„Russland ist ein strategisch wichtiger Markt für Bosch“

Bosch-Präsident in Russland, Hansjürgen Overstolz, im Interview mit Ostexperte.de

Hansjürgen Overstolz, Präsident von Bosch in Russland, spricht im Ostexperte.de-Interview über das Geschäft des deutschen Unternehmens auf dem russischen Markt. Im Gespräch geht es um Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeiten, das Ansehen von Bosch-Produkten in Russland und den Einfluss der internationalen und russischen Politik auf das Russlandgeschäft des Konzerns. 

Hinweis: Dieses Interview wurde schriftlich geführt.

Zur Person
Hansjürgen Overstolz leitet seit dem 1. Februar 2016 die Bosch-Gruppe in Russland, der Ukraine, Weißrussland, Zentralasien, der Mongolei und im Kaukasus. Zudem ist er Präsident und Geschäftsführer von Robert Bosch OOO in Russland und Robert Bosch Ltd. Georgia.

Hansjürgen Overstolz wurde 1957 in Bonn geboren. Er studierte an der Business School in St. Gallen in der Schweiz (1985) und an der Harvard Business School, USA (1994). 1995 begann er seine Karriere bei Bosch in Deutschland, Italien und Malaysia.

Von 2006 bis 2013 war er als Executive Vice President für Finanzen und Administration bei der Bosch Rexroth AG tätig. Anschließend war er als Senior Vice President für Finanzen und Administration im Geschäftsbereich Antriebs- und Steuerungssysteme der Bosch Rexroth AG tätig.


Wie wichtig ist das Russlandgeschäft für Bosch?

Bosch hat eine lange Tradition in Russland (seit 1904). Russland war eines der ersten Länder außerhalb Deutschlands, in dem Bosch eine Vertriebsorganisation gegründet hat. Russland ist ein strategisch wichtiger Markt für Bosch. Unsere letzten Investitionen in zwei Werke und die neue Zentrale in der Nähe von Moskau symbolisieren unsere Verbundenheit mit dem Land und der Region. Bosch hat sieben erfolgreiche Werke in Russland einschließlich unserer neuen Fabrik für Autokomponenten, die sich sehr dynamisch entwickelt. Wir sind Arbeitgeber von 4.000 Mitarbeitern in Russland. Wir sind sicher, dass unser Geschäft langfristige Perspektiven in diesem Land hat. Russland hat 142 Mio. Einwohner und in der Region leben mehr als 280 Mio. Menschen. Wir wollen auch auf die Zeiten nach der Krise vorbereitet sein.

Die Bosch-Geschäftsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland bestehen schon seit vielen Jahrzehnten aus professioneller strategischer Zusammenarbeit und Partnerschaft. Unsere Partner schätzen das hoch an. Stabile Businessbeziehungen basieren auf gegenseitigem Vertrauen.

Russland ist nicht nur selbst ein wichtiges Land, das größte Land der Erde, sondern auch das natürliche Zentrum der Region. Von hier aus bedienen wir zum größten Teil die umliegenden Länder. Insgesamt werden wir dieses Jahr einen Umsatz von etwa 1,4 Mrd. Euro erreichen, und das unterstreicht die Bedeutung des Geschäfts für Bosch.

Welches sind Ihre wichtigsten Geschäftsbereiche in Russland?

Im Großen und Ganzen sind wir mit der Entwicklungsdynamik von Bosch auf dem russischen Markt zufrieden. 2017 beobachten wir eine Erholung des Marktes aus verschiedenen Richtungen.

Automobil-Erstausrüstung: Inbetriebnahme der neuen Modelle durch russische KfZ-Hersteller, eine anziehende Nachfrage nach PKW und Nutzfahrzeugen sowie Interesse der Verbraucher an Systemen der aktiven Sicherheit. In dieser Branche ist es wesentlich, die staatlichen stimulierenden Maßnahmen anwenden zu können. Der KfZ-Markt hat insgesamt angezogen in diesem Jahr und den Tiefpunkt überschritten.

Automobilersatzteile und Ausrüstung: Erhebliche Erhöhung des Umsatzvolumens 2017. Andererseits bestehen für Bosch zwei Herausforderungen, und zwar ein steigender Anteil lokaler Marken und die Erhöhung des Anteils asiatischer Fahrzeuge.

Thermotechnik: Mehr Anfragen von Endverbrauchern der Gas- und Warmwasser- sowie der Industrieanlagen. Im Großen und Ganzen ist auf dem Markt eine positive Dynamik erkennbar, aber er leidet noch indirekt unter den Finanzsanktionen.

Power Tools: Elektrowerkzeuge zeigen besonders in 2017 ein sicheres Wachstum und eine dominante Position auf dem russischen Markt. Als wichtige Erfolgskriterien der Strategie gelten das hohe Niveau der Einführung von Neuheiten und Gewinn bei großen Bauausschreibungen.

Sicherheitssysteme: Der Wettbewerbsvorteil von Bosch auf dem russischen Markt ist die komplexe Lösung gleich in vielen Segmenten, wobei der Großteil der Wettbewerber die Lösung nur in einem Segment anbieten (Video oder Brandmeldeanlage). Und in Konferenzsystemen kommen wir gut weiter. Schwierigkeiten macht uns die Lokalisierungsanforderungen im Rahmen der Importsubstitution bei öffentlichen Tendern.

In welchen Bereichen bestehen Wachstumsmöglichkeiten auf dem russischen Markt?

Wachstum entsteht auch durch den Export, den einige Werke realisieren können. Das betrifft unsere Werke in Petersburg – BSH aber auch Engels bei Powertools und insbesondere Samara – die Hälfte der Produktion von ABS/ESP geht in den Export und wird in dem Maße wieder zurückgefahren, wie wir die Produktion hier in Russland für den sich langsam erholenden Pkw-Markt brauchen. Den höchsten Exportanteil (fast zwei Drittel) verzeichnen wir bei Zündkerzen in Engels, dass das Kompetenzzentrum für die Industriezündkerze weltweit geworden ist. Das ist ein Riesenerfolg für den Standort Engels.

Welche Auswirkung hat die Politik auf das russische Bosch-Geschäft? Inwiefern sind Sie von den Sanktionen betroffen?

Die Faktoren, welche eine erkennbare Wirkung auf das Geschäft von Bosch in Russland haben, sind:

  • Rubel-Kursschwankungen hinsichtlich EUR/USD, was eine ständige Preiskorrektur erfordert,
  • EU- & US-Sanktionen – das ist sowohl die Einwirkung auf den Währungskurs als auch die Projektabwicklung,
  • Finanzsituation und verfügbare Finanzierung für unsere lokalen Kunden.

Im nächsten Jahr rechnen wir mit mäßigem Marktwachstum und mit einer stabilen Position von Bosch in Russland. Obwohl die ökonomische und politische Situation in Russland challenging bleibt, können wir erste Wiederauflebenszeichen des russischen Markts beobachten – vorausgesetzt die politische Situation stabilisiert sich weiter. Bosch hat in 2016 den Umsatz von 1.2 Mrd. Euro (92 Mrd. Rubel) in GUS, Ukraine und Georgien erwirtschaftet.

Das stellte ein leichtes Wachstum in Euro und 11% Wachstum in Rubel im Vergleich zu 2015 dar. Für das Unternehmen in der Region bleibt Russland im Fokus, wo Bosch Fortschritte im vorigen Jahr gemacht hat und verstärkt Marktanteile in allen Geschäftsbereichen dazugewonnen hat. Der Umsatz in Russland ist 4.3% gewachsen im Vergleich zu 2015 und hat 1.05 Mrd. Euro im Jahr 2016 erreicht.

Gibt es Bemühungen, die Produktion in Russland auszubauen und zu lokalisieren?

Wir haben allein in den letzten Jahren in zwei neue Werke und unsere Zentrale über 300 Mio. Euro investiert und haben bei unseren Investitionsanstrengungen auch – und gerade – in der Krisenzeit nicht nachgelassen.

Jetzt müssen sich diese Investitionen ersteinmal amortisieren und parallel sind wir offen für Wachstumschancen auf allen Gebieten, wenn sich die russische Wirtschaft weiterhin erholt. Unsere Lokalisierungsgrade sind in einzelnen Bereichen durchaus unterschiedlich. Im Schnitt werden wir 2017 erst über 30% liegen, das umfasst aber Produkte ohne sowie mit sehr hoher Lokalisierung (wie z.B. Heizkörper).

Wie investiert Bosch in die Zukunft? Stichwort: Künstliche Intelligenz.

Um die Forschung auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz in Baden-Württemberg voranzutreiben, bündeln Bosch und Partner aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft ihre Kräfte: Das Cyber Valley soll nach dem Vorbild des Silicon Valleys dazu beitragen, Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in konkrete industrielle Anwendungen zu überführen. „Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz sind Schlüsselkompetenzen, um die vernetzte Welt zu gestalten“, sagte Bosch-Chef Dr. Volkmar Denner anlässlich des Startschusses des Cyber Valley in Stuttgart. „Im internationalen Innovationswettbewerb sollte Deutschland bei diesem Know-how das Feld nicht allein den großen ausländischen IT-Unternehmen überlassen“. Bosch unterstützt die Aktivitäten mit rund sieben Millionen Euro.

Im Cyber Valley Zentrum werden in der Region Stuttgart-Tübingen Spitzenforscher verschiedener Disziplinen, wie zum Beispiel Software Engineering, Physik, Biologie, Materialwissenschaften und Neurowissenschaften zusammenarbeiten.

Wie entwickelt sich das neue Werk in Engels und die Produktion von Automobiltechnologie in der Region Samara?

In Bezug auf bereits lokalisierte Fertigungen entwickelt sich das Werk Samara sehr positiv. Bei allen wesentlichen KPI wird mindestens die Performance der Schwesterwerke im Fertigungsverbund erreicht. Bei einzelnen Erzeugnisse (ABS/ESP) ist durch hohe Exportbedarfe rund-um-die-Uhr Betrieb an 360 Tagen in 2017 notwendig. Nachteilig bleiben die hohen Transportkosten bei Exportprojekten und die schwierige Zollabwicklung, besonders bei re-exportierten Importkomponenten. Trotz Erholung am russischen Automobilmarkt bleiben wettbewerbsfähige Exportmöglichkeiten entscheidende Erfolgfaktoren für die Ansiedlung weiterer Erzeugnisse im Werk.

Robert Bosch Samara
Bosch Werk am Standort in Samara. Quelle: Pressefoto Bosch.

Inwiefern ist die russische Politik darum bemüht, Bosch in Russland zu unterstützen?

Wir hatten sehr gute Unterstützung beim Aufbau der Werkes in Samara, auch beim Aufbau der Zentrale in Chimki. Generell kann man sagen, dass es neben der grundsätzlich positiven Haltung der Administration gegenüber Bosch, vor allem auf die regionale und kommunale Unterstützung ankommt, wenn konkrete Projekte verfolgt werden, und das läuft sehr gut.

Welche Haushaltsgeräte werden in Russland am meisten nachgefragt?

Die Mehrheit der in Russland verkauften großen Haushaltsgeräte (und die größten Kategorien auf dem Markt der großen Haushaltsgeräte sind Kühlschränke und Waschmaschinen) sind die freistehenden Geräte (free-standing) und nicht die Einbaugeräte (built-in). Der Grund dafür liegt in kleinen Flächen der Wohnungen und Räume darin; aus demselben Grund erfreuen sich größter Beliebtheit die schmalen Waschmaschinen (slimline) mit der Tiefe von 40-45 cm. Wegen Flächenprobleme werden Waschmaschinen in Russland oft in kleinräumigen Badezimmern und sogar in Fluren untergebracht (Kühlschränke passen übrigens auch nicht immer in die Küchen hinein). Aus demselben Grund ist wohl die Nachfrage nach Trocknern, besonders nach freistehenden Geräten, ziemlich gering.

Die wachstumsstärkste Kategorie in Russland sind die Geschirrspülmaschinen, obwohl ihr Eindringen noch relativ gering ist: 8% durchschnittlich im Land und 15% in Moskau. In Kategorien der Geschirrspülmaschinen und Backöfen im Unterschied zu Kühlschränken und Waschmaschinen überwiegen die Einbaugeräte.

Eines der wichtigsten strategischen Prinzipien von BSH ist die Kundenorientierung. Die Firma analysiert sorgfältig den Kundenbedarf, schafft die Produkte und bringt diese auf den Markt ausgehend von diesem Bedarf. Ein perfektes Realisierungsbeispiel ist die neue Produktlinie von Kühlschränken Bosch NatureCool geworden, welche eine riesige Begeisterung bei Verbrauchern und Handelspartnern auslöste, wodurch der Marktanteil in der Kühlschrankkategorie bedeutend gestiegen ist.

Wie angesehen sind Bosch-Produkte in Russland?

In Russland wird die deutsche Qualität traditionell sehr hoch geschätzt und unter deutschen Marken ist gerade Bosch wohl die bekannteste Marke. Sie wird definitiv mit Deutschland assoziiert, hat einen hohen Stellenwert (Prestige) und nimmt unveränderlich die Führungspositionen ein. Die Marktforschung und Verbraucherbefragung zeigen, dass Bosch nicht nur die Marke Nr. 1 auf dem Markt der großen und kleinen Haushaltsgeräte, sondern auch die bevorzugte Wahl für die hohe Anzahl von Russen (26%) im Vergleich zu anderen Marken ist.

Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Overstolz.


Informationen zum Unternehmen
Die ersten Bosch-Produkte wurden 1904 auf dem russischen Markt eingeführt. Heute bietet das Unternehmen eine breite Palette von qualitativ hochwertigen Produkten und Dienstleistungen in den Bereichen Kfz-Ausrüstung und Ersatzteile, Elektrowerkzeuge, Haushaltsgeräte, Heiztechnik, Sicherheitssysteme, industrielle Verpackungsanlagen und integrierte Systemlösungen für die Automatisierung von Fertigungsprozessen.

In Russland gibt es sieben Bosch-Werke: In der Region Leningrad werden Haushaltsgeräte hergestellt, in Engels in der Region Saratow befinden sich Anlagen für Elektrowerkzeuge, Autoteile, Heizgeräte und Heizkörper und in der Region Samara ist ein Automobiltechnikwerk in Betrieb.

Der Umsatz der Bosch-Gruppe in Russland belief sich im Geschäftsjahr 2016 auf 1.050 Mio. Euro. Bosch beschäftigt in Russland 3.740 Mitarbeiter (Stand: 31. Dezember 2016).

Hier geht es zur Website des Unternehmens.

Titelbild
Quelle: Pressefoto Bosch.[/su_spoiler]