Aliens und andere Erscheinungen

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Pandemie, Sanktionen, Krisen – und allerorts Unfähigkeit, global zusammenzuarbeiten. Was ist eigentlich los auf unserem Planeten?

Es gibt nicht wenige Menschen, darunter auch einige recht intelligente, die sich permanent die Frage stellen: Was passiert, wenn Aliens die Erde erreichen würden, und wie würden wir darauf reagieren? Vorausgesetzt, es gibt die Außerirdischen, und sie sind wirklich schlau, dann kehren sie so schnell wie möglich um. Sehr darauf bedacht, möglichst nicht entdeckt zu werden. Denn erstens wären solche Individuen – zumindest technologisch – sehr viel weiter entwickelt als wir, und zweitens gäbe es augenblicklich nur wenige Gründe diesen Planeten zu erkunden. Mit dem Abstand von einigen Tausend Kilometern oder Lichtjahren, ergibt sich doch ein recht verstörendes Bild vom Zustand dieses Himmelskörpers. Zu den eher kuriosen Erscheinungen zählen sicher die 70.000 Dollar Ausgaben eines Präsidenten für seine Haarpracht. Die trotz dieser erklecklichen Summe immer noch wie ein totes, störrisches Tier auf seinem Kopf liegt. Ähnlich unbegreiflich muss für Nichtterrestrische ein Blick in das „Unterhaltungsangebot“ des Mediums Fernsehen sein. Ich bin mir auch relativ sicher, dass die Besucher aus dem All eine des Öfteren kolportierte Verwandtschaft mit dem amerikanischen Präsidenten weit von sich weisen würden.

Alte weiße Männer regieren (uns)

Damit haben sich die eher humoristischen Eindrücke aber auch schon weitgehend erschöpft. Denn nüchtern betrachtet, zeigt sich die Menschheit gerade unfähig zu einer konzertierten Aktion im Angesicht der bisher größten Katastrophe des 21. Jahrhunderts, der Corona-Pandemie. Sie ist weder in der Lage das globale Flüchtlingsproblem zu lösen, noch einen gemeinsamen Weg im Kampf gegen die Erderwärmung zu beschreiten oder die Armut erfolgreich zu bekämpfen. Handelskonflikte, Territorialstreitigkeiten, Kämpfe um Ressourcen und Rohstoffe, Ungleichbehandlung, Rassismus, Spaltung, Propaganda, Betrug und Ausbeutung sind dafür an der Tagesordnung. Und in weiten Teilen wird dieser Planet von alten – und erstaunlich häufig noch weißen – Männern „regiert“. Von Solidarität, Fortschritt und Zukunft reden die allerdings herzlich wenig. Wie gesagt, wäre ich ein Alien, ich würde den Rückwärtsgang einlegen.

Der böse Hafen

Leider haben wir diese Möglichkeit nicht, oder Gott sei Dank. Um es mit Goethes Faust zu sagen: „Aus dieser Erde quillen meine Freuden, und diese Sonne scheinet meinen Leiden.“ Wenden wir uns deshalb dem irdischen Jammertal zu. In dem wird fleißig darüber gegrübelt, wie man sich gegenseitig behindern, bestrafen oder wenigstens beleidigen kann. Er ist unter den hundert größten Häfen der Welt nicht zu finden, noch nicht einmal unter den größten Europas, und auch sonst ist er eher unauffällig; der Hafen Saßnitz. Bekanntheit erlangte er in jüngster Zeit als Ziel dreier amerikanischer Senatoren, die ihm mit „vernichtenden rechtlichen und wirtschaftlichen Sanktionen“ drohen. Vollkommen unverhohlen werden einem mittelständischen Unternehmen extraterritoriale Strafmaßnahmen angedroht, weil es Teil des Projektes Nordstream II ist, mit dem Verweis auf die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten. Wie paranoid muss man eigentlich sein, um in einem kleinen verschlafenen Hafen eine Bedrohung zu erkennen? Wahrscheinlich ist er Teil einer Achse des Bösen. Völkerrechtlich gesehen, stellt sich hier in erster Linie die Frage nach der Regelungshoheit; also wer ist eigentlich berechtigt wo und wen zu sanktionieren oder zu kontrollieren?

„Am Ende reicht die bloße Ankündigung“

Sanktionen beweisen ja eigentlich nur, dass die Handelnden und die davon Betroffenen nicht in der Lage sind, eine Kompromisslösung zu finden oder aufeinander zuzugehen, und dass die Politik nicht erfolgreich war. Sie sind aber auch eine recht einfache Form, die eigenen Interessen durchzusetzen oder propagandistisch auszuschlachten. Als die Europäische Union nach der Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine Sanktionen gegen Russland erlassen hat, war die reflexartige Reaktion Gegenmaßnahmen einzuleiten. Der vermeintlich einfachste Weg war, europäischen Lebensmitteln den Zugang zum russischen Markt zu verwehren. Bis heute wird die daraufhin mit riesigen Summen unterstütze einsetzende nationale Produktion als Erfolg verkauft. Trotzdem sind viele der jetzt inländisch hergestellten Produkte erheblich teurer als die ehemals importierten. Über die Qualität lässt sich streiten. Zahlen muss die Differenz letztlich der Verbraucher. Der wird auch dafür aufkommen müssen, wenn wir statt günstigem Gas aus Russland künftig auf Flüssiggas aus den USA umsteigen müssten. Das eigentliche Problem an all den umgesetzten und angekündigten Sanktionierungen ist die Unsicherheit. Vor allem die Unsicherheit in den Unternehmen. Der CEO eines großen deutschen Energieunternehmens bringt es auf den Punkt: „Am Ende reicht die bloße Ankündigung von Sanktionen, um Projekte scheitern zu lassen und Partner zu verlieren.“

Sieben Prozent Wachstum in 13 Jahren

Selbstverständlich würde der Stopp von Nordstream II der russischen Wirtschaft nachhaltig schaden, der europäischen allerdings auch, und es würde die Russen weiter in Richtung China treiben. Ob das im europäischen Interesse liegen kann, ist doch zumindest höchst fraglich. Zumal ein Vergleich mit dem südlichen Nachbarn zeigt, wie groß der wirtschaftliche Abstand inzwischen geworden ist. Eine Untersuchung des AEB zeigt, dass die russische Volkswirtschaft in den letzten knapp eineinhalb Jahrzehnten um mickrige sieben Prozent gewachsen ist, die chinesische um fast einhundertfünfzig. Von einer Begegnung auf Augenhöhe kann definitiv nicht die Rede sein, weder mit den Chinesen noch mit den Amerikanern und auch nicht mit der EU. Die wiederum sollte ein großes Interesse daran haben Partner zu finden und gemeinsame Standpunkte klar zu kommunizieren. Im Fall von Nordstream II war bis zum Fall Navalny auch eine breite Allianz der EU-Mitglieder für eine deutliche Ablehnung amerikanischer Einmischung in europäische Angelegenheiten.

Schizophrene Zustände

Wenn die Aliens allerdings doch entscheiden sollten, sich das Treiben auf der Erde noch eine Weile anzuschauen, könnten sie sich mit dem Krankheitsbild der Schizophrenie vertraut machen. Denn einerseits denken die Europäer gerade darüber nach, wie eine adäquate Antwort, also Strafmaßnahmen, die wahrscheinlich als Sanktionen ausgestaltet werden, im Fall Navalny ausfallen könnte. Andererseits wird gerade in diesen Tagen das deutsch-russische Kreuzjahr eröffnet und über eine intensive Kooperation im Bereich erneuerbarer Energien und Wasserstoff diskutiert. Insofern könnten die Besucher vielleicht doch etwas von uns lernen: das eine zu tun ohne das andere zu lassen.

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

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Titelbild: © Mike Trukhachev / Shutterstock.com
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