Optimistische IWF-Prognosen für Russlands Konjunktur

Viele Analysten rechnen hingegen mit baldigem Abflauen des Wachstums

Vor einem Jahr steckte Russlands Wirtschaft in einem viele Unternehmen erfassenden Lockdown. Die Konjunkturperspektiven verschlechterten sich. Inzwischen erweisen sich aber fast alle der Mitte 2020 veröffentlichten Prognosen zum Rückgang der Produktion als zu pessimistisch. Russlands Bruttoinlandsprodukt war trotz Lockdown und Ölpreiseinbruch laut Schätzung des russischen Statistikamtes Rosstat 2020 nur 3 Prozent niedriger als 2019.

Andere Länder traf die Corona-Krise viel härter als Russland

Im internationalen Vergleich kam Russlands Wirtschaft damit relativ glimpflich durch die Krise. Sein BIP-Rückgang war nach Angaben des Internationalen Währungsfonds nur knapp halb so stark wie der Einbruch der Produktion in der Eurozone (- 6,6 Prozent). Er war auch schwächer als die Abnahme des BIP in den USA (- 3,5 Prozent). Und obwohl die chinesische Wirtschaft auch 2020 wuchs (+ 2,3 Prozent) war sogar der Rückgang des weltweiten Bruttoinlandsprodukts mit – 3,3 Prozent im letzten Jahr voraussischtlich etwas stärker als die Abnahme der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Russland.

Viele aktuelle Prognosen für das Jahr 2021 gehen davon aus, dass die russische Wirtschaft den Produktionsrückgang des letzten Jahres in diesem Jahr weitgehend aufholen wird. An ein mehrjähriges Wachstum von 3 Prozent und mehr glauben aber nur wenige. Oft wird schon für 2022 mit einem Abflauen des Wachstums auf knapp über 2 Prozent gerechnet. Anders der Internationale Währungsfonds. Er sieht die Wachstumsperspektiven Russlands für 2021 und 2022 besonders zuversichtlich.

Der IWF erwartet 2 Jahre mit fast 4 Prozent Wachstum

Schon Ende Januar hatte sich der IWF viel optimistischer als andere Institutionen zur Konjunktur in Russland geäußert. Im Update seines Weltwirtschaftsausblicks erhöhte er seine Wachstumsprognosen für 2021 und 2022 auf 3,0 bzw. 3,9 Prozent.

In seinem am 06. April veröffentlichten neuen Weltwirtschaftsausblick hebt der IWF jetzt seine Prognose für Russlands BIP-Wachstum im Jahr 2021 um 0,8 Prozentpunkte an. Er rechnet nun in Russland in diesem und im nächsten Jahr mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um jeweils 3,8 Prozent. Das ist deutlich mehr als die Weltbank Ende März prognostizierte (2021: + 2,9 Prozent; 2022: + 3,2 Prozent; siehe Ostexperte.de-Bericht).

Eine so rasche Erholung und einen so kräftigen Aufschwung der russischen Wirtschaft wie der IWF erwartet nicht einmal die russische Regierung. Sie geht in ihrem Haushaltsgesetz für 2021 und 2022 von Wachstumsraten von 3,3 und 3,4 Prozent aus. Weil die Produktion der Wirtschaft 2020 jedoch weniger stark sank (- 3,0 Prozent) als die Regierung im Herbst annahm (- 3,9 Prozent), will sie ihre Prognose für die diesjährige Wachstumsrate (3,3 Prozent) jetzt etwas senken. Das kündigte Wirtschaftsminister Reschetnikow laut Finmarket.ru kürzlich an. Die neue Prognose soll „Mitte April“ veröffentlicht werden.

IWF: Russland holt die „Corona-Rezession“ in weniger als einem Jahr auf

Das Forschungsinstitut der staatlichen Vnesheconombank analysierte die IWF-Prognosen am Freitag in seinem Wochenbericht zur internationalen Entwicklung von Konjunktur und Finanzmärkten. Es verglich in der folgenden Tabelle, wie stark die gesamtwirtschaftliche Produktion in wichtigen Volkswirtschaften im Jahr 2020 gesunken ist (dritte Spalte) und welche Wachstumsraten der IWF für 2021 erwartet (vierte Spalte).

In der fünften Spalte wird mit der Veränderungsrate des Bruttoinlandsprodukts im Zwei-Jahres-Zeitraum 2021/2019 deutlich, welche Staaten den Rückgang ihres Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 im Jahr 2021 aufholen können.

Die beiden letzten Spalten zeigen, wie stark der IWF seine Prognosen für die Jahre 2020 und 2021 in Prozentpunkten gegenüber seiner letzten Prognose vom Januar geändert hat.

Russland (letzte Zeile) wird es laut IWF bereits im Jahr 2021 mit einem Wachstum von 3,8 Prozent gelingen, den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 mehr als auszugleichen. 2021 wird Russlands BIP 0,6 Prozent höher sein als 2019.

IWF-Prognosen zur Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts 2019 bis 2021

Welt, USA, Japan, UK, Eurozone, Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, China, Indien, Russland

* Differenz der Wachstumsraten der IWF-Prognosen vom April und Januar 2021 in Prozentpunkten
** für Indien: Fiskaljahr (Beginn 1. April)
Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review; Seite 4; 09.04.2021

Der IWF geht in dieser Prognose für Russlands Wirtschaftsleistung im Jahr 2020 noch von der ersten Schätzung des russischen Statistikamtes Rosstat aus. Sie veranschlagte den BIP-Rückgang auf 3,1 Prozent (inzwischen schätzt Rosstat den Rückgang auf 3,0 Prozent).

Gute Position Russlands im internationalen Wachstumsvergleich

Russland würde mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 0,6 Prozent im Vergleich 2021/2019 deutlich besser abschneiden als die großen Staaten der Eurozone, Großbritannien und Japan. Das zeigt auch die folgende Abbildung des VEB-Instituts.

Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nach Ländern, 2021/2019

Vnesheconombank Institute: „World Economy and Markets Review; Seite 4; 09.04.2021

In Deutschland wird das BIP laut IWF 2021 noch 1,5 Prozent niedriger sein als 2019. In Frankreich wird es 2021 das zwei Jahren zuvor erreichte Niveau noch um knapp 3 Prozent unterschreiten. Italien, Großbritannien und Spanien werden sogar noch jeweils gut 5 Prozent ab 2022 aufzuholen haben.

Auch die russische Wirtschaft wird im Zeitraum 2021/2019 aber deutlich schwächer wachsen als die Weltwirtschaft insgesamt (+ 2,5 Prozent). Wachstumstreiber für die Weltwirtschaft ist vor allem China (2021/2019: +10,9 Prozent). Aber auch Indien (+ 3,5 Prozent) und die USA (+ 2,7 Prozent) werden sich laut IWF rasch von der Corona-Rezession erholen.

Warum hob der IWF seine Russland-Prognosen an?

Ein „Russland-Kapitel“ mit expliziten Begründungen des IWF für seine relativ hohen Wachstumsprognosen bietet der Ausblick des IWF nicht.

Ein Grund für die Anhebung der Russland-Prognosen dürfte sein, dass der IWF jetzt mit deutlich höheren Ölpreisen als bisher rechnet. Der IWF erwartet jetzt für 2021 einen Anstieg des Ölpreises um rund 42 Prozent auf 58,5 Dollar/Barrel. Außerdem dürfte auch Russland von dem erwarteten stärkeren Wachstum des Welthandels profitieren. Darauf weist Olga Belenkaya in einer FINAM-Analyse hin. Sie selbst erwartet für 2021 in Russland ein Wachstum von 2,8 bis 3 Prozent.

Zur russischen Fiskalpolitik meint der IWF, sie sei 2020 „antizyklisch“ gewesen. 2021 erwartet er im Verlauf der gesamtwirtschaftlichen Erholung eine „gewisse Konsolidierung“. Das Haushaltsdefizit werde wahrscheinlich 2022 wieder den von der Regierung beschlossenen „Fiskal-Regeln“ entsprechen (S. 124).

Hohe Unsicherheit über weitere Entwicklung im Jahr 2022

In den Prognosen des IWF sticht besonders hervor, dass er auch für 2022 in Russland ein Wachstum von 3,8 Prozent erwartet. Die meisten anderen Beobachter erwarten für das nächste Jahr bereits wieder ein deutliches Abflauen des Wachstums.

So ergab die Umfrage der Nachrichtenagentur Interfax bei rund 10 führenden russischen Banken und Instituten, dass für 2022 im Durchschnitt mit einem Rückgang der Wachstumsrate von 2,9 Prozent auf 2,2 Prozent gerechnet wird. Die jüngste Umfrage des Research-Unternehmens FocusEconomics ermittelte ein noch etwas stärkeres Abflauen des Wachstums auf nur noch 2,1 Prozent. Damit würde die russische Wirtschaft 2022 nur noch gut halb so stark wachsen wie der IWF erwartet (+ 3,8 Prozent).

Wachstumsprognosen 2020 bis 2022

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Deutsche Institute vor ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ noch uneins

Sehr unterschiedlich schätzten auch die führenden deutschen Forschungsinstitute die weitere konjunkturelle Entwicklung in Russland in den Jahren 2021 und 2022 in ihren jeweiligen „Frühjahrsprognosen“ im März ein. Ihre Wachstumsprognosen für 2021 reichen von 2,3 Prozent (ifo Institut München) bis 3,3 Prozent (Institut für Wirtschaftsforschung Halle, IWH). Während das ifo Institut mit einer Beschleunigung des Wachstums von 2,3 Prozent auf 3,6 Prozent im Jahr 2022 rechnet, erwartet das IWH eine Abschwächung von 3,3 Prozent auf 2,6 Prozent. Die „Gemeinschaftsdiagnose“ der Institute wird am 15. April veröffentlicht (wie auch die Frühjahrsprognose des „Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche, WIIW“).

Vielleicht einigen sich die Institute in ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“ auf die Einschätzung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Es rechnet mit einem Rückgang der Wachstumsrate von 2,8 Prozent im Jahr 2021 auf 2,5 Prozent im Jahr 2022.

Unicredit erwartet für 2022 ein Abflauen des Wachstums

Ganz ähnlich sieht auch die in Osteuropa stark vertretene Mailänder Großbank Unicredit die Wachstumsperspektiven der russischen Wirtschaft. Sie erwartet einen Rückgang der Wachstumsrate von 2,9 Prozent im Jahr 2021 auf 2,6 Prozent im Jahr 2022 (rote Linie in der folgenden Abbildung).

Russlands Bruttoinlandsprodukt 2017 bis 2022

BIP-Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent;
Wachstumsbeiträge von Privatem Verbrauch, Anlageinvestitionen und Netto-Export in Prozentpunkten

Unicredit: CEE Quarterly – 2nd Quarter 2021, Seite 71;  30.03.2021

Wachstumsbeiträge erwartet Unicredit in den Jahren 2021 und 2022 vom Privaten und Öffentlichen Verbrauch sowie den Anlageinvestititonen. Die Einfuhren werden laut der Prognose viel stärker steigen als die Ausfuhren. Damit wird der Netto-Export das Wachstum bremsen.

Unicredit: CEE Quarterly – 2nd Quarter 2021, Seite 71; 30.03.2021

Die ausführliche Russland-Analyse der Unicredit wird voraussichtlich Mitte April auch in deutscher Übersetzung von Bank Austria veröffentlicht.

Titelbild
Titelbild: Turks I Shutterstock.com

Lesetipps und Quellen:

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Konjunkturprognosen für Russland

Außenwirtschaft: Zahlungsbilanz und Wechselkurs

Geldpolitik; Zentralbank-Veröffentlichungen zu Konjunktur- und Preisentwicklung

Der Verbraucherpreisanstieg beschleunigte sich im März auf 5,8 Prozent

Der kombinierte Einkaufsmanager-Index stieg im März insgesamt; der PMI im Verarbeitenden Gewerbe sank etwas bei einem starkem Anstieg des PMI im Dienstleistungsbereich

Das BIP ist 2020 nur um 3,0 Prozent gesunken; zweite Rosstat-Schätzung

Wöchentliche Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland

Vnesheconombank Institute:World Economy and Markets Review“ mit Russland-Themen:

Sberbank: Wochenbericht „Global Economic News“ mit folgenden Russland-Themen:

Marina Voitenko; politcom.ru: Wirtschaftspolitischer Wochenrückblick; meist donnerstags

BOFIT (Bank of Finland): BOFIT Weekly (Russland und China im wöchentlichen Wechsel; donnerstags finnische; freitags englische Ausgabe); BOFIT Russia Statistics

Higher School of Economics: Comments on state and business; Charts: Macro-Monitor

Sonstige periodische Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik

Konjunkturberichte von Wirtschaftsministerium und Rosstat für Februar 2021

Weitere Berichte zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland