Journalist: Medien berichten zu selten über Tech-Szene in Osteuropa

East-West Digital News: Tech-Szene in Mittel- und Osteuropa hat sich gut entwickelt, doch Medienberichterstattung ist schwach

Zehntausende Besucher waren in diesem Jahr auf der dreitägigen Technologiemesse Colombia 4.0 im kolumbianischen Bogotá. Dort wurden unter anderem Neuheiten in den Bereichen digitale Werbung, mobiles Internet, Animation und Videospiele vorgestellt. Adrien Henni, der Chefredakteur von East-West Digital News, nutzte die Gelegenheit, um für mehr Beachtung der russischen IT-Branche zu werben.

In einem Vortrag kritisierte Adrien Henni die internationale Berichterstattung über die mittel- und osteuropäische IT-Branche. Seine Aussagen beziehen sich neben Russland auf 26 Länder im Balkan, in der Visegrád-Gruppe, in den baltischen Staaten und in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Viele Projekte werden nicht erwähnt, obwohl die Tech-Szene in Mittel- und Osteuropa eine starke Entwicklung durchlebt hat. Regierungen haben Milliarden in die IT-Infrastruktur investiert, so Henni.

Welche Aspekte laut Adrien Henni oft vergessen werden

In seinem Vortrag erwähnte der EWDN-Chefredakteur zahlreiche Fakten, um die Relevanz der mittel- und osteuropäischen IT-Branche hervorzuheben:

      • Yandex startete seine Suchmaschine ein Jahr vor Google. Trotzdem bezeichnen Journalisten den russisch-niederländischen Software-Pionier häufig bloß als das russische Google.
      • Die Software für den Instant-Messaging-Dienst Skype wurde in Estland entwickelt. Seit 2011 ist Skype im Besitz von Microsoft.
      • Die WhatsApp-Alternative Telegram wurde 2013 von den Brüdern Nikolai und Pawel Durow ins Leben gerufen. Die beiden hatten zuvor das in Russland meistbenutzte soziale Netzwerk Vk.com gegründet.
      • Die Filter-App MSQRD wurde Anfang 2016 von Facebook aufgekauft. Ursprünglich wurde die Software jedoch von einem weißrussischen Start-Up entwickelt.
      • Auch Looksery ist eine Filter-App, die das Aussehen des Nutzers per Kamerafunktion verändert. 2015 wurde die ehemals ukrainische Software für 150 Millionen US-Dollar von Snapchat aufgekauft.
      • Die russische Handelsplattform Avito.ru wurde 2015 für 2,7 Milliarden US-Dollar vom südafrikanischen Medienkonzern Naspers aufgekauft.
      • In Bosnien-Herzegowina werden drei Technologie- und Innovationszentren betrieben, die internationale Unterstützung erhalten.
      • Zwischen 2015 und 2016 wurden mehr als 1.000 hochqualifizierte Software-Entwickler aus Russland bei US-amerikanischen Unternehmen angeheuert.

Mittel- und Osteuropa – ein unsichtbares Gebiet?

Adrien Henni vergleicht in seinem Vortrag die Berichterstattung von führenden Technologie-Medien. So berichtet TechCrunch zu einem Anteil von 72 Prozent über US-Themen. Osteuropa-Themen dagegen sind nur mit einem Prozent vertreten. Die Nachrichten-Website Mashable berichtet in einem von hundert Artikeln über Osteuropa. crunchbase erzielt weniger als ein Prozent – zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Henni bei VB Profiles.

Obwohl große Teile Mittel- und Osteuropas über eine ausgeprägte digitale Infrastruktur verfügen, investieren führende Tech-Unternehmen weiterhin in das Silicon Valley und in andere westliche Hotspots. Dies schlägt sich laut Henni auch im Journalismus nieder: “Große Medienhäuser interessieren sich hauptsächlich für eine westliche Zielgruppe.” Journalisten hätten kein Bewusstsein für Innovationen und würden häufig die lokale Sprache nicht beherrschen.

Ein Problem sei zudem, dass mittel- und osteuropäische Tech-Unternehmen über eingeschränkte Mittel verfügen. Es fehlten oft “Wille, finanzielle Stärke, Know-How und Kontakte, um effizient zu kommunizieren”, glaubt der EWDN-Chefredakteur. So sei es für viele Akteure deutlich schwieriger, internationale Investoren und Partner zu gewinnen. Auch Initiativen der entsprechenden Regierungen seien oftmals nicht ertragreich.