“Noch viel ungenutztes Potential”

Interview mit Russland-Koordinator Johann Saathoff 

Johann Saathoff ist der neue „Russlandkoordinator“ der Bundesregierung. Er trat Ende August die Nachfolge von Dirk Wiese an. Das Deutsch-Russische Forum e.V. hat den gebürtigen Ostfriesen für ein Interview getroffen.

Herr Saathoff, Sie sind seit wenigen Tagen Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft. Wie ergeht es Ihnen im neuen Amt?

Zunächst freue ich mich, dass mir dieses Amt angetragen wurde. Ich habe es sehr gerne übernommen. Bereits in den ersten Tagen habe ich viele interessante Menschen aus den zwölf Ländern treffen dürfen, für die ich zuständig bin – trotz Corona, oft digital. Darüber hinaus treffe ich viele Menschen in Deutschland, die mit großem Engagement unsere Beziehungen zum Osten Europas mitgestalten. Das ist eine große, aber dankbare Aufgabe. Weniger schön sind die Umstände, in denen ich mein Amt angetreten habe: die gewaltsame Unterdrückung friedlicher Proteste für freie Wahlen in Belarus, dann die Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny.

Ihr Amtsantritt war und ist geprägt von den offenen und täglich diskutierten Fragen rundum des Giftanschlages auf Alexej Nawalny. Was ist Ihre Sichtweise auf die sich momentan leider zuspitzende Situation zwischen unserem Land sowie der Europäischen Union und Russland?

Vor allem bin ich froh, dass es Alexej Nawalny anscheinend besser geht, dass es den Ärztinnen und Ärzten der Charité gelungen ist, sein Leben zu retten. Das ist natürlich auch das Verdienst derer, die unmittelbar nach der Vergiftung in Russland reagiert haben, die die Notlandung und Erstbehandlung ermöglicht haben; und vor allem der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Verlegung und Behandlung ermöglicht haben. Das zeigt, dass es viele gute, sinnvolle zwischengesellschaftliche Kontakte gibt, die das Verhältnis zwischen unseren Ländern ausmachen. Dem stehen die Fragen gegenüber, die diese Vergiftung aufwirft, umso mehr, als Experten aus inzwischen drei Labors festgestellt haben, dass sie durch einen in der Sowjetunion entwickelten chemischen Nervenkampfstoff erfolgte. Die Reaktionen der russischen Regierung, dass man statt Antworten zu geben unsere Erkenntnisse erst einmal bezweifelt, machen die Situation nicht leichter. Wir haben die Organisation für das Verbot chemischer Waffen informiert, denn die Fragen, die sich stellen, haben nicht in erster Linie mit Deutschland oder der EU zu tun.

In einem Interview mit dem „Handelsblatt“ rufen Sie Russland auf, wieder wie ein Partner zu agieren und auf „gesellschaftliche Versöhnung“ statt auf „geopolitische Konkurrenz“ zu setzen. Was sind Ihre Idealvorstellungen diesbezüglich?

Wenn ich im Bundestag, mit Journalisten, oder überhaupt über Russland rede, dann denken die meisten zuerst an Wladimir Putin, an Russlands Rolle in der Ukraine, vielleicht noch Öl und Gas, und auch das meist als Aspekt der Außenpolitik. Mir fällt kein anderes Land ein, wo die Assoziationen so einseitig ausfallen. Dabei gibt es ja Kontakte auf vielen Ebenen, Wissenschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, wofür ja auch das deutsch-russische Forum steht. Mit Russland verbinde ich vor allem eine große europäische Kultur.  Wenn Akteure der Zivilgesellschaft aber „Agenten“ genannt werden, dann widerspricht das meiner Vorstellung von Zusammenarbeit, weil es zeigt, dass gesellschaftliche Kontakte unter Verdacht stehen. Man darf Bürgerinnen und Bürgern, die für ihre Rechte und Freiheiten eintreten, wie derzeit in Belarus, nicht unterstellen, sie hätten andere Absichten, seien gesteuert, dienten einem Gegner.

Herr Saathoff, Sie kommen aus der ostfriesischen Gemeinde Krummhörn und sind in Ihrer Arbeit als Bundestagsabgeordneter vor allem in den Bereichen Wirtschaft und Energie bisher tätig gewesen. Waren Sie bereits in Russland?

Ich war als Energiepolitiker bereits in Moskau und habe dort Gespräche über dieses Thema geführt, das uns seit vielen Jahren verbindet, bei dem wir aber auch noch viel ungenutztes Potenzial haben. Das sehe ich vor allem bei erneuerbaren Energien und dezentraler Versorgung. Was mir bei meinem Besuch aufgefallen ist, ist, dass man sich trotz aller politischen Differenzen menschlich schnell näher kommt. Russland ist ein riesiges Land, nicht nur, was die Fläche betrifft. Mir ist wichtig, Klischees über Bord zu werfen und den Menschen mit ihrer reichen Kultur, mit all ihren persönlichen und historischen Erfahrungen respektvoll zu begegnen.

Zur Person
Johann Saathoff (geb. 1967 in Emden) war seit 2003 als hauptamtlicher Bürgermeister der Gemeinde Krummhörn tätig, bis er 2013 erstmals direkt in den Bundestag für den Wahlkreis Aurich-Emden gewählt wurde. 2017 erfolgte seine Wiederwahl in den Bundestag. Saathoff ist unter anderem in den Ausschüssen für Wirtschaft und Energie sowie für Ernährung und Landwirtschaft engagiert.
Titelbild
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