Russland und Afghanistan: „Kartenhaus, das zum Einsturz verurteilt war“

Russlands Vorgehen in Afghanistan

Chaos und Fluchtszenen in Kabul, Debatten über schnelle Evakuierungen in den westlichen Medien – während sich Deutschland um seine Verbündeten und die afghanische Bevölkerung sorgt, bleibt Russland vor Ort und kritisiert das westliche Vorgehen.

Auch in Russland verfolgen die Menschen in diesen Tagen gebannt die Fluchtszenen der afghanischen Bevölkerung und den Eroberungszug der Taliban in der Hauptstadt Kabul. Auf Instagram- und YouTube-Kanälen ist das Thema dauerpräsent, und auch im russischen Staatsfernsehen dominierten die Chaos-Szenen vom kabuler Flughafen gestern die Nachrichten. Wie auch immer die Bilder bei der Bevölkerung ankommen, die Politik versucht derweil Ruhe und Sicherheit auszustrahlen.

Während Politiker in Deutschland und den USA ihre Botschaften evakuieren ließen und die Ernsthaftigkeit der Lage betonen, bleiben russische Diplomaten vor Ort und setzen ihre Arbeit fort. Und Regierungsvertreter äußern sich deutlich unbesorgter. Dmitrij Schirnow, Russlands Botschafter in Afghanistan, sagte im Interview mit dem Staatssender Rossija24: „Es gab keine Schüsse mehr. Unsere Botschaft wird bereits von den Taliban bewacht. Es gab einen Transfer: Das afghanische Militär ging, die Taliban traten an ihre Stelle“. “Die Taliban haben uns bereits alle relevanten Versprechen gegeben. Hoffen wir, dass sie eingehalten werden”, so Schirnow.

Dass die russische Regierung einen besseren Draht zu den Taliban hat, wird nicht nur deutlich durch die informierten Aussagen des Botschafters vor Ort. Bis vor wenigen Wochen reisten Vertreter der islamistischen Terrorgruppe nach Moskau, die russische Regierung bemühte sich um einen Austausch mit „beiden Seiten“ – sowohl der afghanischen Regierung, als auch den Taliban.

Kritik am Westen

Auch machte Russland seine Kritik am Vorgehen des Westens deutlich. Der Sonderbeauftragte des russischen Präsidenten, Zamir Kabulow, bezeichnete die afghanische Regierung in Kabul als „Marionettenregierung“, welche sogar ein schlechterer Partner sei als die Taliban selbst. Zu weiteren Plänen des Umgangs mit den neuen Machthabern im Land äußerte sich der Sonderbeauftragte allerdings nicht. Man werde sich „genau ansehen, wie verantwortungsvoll sie das Land in naher Zukunft regieren werden – und dann eine Entscheidung treffen.”

In den russischen Medien wird derweil das Bild Russlands als Moderator gestärkt. Neben China tue Russland sein „Bestes, um die Situation zu moderieren“, sagte Francis Boyle, Professor für internationales Recht an der Universität Illinois der Nachrichtenagentur TASS.

“Die so genannte afghanische Regierung war nichts weiter als eine Marionettenregierung, die von den Amerikanern eingesetzt wurde, sie hatte keine wirkliche Unabhängigkeit, um sich zu äußern”, so Boyle. “Sie war im Grunde ein Kartenhaus, das zum Einsturz verurteilt war”. Der Rechtsexperte betonte auch die russischen Sicherheitsinteressen: “Präsident Putin bemüht sich sehr um Schadensbegrenzung, damit Usbekistan und Tadschikistan nicht angegriffen werden”.

Welches Vorgehen Russland in Afghanistan längerfristig anstrebt, ist noch unklar. Priorität haben dürften aber eine sicherheitspolitische Strategie und die Wahrung politischen Einflusses in Zentralasien.

Titelbild
Gebäude der russischen Botschaft in Kabul. Quelle: Wikimedia.org