Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik
Mitte des Jahres war die Hoffnung groß, dass die wirtschaftlichen Verwerfungen infolge der Corona-Pandemie überwunden sind. Die Konjunkturaussichten waren überaus gut, die Wachstumsraten hoch, die Auftragsbücher voll. Inflation, Energiekosten, Chipmangel, anspruchsvolle Berichtspflichten und einiges mehr setzen dem zarten Pflänzchen Aufschwung mittlerweile massiv zu. Trotz allem wächst der Handel mit Osteuropa unvermindert stark.
Erst Hoffnung, jetzt Ernüchterung
„Geh‘n Sie mit der Konjunktur“ empfahl vor Zeiten Hazy Osterwald in seinem „Konjunktur-Cha-Cha“. Das hätte auch fast geklappt, denn weltweit haben sich die Volkswirtschaften nach dem Corona-Schock deutlich schneller und robuster erholt als von den meisten Instituten und „Konjunktur-Päpsten“ prophezeit. Wachstum von fast vier Prozent in Deutschland verhieß schnelle Konsolidierung der wirtschaftlichen und finanziellen Situation. Und jetzt: die große Ernüchterung. Etwas über zwei Prozent könnten es dieses Jahr noch werden, und die galoppierende Inflation frisst das letzte bisschen Gewinn auf. Für Verbraucher und Sparer gibt es sowieso nichts zu lachen. Woran liegt’s? Die Energiepreise kennen derzeit kein Halten, Container kosten immer noch ein Vielfaches mehr als vor der Krise und Halbleiter gibt’s auch keine. Das trifft vor allem die deutschen Schlüsselindustrien Automotive, die Metallurgie, den Maschinen- und Anlagenbau und alle, die für ihre Produktion viel Strom brauchen.
Preisaufschlag am Spotmarkt für Energie
Der Schuldige beim Thema Energiepreise war schnell ausgemacht. Er sitzt im Kreml und drosselt die Gas- und Öllieferungen nach Europa. Es mag ja sein, dass sich in Russland der ein oder andere ein Grinsen nicht verkneifen kann, ob der aktuellen Entwicklung. Die Gründe für die Preis-Rallye sind allerdings andere. Ihren Lieferverpflichtungen kommen die russischen Lieferanten nach. Würden sie es nicht tun, wären die Vertragsstrafen heftig. Einerseits hat die Konjunktur die Nachfrage nach Öl und Gas vor allem aus Asien stark getrieben, und die Asiaten sind im Unterschied zu den Europäern bereit, am Spotmarkt den Preisaufschlag zu zahlen. Andererseits war der Gasverbrauch im vergangenen Winter deutlich höher als im Mittel. Letztlich spielt auch grüne Energie eine nicht unwesentliche Rolle. Ein „ungewöhnlich windarmes Frühjahr 2021“ hat zu einem Fünftel weniger Energie aus Windkraft geführt, was die Nachfrage nach konventionellen Energieträgern weiter steigen ließ. Um noch einmal Hazy und seinen Cha-Cha zu zitieren: „Man tut, was man tut nur aus dem Selbsterhaltungstrieb, denn man hat sich nur selber lieb.“ Diesem Grundsatz folgend, wäre es irgendwie unlogisch, wenn Gazprom die zusätzlichen Gewinne nicht mitnehmen würde, wenn es tatsächlich mehr Gas liefern könnte. An wen die Zusatzmengen gehen könnten, das bleibt allerdings die unternehmerische Entscheidung des Lieferanten.
Besonders die Automobilindustrie leidet
Bei den Halbleitern, dem Hauptbestandteil von Mikrochips, die so ziemlich alles steuern, was sich bewegt, sieht man in Europa die Schuldigen in Asien. Die Produzenten würden einfach nicht genug liefern und damit den Aufschwung massiv behindern, was besonders den Automobilherstellern die Laune verhagelt. Nun werden 2021 nicht plötzlich riesige Mengen Autos mehr produziert, man nähert sich eher wieder dem Vorkrisenniveau an. Allerdings haben die Automobilproduzenten in der Krise die Bestellungen massiv zurückgefahren und die Hersteller gezwungen, sich nach neuen Abnehmern umzusehen. Und genau das ist passiert. Man könnte auch sagen, der Markt hat Angebot und Nachfrage geregelt. Dieses Phänomen ist durchaus nicht auf Deutschland oder die EU begrenzt. Auch in Russland stehen Bänder still oder werden weniger Schichten gefahren. Für die ohnehin kriselnde Automobilwirtschaft ist das leider kein sehr erfreuliches Szenario.
Export nach Russland steigt um 15 Prozent
Trotz aller Herausforderungen entwickeln sich die deutschen Exporte sehr dynamisch. Das gilt wie schon seit Jahren vor allem auch für die Region Osteuropa. Die 29 Länder, die der Ost-Ausschuss betreut, stehen jetzt für 20 Prozent der weltweiten Handelsumsätze. Mit anderen Worten: jeder fünfte Euro wird in Osteuropa verdient. Um fast ein Viertel hat der Außenhandel mit diesen Ländern im Zeitraum Januar bis August 2021 zugelegt. Das sind über sechs Prozent mehr als mit dem „Rest der Welt“. Die Spitzenreiter sind seit Jahren schon Polen und Tschechien, gefolgt vom Duo Ungarn und Russland. Ein Teil der Zuwächse mit den Energieträger exportierenden Ländern ist natürlich den gestiegenen Preisen geschuldet, aber nach Russland beispielsweise sind auch die Exporte mit knapp 15 Prozent erheblich gestiegen. Eine Tendenz, die sich schon kurz vor der Corona-Pandemie abzeichnete, und die einen gewissen Wandel andeutet. Hinter vorgehaltener Hand werden russische Unternehmer deutlich: „Wir kaufen lieber Produkte aus Europa und Deutschland als aus China.“ Das ist einerseits erfreulich und spricht für die Qualität und Nachhaltigkeit deutscher Produkte, andererseits steigen die Importe aus China kontinuierlich weiter an.
Überforderung des Mittelstandes
Was automatisch zu der Frage führt: Woran liegt das? Exportbeschränkungen, Sanktionen und Finanzierungsschwierigkeiten sind ein Teil der Antwort. Allerdings stehen deutsche Unternehmen noch vor ganz anderen Herausforderungen. Der Regulator, eine wunderbare Bezeichnung für die politischen Entscheidungsträger, bürdet vor allem kleineren und mittleren Unternehmen zunehmend mehr Nachweispflichten auf, die ohne zusätzliches Personal und Kosten nicht zu erbringen sind. Das Lieferkettengesetz als jüngstes Beispiel verlangt den Nachweis sozialer und ökologischer Mindeststandards bei ausländischen Lieferanten bis hin zu Kleinstunternehmen. Ich stelle mir immer wieder die Frage, wie der Eigentümer eines Unternehmens mit 100 oder weniger Mitarbeitern – also ein klassischer Mittelständler, auf die wir in Deutschland zu recht so stolz sind – der Geschäftsführer, HR-Manager, Business-Development-Manager, Exportleiter in Personalunion und verantwortlich für den langfristigen Erfolg der Firma und die Mitarbeiter ist, auch noch diesen Nachweis erbringen soll.
Viele Regeln, wenig Antworten
In allernächster Zukunft werden dann auch noch ESG-Standards nachzuweisen sein. Banken werden von der EZB schon heute darauf verpflichtet, neue Kredite weitestgehend nach den Kriterien Umwelt, soziale Verantwortung und Governance, was man mit guter Unternehmensführung übersetzen kann, auszulegen. Wie genau das funktionieren soll, darauf bleibt der Regulator die Antwort leider schuldig. Wohlklingende Ziele und Zeitrahmen werden gesetzt, allein der Weg dahin ist vollkommen undefiniert und wirtschaftlich schlicht utopisch. Dieser Unsicherheit sehen sich deutsche wie ausländische Unternehmen gleichermaßen ausgesetzt. Wie Firmen in einem ohnehin schon extrem kompetitiven Umfeld weiter wettbewerbsfähig bleiben, ohne Angst vor juristischen Konsequenzen exportieren und darüber hinaus noch ihre technologische Führerschaft behaupten können, bleibt ein Rätsel. Firmen aus Ländern, die all diese durchaus guten und sinnvollen Ziele nicht erfüllen müssen, sind dadurch automatisch bessergestellt. Um wirklich ein Level Playing Field zu schaffen, müssten sich alle Länder den gleichen Regeln unterziehen. Das ist jedoch augenblicklich und auch in naher Zukunft absolut nicht der Fall. Für Freunde des schwarzen Humors noch einmal Hazy: „Laufen Sie, wenn’s sein muss raufen Sie, und dann verkaufen Sie mit Konjunkturgewinn.“ Wenn es so einfach wäre…
Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.
YouTube-Video: Hazy Osterwald-Sextett – Konjunktur Cha-Cha / Geh´n sie mit der Konjunktur – 1961