Morgenkommentar am 7. März 2017

Wer immer noch von einer geeinten europäischen Supernation als Ziel der Geschichte träumt, möge Richtung Osten blicken. Dort, in der Hauptstadt der Russländischen Föderation, stockt derzeit ein Gesetzesvorhaben mit dem Namen “Zur Einheit der russländischen Nation und den zwischenethnischen Beziehungen”. Grund: der Name stößt in weiten Kreisen auf Widerstand.

Die mit der Ausarbeitung der Gesetzesvorlage beauftragte Arbeitsgruppe konstatiert, die Gesellschaft sei nicht bereit für die Idee einer einheitlichen russländischen Nation. Wohlgemerkt (1): russländisch, nicht russisch. Und wohlgemerkt (2): Die betreffenden Ethnien, insgesamt rund 200 an der Zahl, leben seit Jahrhunderten in einem einheitlichen Staatswesen zusammen.

Im Leben geht es anders zu als in der Phantasie der Supereuropäer. Eine Einheitswährung, einheitliche Steuersätze, sogar eine vereinte Armee schmieden auch nach fünf, sechs Generationen keine neue Nation. Die österreichisch-ungarische Doppelmonarchie, ein Bilderbuch-Imperium, bot ihren Völkern vergleichsweise paradiesische Bedingungen – und wurde dennoch als “Völkergefängnis” geschmäht. Ähnliches kann auch der EU dereinst blühen. Ungarn und Franzosen werden sich auch in zweihundert Jahre so wenig als Teil einer Nation verstehen wie Vietnamesen und Thais.

Wer glaubt, ein postnationales Zeitalter sei angebrochen, der soll die Thais fragen, die Franzosen, die Vietnamesen, die Ungarn. Nicht die Hipster in Berlin-Mitte.

Der geographische Riese Russland und der wirtschaftliche Riese China werden die Zukunft der eurasischen Landmasse wesentlich bestimmen. Beide verbindet eine tiefsitzende historische Angst um ihren staatlichen Zusammenhalt. Beide sind, so gesehen, strategisch überdehnt – nur dass sich daran nichts ändern wird. Vorerst jedenfalls nicht.

Die europäischen Länder haben nun die Chance, es ihnen nicht nachzutun. Keine Supernation zu schaffen, um deren Bestand ständig gebangt werden muss. Die Gesetze braucht der Art “Zur Einheit der europäischen Nation und den zwischenethnischen Beziehungen”. Manchmal ist Fortschritt auch, Dinge so zu belassen, wie sie sind.