Russki Extrem – Wie ich lernte, Moskau zu lieben | Teil 2 von 2

Auch zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Kommunismus ist das Leben in Russland extrem. Doch als langjähriger Moskau-Korrespondent hat Boris Reitschuster das «russische Savoir vivre» verinnerlicht: Er grüßt seine Nachbarn nicht mehr, weil er nicht wie ein Alien angeschaut werden will. Er flucht wie Wladimir Putin und bremst nicht mehr für Fußgänger.

Er hat gelernt, Unmengen von Wodka zu trinken, in der Sauna seine Badehose anzulassen, auch die Hochzeit von Wildfremden gebührend zu feiern, sein Auto mit einer Politur aus Hühnerblut gegen Diebstahl zu schützen und für eine schöne Operationsnaht ein paar Rubel extra springen zu lassen: Kurz, er ist kein deutsches Weichei mehr. Eine dringend notwendige Gebrauchsanweisung für das (Über-)Leben in Russland und eine liebevolle Hommage an seine wunderbaren Menschen.

Kalter Krieg der Geschlechter

Zwanzig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sind sich zwar die Menschen im ehemaligen Ostblock und im einst “kapitalistischen Ausland” nähergekommen, doch an einer Front fehlt es immer noch an Entspannung: zwischen den Geschlechtern in Ost und West. Ob russische Frauen die heimischen Männer neuerdings für verwöhnte Paschas halten und sich nach Männern aus dem Westen sehnen oder ob sie in diesen nichts als nutzlose Weicheier sehen: Die Positionen an der Liebesfront scheinen verhärteter und die Vorurteile tiefer als geglaubt.

Im grenzüberschreitenden Verkehr geht der Geschmack der Russinnen diametral auseinander: Die einen finden Männer aus dem Westen unromantisch und staubtrocken, andere offenherziger und aufmerksam. Die Wessis seien Opfer der Emanzipation, echte Männer seien nur in Russland zu finden, halten die Vertreter des starken Geschlechts dagegen. Nur in Russland gebe es noch Kerle, die im Notfall dem Nebenbuhler “eins auf die Fresse geben, ohne zum Richter zu rennen”, auf einen “Ehevertrag pfeifen”, im “Restaurant für beide bezahlen” und “nicht sparen”.

Im “Runet”, wie die Russen ihren Teil des Internets nennen, ist eine heftige Diskussion über die internationalen Beziehungen der Geschlechter entbrannt – ausgelöst ausgerechnet durch meinen Bericht über die junge Russin Dascha, die immer von einem ausländischen Mann träumte – und nach Erfüllung ihres sehnsüchtigen Wunsches klagt, Mann (West) sei verweichlicht und kein echter Mann.

Kritische Stimmen über die deutschen Männer kamen vor allem per E-Mail bei mir an: “Sie sind geizig und trocken, was die Gefühle angeht, sie zeigen ihre Emotionen kaum, sie verstehen es nicht, die Frauen mit Aufmerksamkeit zu verwöhnen”, klagt eine junge Russin, die mit ihrem Partner in Bayern lebt und noch mehr schlechte Eigenschaften bei den deutschen Männern entdeckt hat: “Die Deutschen sind berechnend und sehr sparsam, oft auch geizig. Sie sind egoistischer als russische Männer, denken vor allem an sich und ihren eigenen Vorteil. “Dennoch habe sie bei den Männern im Westen auch Vorzüge entdeckt – Genauigkeit und Zielstrebigkeit zum Beispiel.

“Langweiler, Workoholiker, Neurotiker und Geizkragen” gebe es zuhauf in Deutschland, schreibt auch eine junge Petersburgerin aus einer deutschen Großstadt, wo sie als Austauschstudentin lebt: “Als Frau will ich Romantik, Blumen, Anrufe, Überraschungen, dass der Mann um mich wirbt. Aber die Männer sind faul geworden in dieser Hinsicht – überall.” Wenn sich ein formvollendeter romantischer Kavalier finde, sei der meistens hässlich, so die Studentin: “Und wer nicht hässlich ist, ist meistens zu verwöhnt von weiblicher Aufmerksamkeit.”

Über den Autor:

Boris Reitschuster ist geborener Augsburger und gelernter Russe. Nach dem Abitur zog er mit zwei Koffern nach Moskau und schlug sich als Deutschlehrer und Dollmetscher durch. Er volontierte bei der Augsburger Allgemeinen, schrieb für dpa und AFP und übernahm 1999 die Leitung des Moskauer Focus-Büros. 2008 wurde er mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet. Seine hochgelobten politischen Sachbücher “Putins Demokratur” (2006) und die Medwedew-Biographie “Der neue Herr im Kreml?” (2008) erschienen bei Econ. Sein neuestes Buch heißt  „Russki Extrem – Wie ich lernte, Moskau zu lieben“ und ist im Ullstein Verlag unter der ISBN 978-3-550-08766-0 erschienen.

Autor: Boris Reitschuster | Leiter des Moskauer Büros des FOCUS-Magazins,  für Ostexperte – Business in Russland | Expertentipps für Ihr Russlandgeschäft.

Dieser Text ist ein Auszug aus Boris Reitschusters “Russki Extrem – Wie ich lernte, Moskau zu lieben” von Mai 2009. Nähere Informationen finden Sie hier.