Kolumne: “Ich würde auch lieber deutsche Technik kaufen!”
Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um taxifahrende Autoliebhaber, den Handel mit Osteuropa und den Wert der deutschen Nationalmarke.
Noch immer wächst der Handel mit Osteuropa
Dass die Deutschen Meister der Selbstbespiegelung sind, ist nichts wirklich Neues, auch nicht, dass unsere Gläser eigentlich immer halb leer sind. Man kann diesen allgemeinen Gemütszustand beklagen oder ihn nutzen, um ein paar interessante Erkenntnisse daraus zu ziehen. Denn dass die Deutschen so genau wissen, wie „schlecht“ es ihnen geht, hängt unter anderem damit zusammen, dass hierzulande über alles penibel Buch geführt wird. Deshalb lässt sich auch eine Aussage darüber treffen, wie es der deutschen Wirtschaft insgesamt und im Speziellen in Bezug auf Osteuropa und Russland geht. Ein paar ganz einfache Fakten: Der Handel mit Osteuropa wächst, immer noch stärker als mit dem Rest der Welt. Das gilt für Im- wie Exporte. Die absoluten Spitzenreiter sind Polen und Tschechien, gefolgt von Russland und Ungarn. Im Vergleich zu 2018 sind aber die Auswirkungen der globalen Handelskiller deutlich stärker zu spüren.
Teurer und schwerer zu bestellen
Auch der bilaterale Handel mit Russland wächst langsam wieder, die Exporte nach Russland steigen, im Juli sogar um zehn Prozent. Der Handels-Höchstwert von 82 Milliarden Euro aus dem Jahr 2012 wird jedoch noch für viele Jahre unerreicht bleiben. Zumindest so lange, wie der Rubel künstlich schwach gehalten wird, um Exporte zu fördern und den Haushalt ausgeglichen zu halten und die Politik der Lokalisierung und Importsubstitution weiter favorisiert wird. Beides führt in Kombination mit den geltenden Sanktionen dazu, dass deutsche Produkte teuer und nicht ohne weiteres zu bestellen sind. Und aus reiner Notwehr und unternehmerischer Notwendigkeit konzentrieren sich sowohl Deutsche als auch Russen auf andere Märkte. Vor allem in Richtung China, die einen als Lieferanten, die anderen als Käufer.
Die einen können nicht, die andern dürfen nicht
Interessanterweise haben beide das gleiche Problem. „Sie glauben doch nicht wirklich, dass ich gern chinesische Lieferanten habe“, beschreibt ein Manager eines russischen Staatskonzerns die Situation. „Selbstverständlich würde ich lieber deutsche Technik kaufen, so wie all die Jahre zuvor. Aber ich kann einfach nicht.“ Sie ahnen es, er möchte lieber nicht namentlich genannt werden. Dass die Deutschen gerne liefern würden, versteht sich von selbst. Sie können aber wiederum nicht garantieren, dass sie den Liefertermin einhalten oder überhaupt liefern können. Prüfungen durch das BAFA oder das BMWi dauern teilweise Monate – mit ungewissem Ausgang. Keine Verhandlungsposition, mit der man das eigene Produkt promoten kann. Im Ergebnis bedeutet diese Entwicklung, dass, selbst wenn alle existierenden Hemmnisse, inklusive protektionistischer Maßnahmen, auf einen Schlag verschwinden würden, die Marktposition deutscher Unternehmen schlechter wäre als früher. Denn am Preis ändert sich vorerst nicht viel, und Geld ist im Russland dieser Tage knapp.
Es sieht fast aus wie ein deutsches Auto
Das Geld der Verbraucher sitzt nicht so locker wie früher. Neuanschaffungen werden so lange es geht hinausgezögert, und die viel gepriesenen nationalen Projekte zeigen noch kaum Wirkung auf die Konjunktur oder die Auftragslage. An einer der endlos langen Ausfallstraßen Moskaus streift der Blick über Bürokomplexe, Fast-Food-Restaurants, Shopping-Malls und Autohäuser. Nichts gibt den Augen Halt. Architektur aus Glas und Stahl, schmucklos, funktional. Ein flüchtiger Blick, und man glaubt eines der zahlreichen Volkswagen-Center zu passieren. Aber, irgendetwas stimmt nicht.
Die Autos sehen aus, wie die Autos immer aussehen, aber das Logo passt nicht. Es gehört zum chinesischen Autokonzern Dongfeng. Dass die SUVs, die hier verkauft werden, eine verblüffende Ähnlichkeit mit denen aus deutscher Produktion haben, scheint durchaus gewollt. Man suggeriert damit Zuverlässigkeit, Qualität und Prestige. Über den Dieselskandal schütteln Russen eh nur den Kopf: „Wie kann man nur die besten Autos der Welt schlecht reden. Hast du dir mal unsere angeschaut?“, fragt mich ein russischer Bekannter. Habe ich.
Jeder wünscht sich ein deutsches Fabrikat
Die Beurteilung, wie gut oder schlecht deutsche Autos sind, überlasse ich gern anderen. Fest steht jedoch, dass auch in der jüngsten vom YouGov-Cambridge Globalism Project durchgeführten Umfrage „Made in Germany“ mit weitem Abstand die beliebteste und werthaltigste Marke weltweit ist. Weit vor dem Zweitplatzierten Italien und sehr weit vor „Made in USA“. Chinesische Produkte schneiden mit weitem Abstand am schlechtesten ab. Kein Wunder also, dass die Kopier-Weltmeister aus Asien versuchen, ihre Produkte wie deutsche aussehen zu lassen. Man kann in diesem Fakt eine Wertschätzung deutscher Technologie und Ingenieurskunst sehen, aber auch ein handfestes Problem. Denn Russen sind mindestens so autoverrückt wie die Deutschen und wissen sehr genau, was der Unterschied zwischen einem chinesischen und einem deutschen Fahrzeug ist. Das Lieblingsthema aller Taxifahrer, sobald sie verstanden haben, dass ich Deutscher bin, ist sich mit mir über technische Details ausgewählter Typen von Mercedes, Volkswagen oder Porsche zu unterhalten. Ich fürchte, ich bin ein miserabler Gesprächspartner, denn eigentlich weiß ich herzlich wenig über das, was in den Autos steckt. Aber jeder, wirklich jeder Taxifahrer wünscht sich einmal ein deutsches Fabrikat zu besitzen. Trotzdem fahren immer mehr chinesische Autos auf Russlands Straßen. Schlicht, weil sie billiger sind, teilweise viel billiger.
Infrastruktur als Konjunkturbooster
Ein Hoffnungsschimmer sind die Infrastrukturprojekte. In Russland wird derzeit buchstäblich an jeder Ecke gebaut. Am augenfälligsten wird das in Moskau City, dem neuen Wirtschaftszentrum der Hauptstadt. Zwischen und um all die Hochhaustürme wird immer noch gebaut. Ein Neubau neben dem anderen wächst in die Höhe. Und mittlerweile sitzen auch die für Wirtschaft relevanten Ministerien in einem der Türme. Sie entscheiden wesentlich mit über die Infrastukturprojekte im Land. Geld dafür ist – wie in Deutschland auch – reichlich vorhanden. Allerdings werden tatsächlich auch Mittel eingesetzt, abgerufen, Genehmigungen erteilt und Firmen beauftragt. Dass es fast immer die gleichen Generalauftragnehmer sind, die den Zuschlag bekommen, ist einer ziemlich intensiven Verflechtung zwischen Politik und Wirtschaft zu danken. Anders als in den Vorjahren sieht man allerdings wieder zunehmend mehr internationale, europäische und deutsche Technik im Einsatz. Auf den Straßen stehen Maschinen von Vögele, Hamm und Wirtgen, Siemens liefert Züge und in den Gebäuden wird Haustechnik aus deutscher Produktion eingesetzt.
„Über die Jahre wird’s billiger“
Dieser Sinneswandel ist relativ einfach zu erklären. Trotz oder gerade weil in Russland Ausschreibungen weitestgehend dem Prinzip des billigsten Angebotes folgen, spielen Fragen der Wartung, Standfestigkeit, Zuverlässigkeit und Nachhaltigkeit – und nicht zu vergessen des Services – eine zunehmend größere Rolle. Und da punkten die Deutschen massiv, denn über den gesamten Lebenszyklus hinweg rechnet sich die Anschaffung teurerer Technik durchaus. „Es ist immer ein zähes Ringen, um das Verständnis für eine Kostenrechnung über die gesamte Standzeit einer Maschine oder eines Bauteils, aber langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass Finanzierung nicht nur den Kaufpreis meint. Über die Jahre wird’s halt billiger“, beschreibt ein deutscher Unternehmer die Situation. Auch im Bereich Hochtechnologie haben die innovativen Deutschen durchaus ein sehr breites Portfolio und fast immer auch umweltfreundliche Produkte im Angebot. Eine mögliche Antwort auf das sich steigernde Abfall- und Recyclingproblem in Russland. Ganz vorn dabei sind allerdings die Firmen, die in Russland selbst produzieren. Denn trotz eines eher schwachen Marktes und lahmender Konjunktur erwirtschaften die meisten von ihnen deutlich höhere Gewinne als in Europa. Das „Glas mit der Aufschrift Russland“ ist also durchaus halbvoll. Es hängt ein bisschen von der Perspektive ab, mit der man darauf schaut.
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