Kolumne: Über Glück und andere Grausamkeiten

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um den Zufriedenheits-Index der Vereinten Nationen – und was die Deutschen in Sachen Glück von den Russen lernen können.

Die Deutschen können nicht glücklich sein

Der 20. März wird ein glücklicher Tag, denn an diesem Datum erscheint der World Happiness Report. Die Vereinten Nationen messen mit diesem Instrument wie zufrieden die Einwohner mit oder in ihrem Land sind. Schon seit vielen Jahren führen die Skandinavier dieses Ranking an. Letztes Jahr lag Finnland an der Spitze, gefolgt von Dänemark und Norwegen, aber das wechselt immer mal wieder. Mit uns Deutschen ist das eine merkwürdige Sache. Wir können einfach nicht glücklich sein, wenigstens nicht nach außen und nicht immer. Heine eben: „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin.“ Und das, obwohl wir in besagtem Report auf Platz 17 liegen, der höchste Wert für ein bevölkerungsreiches Land und besonders zufrieden sind wir mit den Einkommen, den Sozialleistungen und unseren Zukunftsperspektiven. Interessanterweise ist einer der geringsten Werte, „die Freiheit, Lebensentscheidungen zu treffen“. Da stellt sich mir die Frage: Wer trifft diese Entscheidungen, wenn nicht die Menschen selbst? Nun ja, wir leiden halt gern.

Fast jeder fünfte Russe will Beamter werden

Dieser Fakt korrespondiert allerdings erstaunlich mit einer anderen Entwicklung. In den vergangen zehn Jahren hat sich die Zahl der Gründer nahezu halbiert. Junge Deutsche wollen lieber in Anstellung arbeiten, als unternehmerisches Risiko zu wagen. Der “DIHK-Report zur Unternehmensnachfolge 2019” macht das ganze Ausmaß deutlich. Den Alteigentümern steht eine sinkende Zahl von Übernahmeinteressierten gegenüber. Den meisten ist das finanzielle Risiko zu hoch. Allerdings schreckt den oder anderen auch der stetig steigende bürokratische Aufwand oder das Maß an Verantwortung ab. Nach der Work-Life-Balance wurde nicht gefragt, aber die spielt bestimmt auch eine Rolle. Trotz allem ist die Situation in Deutschland noch relativ komfortabel. In Russland können sich über zwei Drittel der Teilnehmer einer Umfrage überhaupt nicht vorstellen ein „Business zu eröffnen“. Die es sich vorstellen können, sind magere sieben Prozent, die es wirklich tun unter zwei, die die scheitern ungezählt. Die größten Hindernisse sind nach Ansicht der Teilnehmer Bürokratie und administrativer Druck, wobei der Begriff nicht weiter spezifiziert wird. Im Umkehrschluss strebt immer noch fast jeder fünfte junge Russe eine Karriere als Beamter an.

Junge Russen sehen Zukunft in privaten Unternehmen

Vielleicht hilft auch da ein Blick in den Happiness-Report. Russland belegt den 68. Platz und neben dem Fehlen an Großzügigkeit in der Gesellschaft wird Korruption als ein Manko wahrgenommen. Auch in Bezug auf freiwilliges Engagement und Spendenbereitschaft liegt Russland deutlich hinter anderen europäischen Ländern zurück und in etwa gleichauf mit Togo, Zimbabwe, oder auch China. Allerdings kann damit nur das öffentliche Engagement gemeint sein, denn es gibt wohl kaum ein großzügigeres und gastfreundlicheres Volk als die Russen. Und es besteht Hoffnung, denn zunehmend mehr junge Russen sehen ihre berufliche Zukunft in privaten Unternehmen, mit einem gewissen Ausschlag hin zu ausländischen Firmen. Besonders, weil sie dort die Möglichkeit sehen, innerhalb eines solchen Unternehmens ihre berufliche Zukunft ins Ausland verlagern zu können. Das ist dann wiederum keine so gute Perspektive für die Russische Föderation. Aber, wer Erfahrung im Ausland sammelt, kann ja auch mit mehr Wissen wieder nach Hause kommen.

Beide wollen, keiner kann

Unabhängig davon ist das Bemühen um die Unterstützung privater Unternehmen, in erster Linie des Mittelstandes, unverkennbar. Das gilt sowohl für die föderale als auch die regionale Ebene. Die derzeit größte Herausforderung ist in vielen Fällen die Finanzierung. Zwar gibt es zinsvergünstigte Kredite und auch deutlich bessere Konditionen als für Verbraucherkredite, dennoch ist die Belastung für kleine Firmen kaum zu bewältigen. Kompliziert wird es insbesondere, wenn es sich um Bestellungen aus dem – westlichen – Ausland handelt. Dann bekommen russische Privatunternehmen von russischen Instituten kaum oder nur zu wirtschaftlich nicht darstellbaren Konditionen einen Bestellerkredit, oder sie müssen den Akkreditivbetrag zu 100 Prozent hinterlegen. Was, gelinde gesagt, das Instrument als solches wertlos macht. Europäische Banken wiederum scheuen russische Risiken wie der Teufel das Weihwasser und finanzieren nur, was absolut sicher ist. Zudem fordern russische Banken seit einiger Zeit russische Financial Statements und Prüfungen, und so befinden sich Lieferant und Besteller in einer Situation wieder, in der beide wollen, aber eigentlich keiner kann.

Geschäftsklimaindex verhalten

Eine pragmatische Lösung in diesem Bereich würde etliche Geschäfte wieder möglich machen und ganz nebenbei auch dafür sorgen, dass der Wunsch vieler russischer Unternehmen auch europäische Technik anschaffen zu können, erfüllt werden könnte. Apropos Wunsch: Überall auf der Welt werden Unternehmen regelmäßig nach ihrer Einschätzung der augenblicklichen wirtschaftlichen Situation und der Projektion in die Zukunft befragt. In Deutschland sind solche Umfragen unter dem Begriff Geschäftsklimaindex subsumiert. Im Augenblick sehen die Unternehmen sehr verhalten in die nähere Zukunft, zu unsicher sind die Entwicklungen bei den Themen Coronavirus, Syrienkonflikt, Handelsstreit und Börsen-Rallye. Ein Phänomen ist dabei seit Jahren, dass die eigene wirtschaftliche Situation deutlich besser bewertet wird als die gesamt- und weltwirtschaftliche Lage. Besonders gravierend ist diese Diskrepanz – ja Sie haben es erraten – in Deutschland.

Bemerkenswert positive Einschätzung

Auch in Russland existiert eine adäquate Umfrage, die vom Russischen Statistischen Bundesamt durchgeführt wird. Die letzte Befragung fand im Februar dieses Jahres statt und hat erstaunlich positive Werte erbracht. Zwar sehen auch die russischen Unternehmen schwierige Zeiten auf sich zukommen, aber mit Minus Zwei bei den Rohstoffunternehmen und Minus Drei im Verarbeitenden Gewerbe fallen die Bewertungen deutlich besser als zum Beispiel in Deutschland aus. Unsicherheit herrscht vor allem in Bezug auf die Binnennachfrage und die Binnenkonjunktur, hohe Steuerbelastung und die Unsicherheit über die allgemeine wirtschaftliche Lage. Insgesamt aber überwiegen die positiven Einschätzungen. Bei einem Volk, das von Natur aus mit einer melancholisch-pessimistischen Veranlagung ausgestattet ist, finde ich das eine sehr bemerkenswerte Sicht auf die Dinge. Daran sollten wir dauerunzufriedenen Deutschen uns wirklich ein Beispiel nehmen.

Titelbild
Titelbild: Photo by Derek Thomson on Unsplash
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