Russland: Sinkt das Budgetdefizit trotz stark steigender Rüstungsausgaben?

Die russische Regierung plant laut Pressemeldungen, im Jahr 2024 reichlich doppelt so viel für militärische Zwecke auszugeben wie im Jahr 2022. Gleichzeitig soll aber die Defizitquote im föderalen Haushalt etwa halbiert werden und nur noch knapp 1 Prozent erreichen.

Die Rüstungsausgaben verdoppeln sich in nur zwei Jahren

Bis zum 01. Oktober wird die russische Regierung dem Parlament ihre neue Haushaltsplanung vorlegen. Mitte September teilte sie bereits mit, dass sie ihre Prognosen für das Wirtschaftswachstum kräftig anhebt. 2023 soll das reale Bruttoinlandsprodukt um 2,8 Prozent wachsen und 2024 um 2,3 Prozent.

Am 22. September wurde von Bloomberg berichtet, dass die Verteidigungsausgaben gleichzeitig reichlich verdoppelt werden sollen. Sie sollen von 4,7 Billionen Rubel im Jahr 2022 auf 10,8 Billionen Rubel im Jahr 2024 steigen. Nach Berechnungen von Bloomberg wird ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 2,7 Prozent im Jahr 2021 vor dem Ukraine-Krieg auf 3,9 Prozent im Jahr 2023 und auf 6 Prozent im Jahr 2024 steigen.

Trotz der stark steigenden Verteidigungsausgaben will die russische Regierung laut Bloomberg die Defizitquote im föderalen Haushalt halbieren. Das Defizit soll von 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2022 auf 1,8 Prozent des BIP im Jahr 2023 und auf 0,9 Prozent des BIP im Jahr 2024 sinken.

Analysten halten diese Prognosen für zu optimistisch. Die Frankfurter DekaBank rechnete Anfang September zum Beispiel mit einem Anstieg des Haushaltsdefizits von 2,1 Prozent des BIP im Jahr 2022 auf 3,7 Prozent des BIP im Jahr 2023. Im Jahr 2024 erwartet die DekaBank lediglich einen Rückgang des Defizits auf 3,0 Prozent des BIP.

„The Bell“: Verschiebung der Ausgabeprioritäten zur „Kriegswirtschaft“

Das Wirtschaftsmagazin „The Bell“, das von der russischen Regierung als „ausländischer Agent“ betrachtet wird (siehe „The Fix“), weist in einem Kommentar zum Bloomberg-Bericht darauf hin, dass Russlands Verteidigungsausgaben 2024 um 69 Prozent höher sein sollen als 2023. Die sozialpolitischen Ausgaben würden im nächsten Jahr nominal zwar auch kräftig steigen (+ 15,3 Prozent), aber längst nicht so „dramatisch“ wie die Verteidigungsausgaben. Zum ersten Mal in der modernen russischen Geschichte wären damit im Jahr 2024 die Verteidigungsausgaben (10,8 Billionen Rubel) höher als die Sozial-Ausgaben (7,5 Billionen Rubel).

bne IntelliNews veröffentlichte folgende Abbildung zur Entwicklung der Verteidigungsausgaben im Vergleich mit den Ausgaben für sozialpolitische Zwecke, für „Nationale Sicherheit“, Wirtschaftsförderung, Bildung und Gesundheit in den Jahren 2023 und 2024.

bne Intellinews, Ben Aris: Russia approves first full wartime budget for 2024 with 1.7-fold increase in military spending, 23.09.23

 

Auch Ben Aris merkt an, dass der Anteil der Verteidigungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt im Jahr 2024 mit rund 6 Prozent etwa doppelt so hoch sein dürfte wie vor dem Ukraine-Krieg. Das sei vergleichbar mit dem Anteil der Militärausgaben der USA in den 80er Jahren beim letzten „Höhepunkt“ des „Kalten Krieges“. Nach 1988 hätten die USA aber nie mehr als 6 Prozent des BIP für Verteidigung ausgegeben. Die Sowjetunion habe hingegen 12 bis 14 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für das Militär verwendet. Davon sei die heutige russische Regierung noch weit entfernt.

Der für 2024 geplante Haushalt ist, so „The Bell“, kein „Entwicklungs-Budget“ – was immer auch Ministerpräsident Mischustin dazu sagen dürfte. Prioritäre Ziele für die Regierung seien, die Kriegsanstrengungen zu verstärken und sich die Loyalität der Bevölkerung zu erkaufen. Die russische Wirtschaft werde ihre Transformation in eine „Kriegswirtschaft“ fortsetzen. Sie werde unter hoher Inflation leiden. Die Zentralbank werde ihre hohen Zinsen beibehalten müssen.

Nach Einschätzung von „The Bell“  besteht kein Zweifel, dass die russische Regierung den Krieg bis Ende 2025 finanzieren kann. Danach werde es aber „more tricky“.

Der Anteil der Verteidigungsausgaben verdoppelt sich auf 30 Prozent

Die Chef-Volkswirtin der Anlagegesellschaft FINAM, Olga Belenkaya, hat in einem Beitrag zur Haushaltsplanung der Regierung unter anderem analysiert, wie sich die Struktur der Ausgaben im föderalen Haushalt seit dem Jahr 2021, dem Jahr vor dem Beginn des Ukraine-Krieges, verändert hat. Folgt man den bisher unbestätigten Bloomberg-Angaben werden sich laut Belenkaya die russischen Verteidigungsausgaben von 2021 bis 2024 auf 10,8 Billionen Rubel verdreifachen (siehe folgende Tabelle).

Der Anteil der Verteidigungsausgaben an den gesamten föderalen Ausgaben wird nach ihren Berechnungen im Jahr 2024 rund 30 Prozent erreichen. Vor dem Ukraine-Krieg sei der Anteil im Jahr 2021 mit 15 Prozent nur halb so hoch gewesen. Gleichzeitig werde der Anteil der Ausgaben für „Nationale Sicherheit“ von 9 Prozent im Jahr 2021 auf 10 Prozent im Jahr 2024 erhöht.

Sinken werden hingegen laut Belenkaya die Anteile der Ausgaben für sozialpolitische Zwecke (von 27 Prozent im Jahr 2021 auf 20 Prozent im Jahr 2024), für Wirtschaftsförderung (von 17 auf 11 Prozent) und für das Gesundheitswesen (von 6 auf 4 Prozent). Der Anteil der Bildungsausgaben werde bei 4 Prozent stagnieren.

Veränderung der Struktur der föderalen Ausgaben von 2021 bis 2024

 * Electronic budget

Ben Aris: Die Haushaltsplanung ist zu optimistisch

Nach Einschätzung von Ben Aris basiert die Haushaltsplanung der Regierung auf zu optimistischen Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung der Ein- und Ausgaben.

Die Regierung gehe davon aus, dass die Einnahmen im Jahr 2024 rund 34 Prozent höher sein werden als 2023 (2023: 26,1 Billionen Rubel; 2024: 35 Billionen Rubel). Dabei nehme sie an, dass die Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich überdurchschnittlich stark um rund 44 Prozent steigen (2023: 8 Billionen Rubel; 2024: 11,5 Billionen Rubel).

Die Haushaltsausgaben sollen gleichzeitig nur um rund 26 Prozent steigen (2023: 29 Billionen Rubel; 2024: 36,6 Billionen Rubel).

BOFIT: Im Jahresverlauf 2023 hat sich der Ausgabenboom abgekühlt 

Zur aktuellen Entwicklung des föderalen Haushalts im Jahr 2023 hat das Finanzministerium bisher Zahlen für die ersten acht Monate veröffentlicht.

Das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank berechnete, wie sich die Ausgaben und Einnahmen im russischen Föderalhaushalt saisonbereinigt entwickelt haben. BOFIT stellt fest, dass die Ausgaben (rote Linie) am Jahresanfang 2023 sehr stark erhöht wurden. Gleichzeitig sanken die Einnahmen (blaue Linie). Bis zum Februar stieg das Defizit im Haushalt stark an (blaue Säulen).

Russia’s federal budget spending growth has cooled in recent months

Sources: CEIC/Russian Ministry of Finance, BOFIT.

BOFIT, Bank of Finland:  BOFIT Weekly, 15.09.23

 

In den letzten Monaten sanken die Haushaltsausgaben jedoch, während die Einnahmen gleichzeitig stiegen. Das Haushaltsdefizit wurde inzwischen völlig abgebaut. Im August wurde ein Haushaltsüberschuss erzielt.

BOFIT: Der für 2023 geplante Rückgang der Ausgaben ist sehr unwahrscheinlich

Im gesamten Zeitraum Januar bis August 2023 stiegen die Haushaltsausgaben laut BOFIT im Vorjahresvergleich um rund 12 Prozent. Die Haushaltseinnahmen seien gleichzeitig um fast 4 Prozent gesunken.

Das Haushaltsgesetz für 2023 sieht nach Angaben von BOFIT vor, die Haushaltsausgaben im Vergleich zum Vorjahr um rund 7 Prozent zu verringern. Nachdem sie in den ersten acht Monaten aber rund 12 Prozent höher waren, müssten die Ausgaben im Zeitraum September bis Dezember im Vorjahresvergleich um rund 30 Prozent gesenkt werden, um den Haushaltsplan einzuhalten. Angesichts der Kosten des Krieges und der im nächsten Jahr bevorstehenden Präsidentenwahlen ist es nach Einschätzung von BOFIT höchst unwahrscheinlich, dass die Regierung die Ausgaben so drastisch kürzt.

 

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Die Zentralbank erwartet weniger Wachstum als die Regierung, 18.09.23

Auch viele deutsche Institute erwarten rund 2 Prozent Wachstum in Russland, 12.09.23

Russland: Konjunktur im Juli stärkt die Wachstumsprognosen für 2023, 04.09.23

Stagniert Russlands Wirtschaft nach der Erholung der Produktion jetzt? 28.08.23

Bleiben Russlands Exporterlöse und der Rubel-Kurs so niedrig? 21.08.23

 

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

Titelbild
  Quelle: https://pixabay.com/en/the-kremlin-winter-moscow-610026/