Konflikt um Bergkarabach: Perspektiven nach dem Friedensabkommen

Aserbaidschan und Armenien: Perspektiven nach dem Friedensabkommen

Seit September 2020 herrschte Krieg zwischen den verfeindeten südkaukasischen Ländern Armenien und Aserbaidschan. Am 10. November 2020 wurde ein Friedensabkommen von Ilham Aliyev, dem Präsidenten Aserbaidschans, Nikol Paschinjan, dem Ministerpräsidenten Armeniens und Russlands Präsidenten Wladimir Putin zur Beendigung des Krieges zwischen Armenien und Aserbaidschan unterzeichnet. Schon jetzt kann behauptet werden, dass dieses Friedensabkommen insgesamt stabiler sein wird, da sich in der Karabach-Region russische Friedenstruppen stationieren. Um das Abkommen und die enthaltenen Beschlüsse in Gänze verstehen zu können, sollen zunächst grundlegende Fakten, wie die geografische Lage der Region und die Bevölkerungszahlen, dargestellt werden.

Die Region Karabach in Zahlen

Geografisch heißt die ganze Region, die unter armenischer Besatzung stand, Karabach. Die Region Bergkarabach ist von aserbaidschanischen Bezirken umgegeben. Armenien hatte nicht nur Bergkarabach sondern auch sieben umliegende Provinzen Aserbaidschans in den 90er Jahren besetzt. Bergkarabach bestand selbst aus einer Fläche von 4.388 km2. Folgende namhafte Städte befanden sich in der Sowjetzeit in dieser Region: Stepanakert (az. Chankändi), Schuscha, Martakert (az. Aghdärä), Chodschali und Martuni (az. Chodschavänd). Zu Martuni gehört auch die Siedlung Hadrut, die zum Teil auch als autonomer Bezirk bezeichnet wird. Am 2. September 1991 wurde völkerrechtswidrig die Unabhängigkeit Bergkarabachs erklärt, denn die Verfassung der UdSSR sah dies nicht vor. Die aserbaidschanische Bevölkerung der Region wurde komplett vertrieben und in Stepanakert etablierte sich ein separatistisches Regime, das finanziell, militärisch und politisch von Armenien unterstützt wurde. Seit 2017 bezeichnet sich dieses Regime als „Republik Artsakh“. Das Parlament von Aserbaidschan hob am 23. November 1991 den Autonomiestatus von Bergkarabach bereits wieder auf. Von daher gibt es laut der aserbaidschanischen administrativen Aufteilung ganz andere Bezirke in der Bergkarabach-Region. Dazu gehören die Bezirke Chodschali, Chodschavänd und Schuscha. Es wurden auch einige Siedlungen Bergkarabachs in die anliegenden Bezirke eingegliedert, z. B. ist die Stadt Aghdärä nun Teil des aserbaidschanischen Bezirks Terter.

Das Zentrum der Bergkarabach-Region war in der Sowjetzeit die Stadt Stepanakert. Die Stadt erhielt ihren Namen erst im August 1923 und wurde zu Ehren der Verdienste des Leiters der Kommune von Baku, Stepan Schahumjan, umbenannt. Davor hieß sie noch Chankändi (aus dem Aserbaidschanischen Dorf des Chanes). Am 26. November 1991 wurde nach der Entscheidung des aserbaidschanischen Parlaments der Name der Stadt wieder zu Chankändi abgeändert.

Die armenische Bevölkerung der Bergkarabach-Region zählt nach unterschiedlichen Quellen zwischen 120.000 bis 145.000 Personen. Dabei macht die Zahl der vertriebenen aserbaidschanischen Bevölkerung in den 90er Jahren 40.688 (21,5 %) und heute laut der aserbaidschanischen Gemeinde der Region Bergkarabach bereits 86.000 Betroffene aus (das sind 38 % der gesamten Bevölkerung, falls der armenische Anteil bei 145.000 Einwohnern liegt), die die unterschiedlichen Städte Aserbaidschans besiedelt haben. Wenn beide Gemeinden mitgezählt werden, umfasst die Bevölkerung Bergkarabachs etwa 230.000. Den aserbaidschanischen Quellen zufolge hat Armenien in den letzten Jahren rund 30.000 Armenier aus dem Nahen Osten in der Bergkarabach-Region sowie in den Bezirken Kelbadschar und Latschin angesiedelt, was gegen die Genfer Konvention von 1949 verstößt. Dort steht eindeutig geschrieben: „Die Besetzungsmacht darf nicht Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet deportieren oder umsiedeln“.

Die außerhalb der Bergkarabach-Region unter der armenischen Besatzung liegenden Bezirke sind Aghdam, Füzuli, Dschäbrayil, Zängilan, Gubadli, Latschin und Kelbädschar. Diese Provinzen machen zusammen 10.000 km2 aus, wobei Teile von Füzuli, Aghdam sowie einige Gebiete der Bergkarabach-Region unter aserbaidschanischer Kontrolle blieben. Die Bevölkerung dieser sieben Provinzen macht insgesamt 679.000 Einwohner aus. Wenn all diese Zahlen addiert werden, müssten in der gesamten Region Karabach über 900.000 Personen leben, wobei die Zahl der Aserbaidschaner (darunter auch muslimische Kurden) mit 765.000 (ca. 85 %) eine merkliche Mehrheit ausmacht. Die Gesamtfläche, die durch Armenien besetzt wurde, machte 12.088 km2 aus, was ca. 14 % der aserbaidschanischen Fläche (86.600 km2) umfasst.

Es wird kaum die Tatsache erwähnt, dass Armenien noch außerhalb der Bergkarabach-Region weitere Gebiete Aserbaidschans besetzt hat. Dazu gehören mit einer Fläche von 50 km² die Dörfer von Gazach (7 Dörfer), Terter (13) und Nachitschevan (1). Aserbaidschan hat hingegen eine armenische Siedlung namens Baschkänd (arm. Arzwaschen, 40 km²) in der Provinz Kedabek unter eigene Kontrolle gebracht, da sich diese innerhalb des Bezirks befindet. Mit diesen Dörfern liegt das besetzte aserbaidschanische Territorium bei ca. 15 % der Gesamtfläche. Während des Herbst-Krieges 2020 konnte Aserbaidschan nun wieder einige Bezirke einnehmen. Nach dem Friedensabkommen vom 10. November 2020 soll für die Region ein neuer Status implementiert werden.

Nach 26 Jahren sollen die Waffen wirklich schweigen

Die Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen Armenien und Aserbaidschan mit der russischen Initiative wird bereits jetzt als historisches Ereignis betrachtet. Während es sich beim Bischkek-Protokoll (1994) inhaltlich nur um die Durchsetzung eines Waffenstillstandes handelte, geht es bei der aktuellen Vereinbarung wirklich um dauerhaften Frieden. Der aserbaidschanische Präsident und die Bevölkerung der südkaukasischen Republik bejubelten das als Kapitulation Armeniens. In Armenien kam es hingegen noch in derselben Nacht zu Ausschreitungen, in denen u. a. das armenische Parlament gestürmt und der Parlamentspräsident, Ararat Mirzoyan, brutal zusammengeschlagen wurde. Nicht alle Aserbaidschaner konnten sich jedoch mit dem Abkommen anfreunden, dass russische Truppen nach 27 Jahren wieder auf aserbaidschanischem Territorium stationiert werden.

Die wichtigsten Punkte der Vereinbarung sind im Folgenden zusammengefasst:

Aserbaidschan und Armenien behalten jeweils ihre Kampfpositionen bei, die während aktiver Militäroperationen gewonnen wurden; Armenien verpflichtet sich, bis 15. November 2020 den Bezirk Kelbadschar, bis 20. November 2020 den Bezirk Aghdam und bis 1. Dezember 2020 den Bezirk Latschin wieder unter aserbaidschanische Kontrolle zu übergeben; Russland entsendet Friedenstruppen i. H. v. 1960 Militärleuten, die entlang der Kontaktlinie in Bergkarabach und des Latschin-Korridors stationiert werden; die Stadt Schuscha in der Region Bergkarabach bleibt weiterhin unter aserbaidschanischer Kontrolle. Des Weiteren erhalten die Binnenvertriebenen und Flüchtlinge die Möglichkeit, in ihre früheren Wohnorte in den Regionen Karabach und Bergkarabach zurückzuziehen. Ein anderer wichtiger Punkt betrifft noch die Aufnahme der Transportkommunikation innerhalb der Region sowie zwischen den Konfliktparteien, u. a. die Eröffnung der Transportlinie zwischen Aserbaidschan und Nachitschewan, die über das armenische Territorium verläuft.

Fragen zum Abkommen

Ein Aspekt, der im Dokument keine Beachtung findet, aber dennoch auf Seiten der Aserbaidschaner und Türken oft diskutiert wird, ist die Rolle der türkischen Truppen in der Region. Während der Kreml lediglich von der türkischen Beobachtungsmission spricht, verbreiten sich in den aserbaidschanischen und türkischen Medien Informationen über türkische Friedenstruppen. In den nächsten Tagen wird sich diese Information noch aufklären. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev betonte während seiner Siegesrede, dass in Zukunft der Status von Bergkarabach nicht diskutiert wird. Im Abkommen vom 10. November 2020 gibt es tatsächlich keine Informationen zur Verwaltung in der Region Bergkarabach. Logischerweise sollen nun alle ausländischen Staatsangehörigen, die in diese Region einreisen möchten, ein Visum über die jeweilige aserbaidschanische Vertretung im Ausland oder online beantragen. Tatsache ist, dass auf dem aserbaidschanischen Territorium inmitten der Karabach-Region russische Truppen stationiert wurden, die die nächsten fünf Jahre dort bleiben werden. Dies wird automatisch um weitere fünf Jahre verlängert, falls sechs Monate vor Ablauf des Vertrages keiner der Betroffenen den Wunsch zur Aufhebung dieser Situation äußert.

Titelbild
Titelbild: Flickr.com / (CC BY-NC 2.0) [/su_spoiler]^*^

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