Ergebnisse des Wahlwochenendes in Russland
Die am Sonntag zu Ende gegangene dreitägige, von Wahlmanipulations-Vorwürfen aus dem Ausland und der außerparlamentarischen Opposition begleiteten Wahl des Unterhauses des russischen Parlaments, der Staatsduma, signalisiert trotz der Zwei-Drittel-Mehrheit der Sitze für die Regierungspartei „Einige Russland“ wachsende soziale Unzufriedenheit. Vor diesem Hintergrund gilt es vielen Experten als unwahrscheinlich, dass die Regierung zu weiteren Reformen wie der unbeliebten Erhöhung des Renteneintrittsalters oder marktwirtschaftlichen bzw. die Wirtschaft stimulierenden Maßnahmen greifen werde.
Insgesamt haben fünf Parteien die Fünfprozenthürde überwunden und werden in das Parlament einziehen. Ihre Wirtschaftspolitik haben wir für Sie in den vergangenen Wochen analysiert. Zum Nachlesen klicken Sie gern auf die angegebenen Links. Einiges Russland erreichte 49,8 Prozent, die Kommunisten (KPRF) 18,9 Prozent, die Liberal-Demokratische Partei (LDPR) 7,5 Prozent, Gerechtes Russland – Patrioten – Für die Wahrheit 7,5 Prozent und die neue Dumapartei Neue Leute 5,3 Prozent.
Die Regierungspartei „Einiges Russland“ und die rechtspopulistische LDPR haben Verluste zu verzeichnen. Bei der Duma-Wahl 2016 hatte „Einiges Russland“ noch 54,2 Prozent erhalten und die LDPR 13,1 Prozent. Das gute Ergebnis der Kommunistischen Partei, die 2016 nur 13,3 Prozent erhalten hatte, erinnert an Zeiten, als die Kommunisten die unbestrittene Nummer zwei und damit die wichtigste Oppositionspartei waren (1995-2003).
Der Stimmenzuwachs für die Kommunisten dürfte ein Weckruf für die Kreml-Strategen sein, unbeliebte „antisoziale“ Maßnahmen wie die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters abzumildern. Strukturelle Wirtschaftsreformen, die im Interesse der meisten russischen und internationalen Unternehmen liegen, werden damit weniger wahrscheinlich. Privatisierungen von Staatsbetrieben, Wettbewerbssicherung, Preisliberalisierungen im kommunalen Sektor oder Steuernachlässe für innovatives Kapital haben politisch nach dieser Wahl keine Konjunktur. Hinzu kommt, dass die Kommunisten außenpolitisch eine stärkere Abgrenzung vom Westen befürworten.
Das überraschend starke Wahlergebnis der erst zu Beginn der Corona-Krise gegründeten Partei „Neue Leute“ spiegelt einerseits das Bedürfnis der Wähler nach sozialen Korrekturen wider. Andererseits ist ihre Aufwertung der Staatsbürokratie dienlich, die an einer Begrenzung des Gewichtes „außersystemischer“ rechtsliberaler Parteien interessiert ist. Angesichts der deklariert antibürokratischen Ausrichtung der Partei mag das als paradox erscheinen. Mehrere Kommentatoren weisen darauf hin, dass „Neue Leute“ mit hoher Wahrscheinlichkeit das Wohlwollen der innenpolitischen Verwaltung der russischen Präsidialadministration genießt. Der Einzug einer Mitte-rechts-Partei in die Staatsduma kompensiere die Schwächung von „Einiges Russland“. Zugleich entspreche dieser vorsichtige Wandel auch dem konservativen Charakter der russischen Gesellschaft und ihrem Hang zum Paternalismus, der sich auf der Linken ebenso artikuliert wie auf der Rechten.
Quelle: AHK
Diese Meldung stammt aus dem Morgentelegramm der AHK Russland. Das Morgentelegramm ist ein exklusiver AHK-Newsletter mit einer kurzen Nachrichtenübersicht zur Wirtschaft in Russland.