deutlich. Ein Beispiel: Für russischen Käse, der qualitativ dem aus Italien, Deutschland oder Frankreich in nichts nachstehen soll, müssen Russen teilweise bis zu drei Mal mehr bezahlen als in den genannten Ländern. So weit so gut, der Kunde kann auf andere Käsesorten ausweichen, die aus Belarus, dem Baltikum, Finnland oder von einem billigen russischen Anbieter kommen. Schwieriger wird es, wenn durch diese Politik die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie leidet. Also genau in den Bereichen, die sich auch so schon unterdurchschnittlich entwickeln. Das Verarbeitende Gewerbe und die Industrieproduktion stagnieren oder sind rückläufig.

Zu teuer, zu schlecht, kaum innovativ

Die so dringend gebotene Diversifizierung des Exportes kann aber nur gelingen, wenn man wettbewerbsfähige Industriegüter verkaufen kann. Die aber werden zu großen Teilen in Staatsbetrieben gefertigt. Über zwei Drittel der russischen Wirtschaft sind in den Händen des Staates und zumeist in gigantischen Holdings konzentriert. Diese Konglomerate verfügen über eine Marktmacht, die das Entstehen eines innovativen industriellen Mittelstandes nahezu unmöglich macht. Sie diktieren die Bedingungen, zu denen geliefert werden muss, die Zahlungsziele und die Preise. Echter Wettbewerb ist unter diesen Umständen fast unmöglich. Und wettbewerbsfähig sind die meisten Erzeugnisse auch nicht, weil sie zu teuer, qualitativ zu schlecht und nicht innovativ sind. Deutschland ist vor allem deshalb „Exportweltmeister“, weil es über einen unvergleichlich guten industriellen Mittelstand verfügt.

Preis als alleiniges Entscheidungskriterium

Hinzu kommt ein hausgemachtes Problem. Bei staatlichen Ausschreibungen werden oft Unternehmen bevorzugt, die als nationale Produzenten gelten und mittelständisch sind. Qua Definition sollte jedes Unternehmen in der Rechtsform einer OOO, also eine russische juristische Person, auch als russischer Produzent gelten. Die Realität sieht anders aus. Sehr oft gehen Anbieter mit einem internationalen Mutterhaus leer aus, weil sie im Verständnis der Staatsholdings Ausländer sind. Darunter leiden Qualität, Preis, Liefertreue und vor allem die Wettbewerbsfähigkeit. Zudem fällt die Entscheidung sehr oft zu Gunsten des günstigsten Anbieters. Ob der dann allerdings in der Lage ist, das geforderte Produkt oder die Dienstleistung zu liefern, ist längst nicht ausgemacht. Eine einfache Prüfung der Präqualifikation oder der Nachweis von Referenzen würden hier Abhilfe schaffen.

Reaktion auf Sanktionen

Natürlich ist diese Praxis auch eine Reaktion auf die gegen Russland verhängten Sanktionen und der Tatsache geschuldet, dass man möglichst autark handeln möchte. Auch das ist legitim. Allerdings wird man dem Ziel nicht näher kommen, indem man sich selbst dafür bestraft und auf internationales Know-how und Erfahrungen verzichtet. Die deutsche Wirtschaft hat es gebetsmühlenartig wiederholt: Wir stehen bereit, um Russland als Partner bei der wirtschaftlichen Entwicklung in jeglicher Art zu unterstützen.

Neue Sanktionen drohen

Die Diskussion über Sinn und Unsinn von Sanktionen und über einen Weg, sie vielleicht schrittweise abzubauen wird im Westen, allen voran in Deutschland, bereits intensiv geführt. Jetzt ist es Zeit, dass auch Russland darüber nachdenkt, wie eine Normalisierung der Situation gelingen kann. Denn schon dräut neues Ungemach. Der amerikanische Finanzminister hat letzte Woche angekündigt, dass an den amerikanischen Sanktionen auf der Grundlage der „Putin-Liste“ intensiv gearbeitet werde und schon sehr bald Ergebnisse zu erwarten sind: “We are actively working on those sanctions. You should expect them in the near future… I assure you those sanctions are coming. We’re actively working on that as we speak.”

Höchste Zeit für eine wirtschaftliche und politische Trendwende. Von einem russischen Präsident stammt die Weisheit: “Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.”


Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand für Russland beim Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Foto: zVg
Jens Böhlmann, Leiter Kontaktstelle Mittelstand
im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft

Die Kontaktstelle Mittelstand ist eine Initiative zur Förderung kleinerer und mittlerer Unternehmen im Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Sie nahm im Mai 2013 ihre Arbeit auf. Ziel der Kontaktstelle ist die Unterstützung deutscher mittelständischer Unternehmen, die einen Markteintritt oder den Ausbau ihrer Geschäftsaktivitäten in den durch den Ost-Ausschuss vertretenen Ländern, insbesondere jedoch in Russland planen.

Anfragen richten Sie bitte an: j.boehlmann@bdi.eu

Titelbild
Quelle: NChutchikov/ Shutterstock.com [/su_spoiler]