Kolumne: Gemischtes Doppel #42 – Der gute Zar der Intelligenzija
Heute ist der 31. Mai 2017, willkommen beim Gemischten Doppel. Diesmal Maxim Kireev (RU): Nach der Razzia im Moskauer Avantgarde-Theater „Gogol-Zentrum“ wenden sich die Kulturschaffenden an Präsident Putin. Der gute Zar kann doch nichts davon gewusst haben!
Von Maxim Kireev, n-ost
Liebe Leserinnen und Leser,
willkommen in der Welt der russischen Kultur. Nein, ich meine natürlich nicht ihren schönen Teil mit allerlei Bolschoi-Aufführungen und Ausstellungen im hippen Moskauer Museum „Garage“. Ich lade ein in eine Welt, in der Sie als berühmtester Theater-Regisseur des Landes plötzlich eine halbe Armee maskierter Polizisten vor der Wohnungstür begrüßen müssen, die einen Blick in Ihre Aktenordner, den Wäscheschrank oder das kleine Tütchen da auf dem Kaffeetisch werfen wollen.
Vergangene Woche durchsuchte die Polizei nicht nur die Wohnung von Star-Regisseur Kirill Serebrennikow. Sie kreuzte auch mit einer Razzia in seinem Theater „Gogol-Center“ auf. Ehemalige Mitarbeiter beim Kulturministerium, die mit Serebrennikow kooperierten, bekamen ebenfalls Polizeibesuch. Es geht, so heißt es, um den Verdacht auf Veruntreuung von umgerechnet 5 Millionen Euro Fördergeld.
Ob an den Vowürfen etwas dran ist, spielt erst einmal keine Rolle. Wichtig ist, das Serebrennikow mit seinen provokanten Inszenierungen vielen Patrioten in Putins Dunstkreis ein Dorn im Auge war. Und derartige Spezialoperationen der Polizei kennen die Russen seit den 1990er Jahren: „Maski-Show“ heißt das hierzulande, und natürlich soll es in erster Linie einschüchtern. Umso bemerkenswerter, dass noch am selben Tag eine ganze Riege bekannter Schauspieler und Theatergrößen eine öffentliche Solidaritätsadresse unterschrieb. Darunter nicht wenige, die Putin einst im Wahlkampf unterstützten, etwa die Schauspielerin Tschulpan Chamatowa oder der Regisseur Oleg Tabakow.
Doch wer jetzt einen Breitseite gegen den Präsidenten und die Willkür seiner Machtstrukturen erwartete, lag falsch. Stattdessen verlas Chamatowa einen Aufruf an die Machthaber, „keine überflüssige Brutalität“ bei den Ermittlungen zuzulassen und drückte ihre Hoffnung auf einen „fairen Prozess“ aus. Das I-Tüpfelchen setzte Jewgenij Mironow, der Leiter eines bekannten Moskauer Theaters, der Putin während eines Empfangs im Kreml auf den Fall ansprach und ihm den Brief übergab. Den Dialog unter vier Augen überlieferte später die Zeitung „Kommersant“.
„Haben Sie davon gewusst“, fragte Mironow den Kremlherren entsetzt.
„Gestern“, antwortete der Kreml-Herr, habe er davon erfahren.
Darauf Mironow: „Sie fliegen doch bald nach Frankreich, wozu brauchen sie das jetzt.“
Die Antwort Putins: „Naja, Idioten.“
Dieser Dialog war eine Steilvorlage für jene, die schon immer die Kulturbranche davor gewarnt haben, sich mit dem Staat einzulassen. Doch der Fall wirft auch eine wichtige Frage auf. Glauben Serebrennikows Freunde tatsächlich an den guten Zaren, der von den Umtrieben seiner Handlanger nichts weiß?
Auf den ersten Blick mag es so aussehen, doch das Problem liegt tiefer. In den Köpfen vieler Russen steckt der Glaube, dass politischer Druck im Gespräch mit der Staatsmacht kontraproduktiv ist. Das hat sich jüngst auch bei den Protesten gegen den geplanten Abriss hunderter Plattenbauten in Moskau gezeigt. Die Organisatoren des Protests hatten nichts mehr gefürchtet, als dass oppositionelle Politiker sich dort zu Wort melden könnten. Später stellte sich heraus, dass die Stadtregierung diese Proteste nur zuließ, weil ein Teil der Organisatoren entsprechende Zusagen gemacht hatte. Eine Hand wäscht die andere. Politik gilt in dieser Welt, in der auch viele Intellektuelle verharren, als etwas Anstößiges, das es zu vermeiden gilt. Doch selbst wenn es im Falle Serebrennikow noch funktionieren dürfte: Was sollen jene tun, die keine Freunde im Kreml haben?
Wie es der Zufall will, hat das Kulturministerium vor wenigen Wochen eine Liste mit allen Gehältern des Führungspersonals föderaler Kultureinrichtungen veröffentlicht. Dieser Liste lässt sich entnehmen, dass etwa Oleg Tabakow, einer der Unterzeichner des Unterstützerbriefes, im Jahr als künstlerischer Leiter eines Theaters in Moskau fast 150.000 Euro kassiert. Sein Kollege Mironow, der Putin auf den Fall ansprach, kommt auf fast 100.000 Euro. Selbst für Moskauer Verhältnisse sind das sehr ordentliche Gehälter. Vielleicht fällt es so tatsächlich in dem einen oder anderen Fall leichter, auf einen „fairen Prozess“ zu hoffen, ohne den Zaren zu ärgern.
Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer. Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs Stereoscope von n-ost.
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