Morgenkommentar am 23. Januar 2017

Russland am Inaugurationstag: Schampus in der Duma, Rabatte für US-Botschaftsangehörige im Supermarkt “Armee Russlands”. Während Donald Trump in Europa Ängste auslöst, feiert man ihn in Moskau als Befreier. Mit Trump, so sehen es viele Russen, können auch nicht-westliche gesellschaftliche Entwürfe ohne Bedrohung durch Regime Change und Farbenrevolutionen wieder gedeihen. Das hofft man jedenfalls.

Genau 100 Jahre nach dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg klingt das amerikanische Jahrhundert aus. Daran ändern auch die Hunderttausende Amerikaner nichts, die jetzt gegen den neuen Präsidenten auf die Straße gehen. Mit ihren pinken Mützen verteidigen sie die rosarote Regenbogen-Romantik der urbanen Minderheiten im eigenen Land. Die Welt jenseits der Ozeane ist auch ihnen herzlich egal.

Die Dynamik der US-amerikanischen Politik richtet sich nicht länger nach außen. Regime Change ist jetzt für das eigene Land angesagt.

Für Europa ist die Zeit der Trittbrettfahrerei – militärisch und gesellschaftspolitisch – vorbei. Wer nun glaubt, der Kontinent müsse das “Projekt Westen” im Kleinen realisieren, hat nicht begriffen, woher der Wind weht. Großbritannien klinkt sich jedenfalls aus. Bestenfalls gelingt ein Europa der Vaterländer 2.0. Das setzt voraus, dass Berlin und Paris an einem Strick ziehen – und dass die deutsche Politik sich zu ihren nationalen Interessen bekennt. Wenn auch noch die Franzosen eigene Wege gehen, ist Deutschland endgültig Führungsmacht. Allerdings ganz allein zuhaus.