Chefinnen am Steuer und in der Küche

Russische Chefinnen auf dem Vormarsch

Fast jede dritte russische Firma wird von einer Frau geleitet. Mit Kreativität und langem Atem entwickeln sie ihre Ideen zu Erfolgen.

Von Maria Bolschakowa

„Die Entwicklung der weiblichen Geschäftswelt ist einer der vielversprechendsten Antreiber des Wirtschaftswachstums“, erklärte die Vorsitzende der russischen Abteilung der Frauen-Geschäftsallianz der BRICS-Staaten Anna Nesterowa im November 2020. Selbst im schweren Corona-Jahr haben es Russlands Frauen geschafft, den Gendergap in der Wirtschaft deutlich zu verringern. Das geht aus dem aktuellen Mastercard Index of Women Entrepreneurs hervor. Fast jedes dritte Business wird in Russland von einer Frau geführt. Die MDZ zeigt zwei ungewöhnliche Geschäftsideen.

Drei Frauen übernehmen das Steuer

Die Geschichte von BelkaCar beginnt in einer Moskauer Küche. Nach einem langen Tag an der Start-up-Akademie Skolkowo rufen Jekaterina Makarowa und Jelena Muradowa ihre ehemalige Kommilitonin Loriana Sardar in Mailand an. Sardar erzählte vom Carsharing-Boom in Italien und die drei beschlossen, die Idee nach Moskau zu bringen. So groß der Enthusiasmus der Gründerinnen war, so gering war ihre Erfahrung, weder in der Geschäftswelt noch in der Automobilbranche.

Dennoch glaubten die Frauen an ihre Idee und holten sich Rat bei Experten, unter anderem bei den Gründern des größten Carsharing-Anbieters der Welt Zipcar. Die Rückmeldungen, die sie bekamen, halfen ihnen dabei, viele Fehler zu vermeiden und die Motivation nicht zu verlieren. Schließlich trafen Makarowa, Muradowa und Sardar auf jede Menge Skeptiker. Weder Autohersteller noch die Beamten im Moskauer Rathaus konnten die Vorteile erkennen.

Service auf andere Städte erweitert

Auch die Suche nach Investoren gestaltete sich schwierig. So mussten die jungen Frauen ihr Start-up zunächst mit ihrem eigenen Geld und dem der Familie finanzieren. Als nach vielen Anschreiben ein Investor gefunden wurde, ging BelkaCar 2016 an den Start. Trotz einiger Probleme zu Beginn wagten die Gründerinnen schnell Neues und führten ein Premium-Class-Angebot mit Autos der Oberklasse ein. Makarowa, Muradowa und Sardar erkannten zudem früh, dass auch Menschen außerhalb Moskaus an der Idee des geteilten Autos Gefallen finden könnten.

Im Juli 2018 startete BelkaCar im südrussischen Sotschi, im Sommer 2020 kamen die Küstenstädte Anapa, Gelendschik und Noworossijsk hinzu. Nach Unternehmensangaben stehen den Kunden 4300 Fahrzeuge zur Verfügung. Im Jahr 2018 setzte BelkaCar 1,37 Milliarden Rubel (15,2 Millionen Euro) um.

Ein Baukasten für Feinschmecker

Spätestens mit der Corona-Pandemie sind Lieferdienste für Lebensmittel zu einem festen Bestandteil des Lebens vieler Russen geworden. Als das Virus im vergangenen Jahr die Menschen dazu zwang, monatelang zuhause zu bleiben, war Olga Sinowjewa gut auf die Situation vorbereitet. Schließlich hatte die ehemalige Unternehmensberaterin schon 2014 ihren Lieferservice Elementaree gegründet, zu einer Zeit, als es noch nicht Mainstream war.

Doch Sinowjewa wollte mehr, als einfach nur fertiges Essen an die hungrige Kundschaft zu übergeben und ersann spezielle Sets zum selbst zubereiten. Die Idee dazu kam der jungen Frau während ihres Studiums an der Harvard Business School. Damals gab es in den USA bereits eine Firma, die auf diese Weise Menüs für ihre Kunden zusammenstellte. Sinowjewa brachte das Geschäftsmodell nach Russland mit.

Mehrmals am Tag frische und abwechslungsreiche hausgemachte Speisen zu kochen ist nicht so einfach, außerdem wird viel Zeit für Vorbereitungsprozesse aufgewendet. Als ehemalige Unternehmensberaterin beschloss Sinowjewa zunächst, Prozesse zu optimieren. Kurz darauf präsentierte sie einen groben Plan bei einem Start-up-Wettbewerb an der Harvard Business School. Vor der Gründung von Elementaree im Jahr 2013 hatte Sinowjewa nie den Gedanken an ein eigenes Unternehmen verschwendet. Dementsprechend gering war ihre Hoffnung auf Finanzierung.

Hier kam das Glück ins Spiel – ein erfahrener Investor fand die Idee auch für Russland ziemlich gut und erklärte sich bereit, Geld für das Projekt zu geben. Dieses positive Feedback führte dazu, dass Sinowjewa die Beratungsagentur endgültig verließ und beschloss, ihre ganze Zeit und Energie dem eigenen Projekt zu widmen.

Nach der Rückkehr nach Moskau hieß es erstmal einen Koch und eine Küche zu finden und einfache wie leckere Rezepte zu entwerfen. Gerade in den ersten Monaten kam es vor, dass die Chefin selbst Kartoffeln schälte. Elementaree will für die Kunden praktisch und flexibel sein. Das Unternehmen verspricht, dass die Zubereitung nicht länger als 15 Minuten dauert.

Von der Pandemie profitiert

Das vergangene Jahr war für das Unternehmen das bisher erfolgreichste. Die Zahl der Kunden stieg von 24 500 auf 37 800. Mit 260 000 Bestellungen pro Monat konnten die Aufträge mehr als verdoppelt werden. Der Umsatz kletterte auf 900 Millionen Rubel (zehn Millionen Euro). Damit rutschte Elementaree auf Platz vier unter Russlands Essenslieferanten vor. Doch Sinowjewa denkt bereits in größeren Dimensionen.

Schließlich habe Elementaree Kapazitäten für knapp 500 000 Bestellungen im Monat aufgebaut, erklärte die Geschäftsfrau in einem Interview mit der Online-Zeitung „vc.ru“. Außerdem investierten ein russischer Fonds und ein französisches Nahrungsmittelunternehmen fünf Millionen US-Dollar. Sinowjewa möchte damit die Produktion ausbauen und mit Elementaree nach Nowosibirsk, Jekaterinburg und Nischnij Nowgorod expandieren.

Titelbild
Titelbild: Pressedienst BelkaCar
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Dieser Text erschien zuerst in der Moskauer Deutschen Zeitung.