Russlands Wirtschaft erholt sich langsam: Konsum- und Geschäftsklima gestiegen

Die russische Wirtschaft hat sich seit 2022 bereits merklich erholt. Das liegt insbesondere am wachsenden Konsum und einem merklich verbesserten Geschäftsklima. Der Staatshaushalt bleibt aber weiter im Defizit – welches im Januar noch größer wurde. Die neuesten Prognosen im Überblick.

2022 ist Russlands reales Bruttoinlandsprodukt nach ersten Schätzungen des Statistikamtes um 2,1 Prozent gesunken. Viele Prognosen gehen zwar davon aus, dass sich die Rezession 2023 in ähnlichem Tempo fortsetzt. Neben der Regierung und der Zentralbank hält aber auch der Internationale Währungsfonds 2023 ein geringes Wachstum für möglich.

Die gesamtwirtschaftliche Produktion hat sich seit Mitte 2022 bereits merklich erholt. Im Januar 2023 nahm sie nach ersten Schätzungen gegenüber Dezember weiter zu. Zum Anstieg des Bruttoinlandsprodukts trug im Januar auch eine überraschend starke Zunahme des realen Einzelhandelsumsatzes gegenüber Dezember bei. Eine weitere konjunkturelle Erholung im Februar signalisieren die Ergebnisse von Umfragen bei Unternehmen. Danach haben sich die Geschäftsaktivitäten deutlich verstärkt.

Akademie der Wissenschaften: Konjunkturerholung hat im Herbst begonnen

Laut dem Konjunkturforschungsinstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften kann bereits aufgrund der Daten für November und Dezember 2022 von einem konjunkturellen Erholungstrend gesprochen werden. Die folgende Abbildung mit den Schätzungen des Instituts zeigt die Entwicklung des saisonbereinigten Indexes des realen Bruttoinlandsprodukts bis Ende 2022 (schwarze Linie). Im April 2022 war das saisonbereinigte BIP um rund 5 Prozent eingebrochen. Bis einschließlich September stagnierte es nach den Berechnungen des Instituts fast. Dann setzte eine Erholung ein.

Schätzung der Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts

blaue Säulen: Veränderungen gegenüber Vorjahresmonat in Prozent
schwarze Linie: Index des realen BIP, Januar 2019 = 100

Institute of Economic Forecasting of the Russian Academy of Sciences; IEF-RAS:

Short-term forecast of Russia’s GDP dynamics; 27.02.2023

Zur Abnahme des realen Bruttoinlandsprodukts um 2,1 Prozent im Jahresvergleich 2022/2021 meint das Institut, die Rezession sei auf einen Rückgang der Lagerbestände und des privaten Verbrauchs zurückzuführen. Die Rezession sei zu einem erheblichen Teil mit der Einschränkung der Importe verbunden gewesen. Die Erhöhung der Staatsausgaben habe die Ausfälle auf der Nachfrageseite nur teilweise ausgleichen können. Nur bei einem Teil der Anlageinvestitionen sei ein Ausgleich durch eine Steigerung der Produktion von Bauten und Anlagen aus inländischer Produktion gelungen. Auch der Rückgang der Exporte habe zur Rezession beigetragen.

Zu den Perspektiven für das Jahr 2023 betont das Institut, eine der zentralen Herausforderungen sei, angesichts sinkender Exporterlöse für eine „Balance“ im Staatshaushalt zu sorgen. Die im Jahr 2022 vorgenommene Erhöhung der staatlichen Ausgaben verringere jetzt natürlich die Möglichkeiten, mit einer Steigerung des Staatsverbrauchs zu einem Wachstum der Wirtschaft beizutragen.

BOFIT: Die Lage der öffentlichen Finanzen hat sich allmählich verschärft

Auch Heli Simola, Senior Economist des Forschungsinstituts BOFIT der finnischen Zentralbank, weist in einem Blog-Beitrag auf die zunehmend angespannte Lage im föderalen Haushalt Russlands hin. Im Januar 2023 habe sich das Defizit deutlich erhöht (schwarzer Balken in der folgenden Abbildung).

Die föderalen Einnahmen, angeführt von den Einnahmen aus dem Öl- und Gasbereich, seien im Januar scharf gesunken (blaue Linie).  Gleichzeitig seien die Ausgaben dramatisch in die Höhe geschossen.

Monatliche Entwicklung des russischen föderalen Haushalts

Haushaltssaldo, Einnahmen und Ausgaben im Mrd. Rubel, saisonbereinigt

BOFIT BLOG, Heli Simola: Russia’s economy after a year of war and sanctions, 01.03.23

Zur Haushaltsplanung der russischen Regierung merkt Heli Simola an, im Budget für 2023 sei „ziemlich optimistisch“ ein Defizit von lediglich 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts  vorgesehen. Wahrscheinlich könne die Regierung zwar sogar mit einem größeren Defizit zurechtkommen. Sie könne Kredite bei inländischen Banken aufnehmen. Bei Bedarf könne die Zentralbank auch Geld drucken. Solche Finanzierungen hätten aber ihre Grenzen. Sie erhöhten die Risiken für die Wirtschaft. Für „eine gewisse Zeit“ könnten sie jedoch genutzt werden.

Die Erholung des realen Bruttoinlandsprodukts setzt sich im Januar fort

Am 01. März veröffentlichte das Statistikamt Rosstat Daten zur Konjunkturentwicklung im Januar. Das Forschungsinstitut der staatlichen Wneschekonombank erstellte auf der Basis dieser Daten eine erste Schätzung zur saison- und kalenderbereinigten Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts im Januar 2023. Laut dem Wochenbericht des VEB-Instituts ist Russlands BIP im Januar gegenüber Dezember um 0,6 Prozent gestiegen. Wie die folgende Abbildung zeigt, machte dieser Anstieg den vom VEB-Institut errechneten Rückgang des BIP im Dezember gegenüber November wett.

Saison- und kalenderbereinigte Entwicklung des realen Bruttoinlandsprodukts
(Januar 2014=100)

Institut der Wneschekonombank: World Economy and Markets Review, 03.03.2023

Das russische Wirtschaftsministerium veröffentlichte auch Berechnungen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts im Januar im Vergleich zum Dezember. Anders als das VEB-Institut nahm es aber nur eine Saisonbereinigung, keine Kalenderbereinigung vor. Laut Finmarket.ru ergaben die Berechnungen des Wirtschaftsministeriums, dass das  reale Bruttoinlandsprodukt im Januar gegenüber Dezember saisonbereinigt um 0,2 Prozent gestiegen ist.

Der Rückgang des BIP im Januar 2023 gegenüber dem Vorjahresmonat Januar 2022 verringerte sich laut dem Ministerium auf 3,2 Prozent.

Starke Erholung des tief gefallenen realen Einzelhandelsumsatzes

Impulse für das vom VEB-Institut errechnete saison- und kalenderbereinigte BIP-Wachstum im Januar 2023 um 0,6 Prozent kamen laut dem Institut vom Groß- und Einzelhandel sowie dem Personen- und Warentransport. Gebremst worden sei die gesamtwirtschaftliche Produktion im Vergleich Januar gegenüber Dezember von Rückgängen der Produktion in der Industrie, im Bauwesen, in der Landwirtschaft und im Dienstleistungsbereich.

Das VEB-Institut stellt den privaten Verbrauch als „Haupttreiber“ des Wirtschaftswachstums im Januar heraus. Der reale Einzelhandelsumsatz stieg nach seinen Berechnungen im Januar gegenüber Dezember um 6,6 Prozent, nachdem er im Dezember gegenüber November um 1,4 Prozent gesunken ist (schwarze Linie in der folgenden Abbildung).

Für den Dienstleistungsbereich errechnete das VEB-Institut hingegen für Januar einen geringen realen Umsatzrückgang um 0,1 Prozent (dunkelgrüne Linie).

Hintergrund dieser Entwicklung von Einzelhandel und Dienstleistungen ist die Erholung der Reallöhne. Sie stiegen im Dezember gegenüber November weiter um 2,0 Prozent (graue Linie).

Indizes der Entwicklung der Reallöhne,
des realen Einzelhandelsumsatzes und des realen Dienstleistungsumsatzes

Institut der Wneschekonombank: World Economy and Markets Review, 03.03.2023

Im Vergleich zum Vorjahresmonat war der reale Einzelhandelsumsatz im Januar 2023 aber noch 6,6 Prozent niedriger. Im Dienstleistungsbereich wurde hingegen real ein 2,3 Prozent höherer Umsatz als im Januar 2022 erreicht. Die Reallöhne waren im Dezember 2022 um 0,6 Prozent höher als ein Jahr zuvor.

Auch Olga Belenkaja, Chef-Volkswirtin des Finanzportals Finam, hebt in ihrer ausführlichen Analyse der Januar-Konjunkturdaten die Erholung im Einzelhandel besonders hervor. Als Ursachen für den tiefen Einbruch des Einzelhandels im Jahr 2022 nennt sie zum einen die starke Reduzierung der gewohnten Vielfalt des Warenangebots. Die real verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte seien zudem im Jahresvergleich 2022/2021 um 1 Prozent gesunken. Gleichzeitig sei die Sparneigung gestiegen.

Industrieproduktion laut VEB-Institut im Januar gegenüber Dezember gesunken

Die Industrieproduktion sank laut den ersten Berechnungen des VEB-Instituts saison- und kalenderbereinigt im Januar gegenüber Dezember insgesamt um 0,3 Prozent (schwarze Linie). Dabei verringerte sich die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ um 0,5 Prozent (untere hellgrüne Linie). Die Produktion im Bereich „Verarbeitendes Gewerbe“ sank demgegenüber nur um 0,1 Prozent (obere dunkelgrüne Linie).

Indizes der Industrieproduktion, saison- und kalenderbereinigt (Jan. 2014 = 100)

Industrie insgesamt; Bergbau, Förderung von Rohstoffen; Verarbeitendes Gewerbe

VEB-Institut: Wochenbericht, 03.03.2023

Das VEB-Institut weist in einer Fußnote auf abweichende Ergebnisse von Berechnungen des Statistikamtes Rosstat und des Wirtschaftsministeriums zur Entwicklung der Industrieproduktion hin.

Laut Rosstat ist die gesamte Industrieproduktion im Januar saison- und kalenderbereinigt gegenüber Dezember nicht nur um 0,3 Prozent, sondern um 0,6 Prozent gesunken (siehe Rosstat-Tabelle). Die folgende Rosstat-Abbildung zeigt neben der unbereinigten Entwicklung des Indexes der Industrieproduktion (gelbe Linie) die saison- und kalenderbereinigte Entwicklung des Indexes (blaue Linie). Außerdem ist eine „Trend-Linie“ abgebildet (rote Linie), die aber von der blauen Linie weitgehend überlagert wird. Erkennbar ist, dass die Produktion im Januar 2023 saison- und kalenderbereinigt geringfügig gesunken ist.

 Index der Industrieproduktion, 2020=100

Rosstat: Industrieproduktion im Januar (mit Chart); mit Tabelle; 22.02.23

Das VEB-Institut weist außerdem darauf hin, dass laut der Berechnung des Wirtschaftsministeriums, die nur eine Saisonbereinigung, aber keine Kalenderbereinigung umfasst, die Industrieproduktion im Januar insgesamt um 0,2 Prozent gegenüber Dezember stieg.

Produktionsentwicklung nach Branchen im Januar im Vorjahresvergleich

Im Vergleich zum Januar 2022 nahm die Industrieproduktion im Januar 2023 insgesamt um 2,4 Prozent ab. Dabei verringerte sich die Produktion im Bereich „Bergbau, Förderung von Rohstoffen“ gegenüber Januar 2022 um 3,1 Prozent und im Bereich „Verarbeitendes Gewerbe“ um 2,3 Prozent.

Weitere Produktionsveränderungen Januar 2023/Januar 2022:

Großhandel:           – 12,2 Prozent

Warentransport:      –   2,2 Prozent

Baugewerbe:          +  9,9 Prozent

Landwirtschaft:       +  2,7 Prozent

Die Stimmung in den Unternehmen hat sich im Februar stark verbessert

Die Umfragen des Research-Unternehmens S&P Global in russischen Unternehmen zur aktuellen Geschäftsentwicklung signalisierten im Februar ein stark gestiegenes Geschäftsklima. Nicht nur im Verarbeitenden Gewerbe, sondern auch im Dienstleistungsbereich lag der „Einkaufsmanager-Index“ deutlich über der „Wachstumsschwelle“ von 50 Indexpunkten. Ihr Überschreiten signalisiert eine Zunahme der Geschäftsaktivitäten gegenüber dem Vormonat.

Der in den Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes ermittelte „Einkaufsmanager-Index“ erhöhte sich von 52,6 Punkten auf 53,6 Punkte (Trading Economics Chart).

Der im Dienstleistungsbereich ermittelte Index war im Oktober weit unter die „Wachstumsschwelle“ von 50 Punkten gefallen. Im Februar überwand er sie klar. Er stieg sprunghaft von 48,7 Punkten im Januar auf 53,1 Punkte (Trading Economics Chart).

Der kombinierte „Einkaufsmanager-Index“ („S&P Global Russia Composite PMI Output Index“), der im Januar mit 49,7 Punkten noch knapp unter der Wachstumsschwelle lag, erhöhte sich im Februar auf 53,1 Punkte. Das zeigt die blaue Linie in der folgenden Abbildung. Die orange Linie zeigt zum Vergleich die Veränderungsrate des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahresquartal.

 S&P Global Russia Composite PMI Output Index

S&P Global: S&P Global Russia Services PMI, Russia Composite PMI, 03.03.2023

S&P Global kommentierte die Ergebnisse der Februar-Umfrage so:

Die jüngsten Daten signalisieren ein deutliches Wachstum der Geschäftsaktivitäten der privaten Unternehmen. Sowohl im Dienstleistungsbereich als auch im Verarbeitenden Gewerbe stieg die Produktion.

Eine verstärkte Nachfrage trieb den jüngsten Aufschwung. Warenproduzenten und Dienstleister verzeichneten einen Anstieg der Auftragseingänge.

Das Wachstum ging weiterhin von der Nachfrage der inländischen Kunden aus. Die Aufträge aus dem Ausland sanken erneut.

Bei einem weiteren Anstieg der Zahl der Arbeitskräfte im Dienstleistungsbereich nahm die Beschäftigung in der gesamten Privatwirtschaft geringfügig zu.

Die Einkaufspreise der Unternehmen stiegen weiter deutlich. Der Anstieg hat aber nachgelassen. Er war so gering wie seit September 2020 nicht mehr.

Im Gegensatz dazu beschleunigte sich der Anstieg der Verkaufspreise auf breiter Basis. Die Unternehmen versuchten, Kostensteigerungen an die Kunden weiterzugeben.

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Weitere Lesetipps und Quellen im PDF-Dokument, unter anderem zu: