Deutsche Institute: Russlands Wirtschaft wächst 2021 um 4,5 Prozent

Der starke Anstieg der Erlöse aus dem Öl- und Gasexport gibt Impulse

Die am Donnerstag veröffentlichte „Gemeinschaftsdiagnose der deutschen Konjunkturforschungsinstitute prognostiziert, dass Russlands Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 4,5 Prozent wächst. Vor einem halben Jahr hatten die Institute nur mit einem Anstieg um 3,0 Prozent gerechnet. Der Internationale Währungsfonds hob seine Prognose für das diesjährige Wachstum am Dienstag sogar auf 4,7 Prozent an. Was sind die Gründe hierfür?

Ein Grund für die höheren Wachstumsprognosen ist der unerwartet starke Anstieg von Russlands Erlösen aus dem Öl- und Gasexport. Auch sie haben inzwischen ihr „Vorkrisenniveau“ überschritten. Sie sind wieder etwas höher als Ende 2019 vor der Corona-Krise. 

Die Erlöse aus dem Öl- und Gasexport waren im dritten Quartal fast doppelt so hoch wie vor einem Jahr 

Laut einer ersten Schätzung der Zentralbank stiegen Russlands Erlöse aus dem Export von Öl und Gas (Rohöl, Ölprodukte, Erdgas per Pipeline und LNG) im dritten Quartal auf 61,9 Milliarden US-Dollar. Sie waren damit rund 95 Prozent höher als vor einem Jahr im dritten Quartal 2020 (31,7 Milliarden US-Dollar).  

Dmitry Dolgin, Chef-Volkwirt Russland der ING Bank, veröffentlichte dazu in einer Analyse der Entwicklung der russischen Zahlungsbilanz folgende Abbildung.  

Anstieg der Brennstoff-Exporte dank höherer Preise und Mengen 

Fuel exports up thanks to prices and volumes

Dmitry Dolgin; ING Bank: Russian ruble enters 4Q21 on a strong note; 11.10.2021

Der Anstieg der Erlöse aus dem Öl- und Gasexport (graue Säulen, linke Skala) im dritten Quartal 2021 um rund 95 Prozent war hauptsächlich preisbedingt. Das zeigt die Entwicklung der Erlöse beim Rohölexport: Der Urals-Rohölpreis (rote Linie) war im dritten Quartal rund 71 Prozent höher als vor einem Jahr. Die Erlöse aus dem Rohölexport stiegen gleichzeitig um rund 82 Prozent von 16,0 auf 29,1 Milliarden US-Dollar. 

Die Erdgasexporterlöse per Pipeline verdoppelten sich in den ersten drei Quartalen im Vorjahresvergleich fast 

In den ersten drei Quartalen 2021 erhöhten sich die Ausfuhrerlöse von Öl, Ölprodukten und Erdgas laut der Schätzung der Zentralbank auf 165 Milliarden US-Dollar. Im Vorjahresvergleich (Jan. – Sep. 2020: 112,5 Mrd. US-Dollar) stiegen sie um rund 47 Prozent.  

Dabei erhöhten sich die Rohölexporterlöse um rund 39 Prozent, die Erlöse aus der Ausfuhr von Ölprodukten stiegen um rund 43 Prozent. Die Erlöse beim Erdgasexport per Pipeline wuchsen weitaus am stärksten um rund 98 Prozent. Die LNG-Ausfuhrerlöse sanken um rund 5 Prozent. 

Die „Gemeinschaftsdiagnose“ der deutschen Institute rechnet mit etwas mehr Wachstum als Russlands Regierung 

10 Wochen vor Jahresende pendeln sich derzeit die meisten Prognosen für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft zwischen 4 und 4,5 Prozent ein. In der am Donnerstag von der russischen Zentralbank veröffentlichten Umfrage bei 34 russischen und ausländischen Banken und Forschungsinstituten stieg der Mittelwert der Wachstumserwartungen für 2021von 4,2 Prozent auf 4,3 Prozent.  

Die Weltbank hob vor 2 Wochen ihre Wachstumsprognose für Russland auch auf 4,3 Prozent an. Der Internationale Währungsfonds rechnet in seinem „World Economic Outlook“ jetzt sogar mit einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 4,7 Prozent. Und auch die deutschen Konjunkturforschungsinstitute sehen in ihrer am Donnerstag veröffentlichten „Gemeinschaftsdiagnose“ das russische Bruttoinlandsprodukt ähnlich stark wachsen (+ 4,5 Prozent). 

Vor einem halben Jahr hatten die deutschen Institute in ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ nur mit einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um 3,0 Prozent gerechnet. Das Berliner Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung senkte seine Wachstumsprognose für Russland sogar noch Mitte September auf lediglich 2,2 Prozent. In der neuen „Gemeinschaftsdiagnose“ der Institute fanden jetzt aber offenbar die Einschätzungen des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (+ 4,7 Prozent) und des Münchner ifo Instituts (+ 4,2 Prozent) mehr Zustimmung.  

Die Institute prognostizieren für Russland jetzt nicht nur für 2021 mit + 4,5 Prozent eine deutlich höhere Wachstumsrate als bisher. Sie heben auch ihre Wachstumsprognose für 2022 von + 2,7 auf + 3,2 Prozent an. Die russische Regierung geht in ihrer Haushaltsplanung von einem etwas schwächeren Wachstum der russischen Wirtschaft aus (2021: + 4,2 Prozent; 2022: + 3,0 Prozent).  

Wachstumsprognosen 2021 bis 2023 

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent 

 

 

2021 

2022 

2023 

Zentralbank-Umfrage 

14.10.21 

4,3 

2,4 

2,2 

Vnesheconombank Institute 

14.10.21 

4,4 

2,4 

 

Gemeinschaftsdiagnose dt. Institute 

14.10.21 

4,5 

3,2 

2,1 

CMASF, Moskau 

13.10.21 

4,0 bis 4,3 

1,7 bis 2,0 

2,0 bis 2,4 

OPEC, Wien 

13.10.21 

4,0 

2,7 

 

Internationaler Währungsfonds 

12.10.21 

4,7 

2,9 

2,0 

Interfax Consensus Forecast 

06.10.21 

4,4 

2,5 

 

Weltbank 

05.10.21 

4,3 

2,8 

1,8 

Reuters-Umfrage 

30.09.21 

4,3 

2,6 

 

Russian Academy of Sciences 

23.09.21 

4,3 

2,6 

2,4 

OECD Interim Outlook 

21.09.21 

2,7 

3,4 

 

Russisches Wirtschaftsministerium 

21.09.21 

4,2 

Urals 66,0 $/b 

3,0 

Urals 62,2 $/b 

3,0 

Urals 58,4 $/b 

Kiel Institut für Weltwirtschaft  

23.09.21 

4,7 

3,3 

2,3 

Ifo Institut München 

22.09.21 

4,2 

2,5 

1,6 

DIW Berlin 

16.09.21 

2,2 

3,0 

2,4 

RWI Essen 

16.09.21 

4,0 

2,8 

2,3 

IWH Halle 

14.09.21 

5,8 

3,5 

1,8 

BOFIT, Bank of Finland 

16.09.21 

3,7 

2,8 

2,4 

Russische Zentralbank 

23.07.21 

4,0 bis 4,5 

Urals 65 $/b 

2,0 bis 3,0 

Urals 60 $/b 

2,0 bis 3,0 

Urals 55 $/b 

Die BIP-Prognosen von IWF und deutschen Instituten unterscheiden sich kaum  

Der Internationale Währungsfonds erwartet 2021 zwar mit + 4,7 Prozent ein noch etwas stärkeres Wirtschaftswachstum in Russland als die „Gemeinschaftsdiagnose“ (+ 4,5 Prozent). Für 2022 prognostiziert der IWF dann aber mit + 2,9 Prozent eine etwas stärkere Abschwächung des Wachstums als die deutschen Institute (+ 3,2 Prozent).  

Auf längere Sicht schätzen IWF und deutsche Institute das Wachstumspotenzial Russlands gleichermaßen niedrig ein. 2023 rechnet der IWF nur noch mit einem Wachstum von 2,0 Prozent, die deutschen Institute mit + 2,1 Prozent. 

Institute: Russland BIP im zweiten Quartal wieder auf Vorkrisenniveau 

Die „Gemeinschaftsdiagnose“ stellt die unerwartet schnelle Erholung der russischen Wirtschaft im ersten Halbjahr 2021 heraus:  

„In Russland erhöhte sich die Wirtschaftsleistung in der ersten Hälfte dieses Jahres um 4,8% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Damit erreichte sie bereits im zweiten Quartal wieder ihr Vorkrisenniveau.  

Getragen wurde die Entwicklung im zweiten Quartal durch eine Erholung des privaten Konsums, die sich aus einem Zuwachs der realen verfügbaren Einkommen und einem Rückgang der Sparquote speist – auch weil verstärkt Verbraucherkredite aufgenommen wurden.  

Die Aktivität im Produzierenden Gewerbe lag auch in Folge einer starken globalen Rohstoffnachfrage wieder oberhalb ihres Vorkrisenniveaus.“  

Die Institute weisen darauf hin, dass Russlands Produktion von Erdgas, Kohle, Düngemitteln, Rohholz und einigen Metallen dank der höheren Auslandsnachfrage erheblich zunahm. Der russische Export habe zugleich von zum Teil stark gestiegenen Weltmarktpreisen für diese Rohstoffe profitiert.  

Nach Einschätzung der Institute wird Russlands Konjunktur im zweiten Halbjahr 2021 allerdings von der Ausbreitung der Delta-Variante gedämpft werden. Die Impfquote sei recht gering und die Zahl der Todesfälle hoch (siehe auch Tagesschau-Bericht „Zahl der Todesfälle auf Höchststand“ vom 17.10.2021).  

Verbrauch, Investitionen und Ausfuhren werden weiter steigen 

Zur Entwicklung der Verwendung des Bruttoinlandsprodukts bis 2023 meinen die Institute: 

„Im Prognosezeitraum dürfte sich der private Konsum weiter erholen, gestützt durch steigende Realeinkommen und eine verbesserte Arbeitsmarktlage.  

Die Anlageinvestitionen werden voraussichtlich zügig expandieren, auch dank des seit Frühjahr 2020 aufgestockten „Nationalen Wohlfahrtsfonds“ für öffentliche Investitionsprojekte. 

Die kräftige globale Nachfrage nach Rohstoffen, die Erhöhung der Ölfördermenge seit Juli und die im Rahmen des OPEC+- Produktionsabkommens vorgesehene weitere Zunahme im nächsten Jahr dürften die Exporte steigern.“ 

Die Institute erwarten, dass Russlands Wirtschaftswachstum 2021 4,5 Prozent erreicht. 2022 werde es sich auf 3,2 Prozent abschwächen und 2023 nur noch 2,1 Prozent erreichen. 

VEB-Institut: 4,4 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2021 –  
trotz sinkender Produktion im zweiten Halbjahr  

Auch das Forschungsinstitut der Vnesheconombank (staatliche Entwicklungsbank vergleichbar mit der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW) aktualisierte in der letzten Woche seine Konjunkturprognose für 2021/2022. Es erwartet jetzt für 2021 mit + 4,4 Prozent eine kaum schwächere Wachstumsrate als die Gemeinschaftsdiagnose (+ 4,5 Prozent) und der IWF (+ 4,7 Prozent). 

Zur vierteljährlichen Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts veröffentlichte das VEB-Institut folgende Abbildung.  

Index des realen Bruttoinlandsprodukts; 4. Quartal 2018=100

VEB-Institute: Short-term forecast for the development of the Russian economy; 12.10.2021 

Die Abbildung zeigt, dass das Bruttoinlandsprodukt bereits im zweiten Quartal 2021 den Rückgang im ersten und zweiten Quartal 2020 aufgeholt hat und höher war als im dritten und vierten Quartal 2019. 

Im dritten Quartal 2021 ist das Bruttoinlandsprodukt nach Einschätzung des VEB-Instituts jedoch gegenüber dem Vorquartal gesunken. Nach seinen ersten Berechnungen war das BIP im Juli 0,5 Prozent niedriger als im Juni. Im August beschleunigte sich der Rückgang des BIP gegenüber dem Vormonat auf 0,8 Prozent (siehe Bericht des VEB-Instituts zur monatlichen Entwicklung des BIP-Index). Für das vierte Quartal 2021 erwartet das VEB-Institut einen weiteren leichten Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Produktion. 

Gegenüber dem jeweiligen Vorjahresquartal wird das Bruttoinlandsprodukt nach Einschätzung des VEB-Instituts im dritten Quartal 2021 jedoch um 4,9 Prozent wachsen und im vierten Quartal um 3,3 Prozent. 

2022 rechnet das VEB-Institut mit einer merklich stärkeren Abschwächung des Wachstums als die Gemeinschaftsdiagnose und der IWF. Es erwartet, dass sich das Wachstumstempo schon im nächsten Jahr fast halbiert und nur noch 2,4 Prozent erreicht. 

Russland kam überdurchschnittlich schnell aus der Corona-Krise  

Tatiana Evdokimova (Mitarbeiterin des Wiener „Joint Vienna Institut“) hat in der folgenden Abbildung dargestellt, wie sich laut den IWF-Prognosen das russische Bruttoinlandsprodukt bis 2026 im Vergleich mit den „Fortgeschrittenen Industrieländern“ und den „Sonstigen Volkswirtschaften“ entwickeln wird. 

2021 gelingt es Russland, mit dem vom IWF prognostizierten Anstieg seines Bruttoinlandsprodukts um 4,7 Prozent den Rückgang im Jahr 2020 um 3,0 Prozent mehr als auszugleichen. Der Index für das russische Bruttoinlandsprodukt (graue Säule) steigt 2021 gegenüber dem vor der Corona-Krise im Jahr 2019 erreichten Niveau um 1,6 Prozent. Die „fortgeschrittenen Industrieländern“ erreichen ihr „Vorkrisenniveau“ 2021 nur knapp. In den sonstigen Industrieländern bleibt 2021 noch Aufholbedarf. 

Anstieg des Bruttoinlandsprodukts in den „Fortgeschrittenen Industrieländern“, in den „Sonstigen Volkswirtschaften“ und in Russland in den Jahren 2021 bis 2026 gegenüber dem Vorpandemie-Niveau (2019=100) 

Tatiana Evdokimova: Tweet vom 13.10.2021, Chart-Adresse: https://pbs.twimg.com/media/FBm755xXsAQLzjj?format=jpg&name=small

2023 ist Russlands Wachstumsvorsprung aufgeholt 

Auch am Ende des Jahres 2022 wird die russische Wirtschaft den Prognosen des IWF zufolge gegenüber 2019 stärker gestiegen sein als die „Fortgeschrittenen Volkswirtschaften“ und die „Sonstigen Volkswirtschaften“. 2023 geht dieser Vorsprung der russischen Wirtschaft bei einem Wachstum von nur noch + 2,0 Prozent aber voraussichtlich verloren. 

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann: 

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu:

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Dmitry Serebryakov I Shutterstock.com