Gemeinsame Studiengänge, gemeinsame Forschung: Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, wollen deutsche und kasachische Universitäten enger zusammenarbeiten. Dazu soll ein Deutsches Institut für Ingenieurwesen in Aktau entstehen.
von Christian Grosse
Im September 2023 soll es so weit sein, dann soll das „Deutsche Institut für Ingenieurwissenschaften“ in der westkasachischen Hafenstadt Aktau eröffnet werden. Das gaben Universitätsprofessoren bei einer Pressekonferenz bekannt, die am 31. März in der Botschaft der Republik Kasachstan in Berlin stattfand.
Vertreten waren Lehrstuhlinhaber verschiedener Fachbereiche aus Deutschland und Kasachstan, sowie der kasachische Botschafter in Berlin, Nurlan Onschanow.
Das Institut entsteht als Kooperationsprojekt zwischen deutschen und kasachischen Universitäten. Zwei der beteiligten Hochschulen aus Kasachstan sind die Jessenow-Universität und die Deutsch-Kasachische Universität (DKU) in Almaty. Die 1976 gegründete Jessenow-Universität (Kaspische Universität für Technologie und Ingenieurwesen) ist heute die größte moderne Universität am Kaspischen Meer in Kasachstan, die die staatliche Zertifizierung und Akkreditierung bestanden hat. Sie bildet das wichtigste Zentrum für Bildung und Erziehung, Wissenschaft und Kultur in der Region. Die Universität bildet Fachleute aus für die Öl- und Gasindustrie, den Straßenverkehr, den Maschinenbau sowie für Pädagogik, Recht, Wirtschaft, Informationssysteme, Normung, Finanzen, Geologie, Ökologie, Wärmeenergietechnik und Bauwesen.
Die Jessenow-Universität soll in Zukunft unter anderem Fachkräfte ausbilden für das von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock während ihres Kasachstanbesuchs im Oktober 2022 angekündigte Büro für Wasserstoffdiplomatie, genannt „H2Diplo“.
Ziele von H2Diplo
Kern des Projekts sind die Wasserstoff-Diplomatiebüros in den Partnerländern, die eng mit den jeweiligen Außen- und Energieministerien und anderen Stakeholdern zusammenarbeiten, unter Einbeziehung der jeweiligen deutschen Botschaften vor Ort.
Zu den Projektzielen gehört insbesondere, das Potenzial des Exports und Transits fossiler Energieträger wie Erdgas und Erdöl, sowie Optionen für eine dekarbonisierte Energieexportwirtschaft aufzuzeigen. Dafür bestehen bisher Partnerschaften mit Nigeria, Angola, Saudi-Arabien, Kasachstan und der Ukraine.
Die Wasserstoffdiplomatie des Auswärtigen Amtes trägt nicht nur zum inter- nationalen Klimaschutz, sondern auch zur Energie- und Versorgungssicherheit der Europäischen Union (EU) und der Bundesrepublik Deutschland bei. Die Zusammenarbeit ist abgestimmt auf die Bedürfnisse der jeweiligen Partnerländer.
Dabei stehen sowohl energiepolitische als auch geopolitische und volkswirt- schaftliche Aspekte im Vordergrund, um eine zukunftsfähige Wirtschaftsentwicklung in den Partnerländern zu fördern. Der kooperative Ansatz bei der Transformation des globalen Energiesystems leistet damit auch einen Beitrag zur Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit. Insgesamt pflegen die Wasserstoffdiplomatiebüros eine Partnerschaft zur Bewertung und Darstellung der Potenziale für grünen Wasserstoff.
Forschungszusammenarbeit durch Universitätsnetzwerke
Ausgangspunkt der gesamten Initiative war die große Nachfrage der deutschen Wirtschaft nach Fachkräften in Kasachstan. An dem Konsortium beteiligt sind unterschiedlichste Universitäten wie die Deutsch-Kasachische Universität (DKU) in Almaty, die Jessenow-Universität in Aktau, die Universität Hamburg, die Technische Universität Berlin, die Hochschule Anhalt, die Technische Universität Wildau, die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, die Freie Universität Berlin sowie die Technische Universität Darmstadt.
Unterstützt wird das Deutsche Institut für Ingenieurwissenschaften vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem Ministerium für Wissenschaft und Hochschulwesen der Republik Kasachstan.
Die Deutsch-Kasachische Universität in Almaty (DKU) wurde 1999 im Rahmen einer privaten Initiative gegründet, um Fachkräfte nach deutschem Standard auszubilden. Die Universität arbeitet auf der Grundlage des Regierungsabkommens zwischen der Republik Kasachstan und der Bundesrepublik Deutschland über die kulturelle Zusammenarbeit, das am 03. September 2008 in Astana geschlossen und am 15. Juli 2010 ratifiziert wurde.
Die DKU ist eine internationale Universität, die Fachkräfte mit Kenntnissen in zwei Fremdsprachen ausbildet, die die Vorteile der deutschen Bildung für ihre Karriere und intellektuelle Weiterentwicklung nutzen können. Durch den Transfer von Bildung und Wissenschaft leistet die DKU einen Beitrag zur nach- haltigen Entwicklung Zentralasiens und zur Stärkung der wissenschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit zwischen Kasachstan und Deutschland. Bis heute ist die DKU die einzige deutsche Universität in Kasachstan und Zentralasien.
Für das erste Studienjahr 2023/2024 sind zwei Studiengänge für je 30 Studierende geplant. „Energie- und Umwelttechnik“ sowie „Transportlogistik“ umfassen je neun Semester, davon zwei an der DKU und drei an führenden Universitäten in Deutschland.
Insgesamt sind acht Bachelorstudiengänge und sechs Masterstudiengänge geplant.
Bachelorstudiengänge:
- Energie- und Umwelttechnik
- Transportlogistik
- Verfahrenstechnik
- Informatik
- Elektrotechnik
- Systemtechnik
- Mechatronik
- Industrielles Management
Masterstudiengänge:
- Nachhaltige Mobilität und Logistik
- Wasserumgebung und Technologien
- Erneuerbare Energiesysteme
- Erdsystemwissenschaften
- Nachhaltige Technik
- Datenmanagement und künstliche Intelligenz
In seiner Eröffnungsrede verwies der Botschafter der Republik Kasachstan auf die bisherigen Erfolge beider Länder hinsichtlich wissenschaftlicher Zusammenarbeit mit dem Hinweis, dass nicht nur im Bereich der Politik und der Wirtschaft, sondern auch im Bereich der Bildung und der Wissenschaft eng zusammengearbeitet werde. Bisher wurden 94 Kooperationsdokumente zwischen den Universitäten beider Länder zusammengestellt.
Das Bolashak-Stipendium
Die Kooperationen der Universitäten ermöglichen es kasachischen Studierenden im Rahmen des Bolashak-Stipendiums (Bolashak International Scholarship) zu studieren. Das Bolashak-Programm ist ein Stipendium für leistungsstarke Studierende aus Kasachstan, die im Ausland studieren wollen. Sämtliche Kosten werden vom Staat getragen, vorausgesetzt, die Studierenden kehren nach ihrem Abschluss nach Kasachstan zurück, um dort mindestens fünf Jahre lang zu arbeiten.
Seit seiner Einführung im Jahr 1993 haben mehr als 10 000 Studierende das Stipendium erhalten. Die meisten von ihnen reisen zum Studium in die Vereinigten Staaten, aber auch in andere Länder der Welt. Das Wort “Bolashak” wird mit “Zukunft” übersetzt. Es wurde 1993 vom ersten Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, ins Leben gerufen.
Die Möglichkeit ein solches Stipendium zu erhalten, erlaubt es jungen Menschen in Kasachstan sich nach deutschen und europäischen Standards ausbilden zu lassen. Die Ausbildung qualifizierter Fachkräfte, insbesondere in den Bereichen Energie, Logistik, Umweltschutz und Informationstechnologie, ist somit auch ein strategisch wichtiger Faktor für beide Länder.
Berliner Eurasischer Club
Des Weiteren verwies der kasachische Botschafter auf eine Veranstaltung am 16. Mai 2023: dann findet in Astana die 37. Sitzung des „Berliner Eurasischen Clubs“ (BEK) statt, zu der unter anderem Gäste aus Ministerien sowie aus dem Hochschul- und Wissenschaftsbereich eingeladen sind. Das Thema: Technische Hochschulbildung und Fachausbildung.
Das Ziel des 2012 gegründeten BEK ist es, interessierten Politikern und Experten aus Deutschland und der EU eine exklusive Dialogplattform mit Staaten des Eurasischen Wirtschaftsraumes, der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft und den zentralasiatischen Staaten zu bieten. Unter anderem wurde die Gründung des BEK vom damaligen Bundesaußenminister, Hans-Dietrich Genscher, unterstützt.
Kasachstan ist einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands. So erreichte das bilaterale Handelsvolumen 2022 fast 10 Milliarden Euro. Die Bereiche Bildung, duale Ausbildung und Hochschulausbildung sollen verstärkt werden. Zwischen Kasachstan und Deutschland bestehen beste Voraussetzungen für diesbezügliche Kooperationen.
Berik Achmetow, Präsident der Jessenow-Universität, verwies in seinen Ausführungen ebenfalls auf die bereits bestehenden hervorragenden Kooperationen im Universitätsbereich zwischen Deutschland und Kasachstan. Gleichzeitig zeigte er auf, dass die Region Aktau hervorragend dazu geeignet sei, den Wirtschaftsstandort zukunftsträchtig zu gestalten.
Prof. Dr. Wolrad Rommel, Präsident der DKU (Deutsch Kasachische Universität in Almaty) geht einen ganz neuen Weg. Die aktuelle Kooperation ist ein neuer Schritt in der Wissenschaftskooperation zwischen Deutschland und Kasachstan. Aus deutscher Sicht und Wissenschaftssicht hat Kasachstan eine viel größere Bedeutung für Deutschland und Europa erlangt, als in der Vergangenheit. Dies hat unter anderem auch mit der neuen geopolitischen Situation zu tun.
An erster Stelle steht die Wissenschaft
Die Projekte der DKU im Ausland werden als reine Kooperationsprojekte betrachtet. Und nicht, wie etwa im angelsächsischen Raum, wo Forschungseinrichtungen eröffnet werden, um damit Geld zu verdienen. Die Zusammenarbeit erfolgt ausschließlich durch Ziele der gegenseitigen Wissenschaftskooperation. Dafür steht das Projekt mit der Jessenew-Unitversität. Es ist ein kooperatives Projekt. Dies bedeutet, dass beide Seiten voneinander lernen. Es müssen die Kulturen verstanden werden, aber auch die Arbeitsweisen, die Sprache. Dies alles, gemeinsame Strukturen aufzubauen und einander zu verstehen, muss zusammengeführt werden. Was aus wissenschaftlicher Perspektive eine große Herausforderung ist.
In seinen weiteren Ausführungen verwies Prof. Rommel auf die enge Zusammenarbeit in der Region West-Kasachstan mit Unternehmen und der Industrie. Nur in Kooperation miteinander könnten Innovationsprozesse in die Wege geleitet werden, so Rommel.
West-Kasachstan werde sich, so Prof. Rommel, zukünftig sehr gut entwickeln. Dazu bedarf es einer starken regionalen Universität wie der Jessenow- Universität. Das Ziel sei es, ein Dreieck aus Innovation, Bildung und Forschung aufzubauen, um in völlig neuen Dimensionen der wissenschaftlichen Kooperation zusammenzuarbeiten. Dazu müssen die entsprechenden Rahmenbedingungen geschaffen werden. Und um erfolgreich zu sein, müssen zudem die unterschiedlichen Fachdisziplinen mit unterschiedlichen Entscheidungsträgern alle an einem Tisch sitzen.