Produziert Russland weniger Milch als gedacht?

Russischer Milchverband kritisiert Rosstat-Statistik

Laut Verband des russischen Milchsektors (RSPMO) werden in Russland jährlich statt der von Rosstat angegebenen 31 Millionen Tonnen nur 17 Millionen Tonnen Rohmilch hergestellt. Grund für diese Differenz seien Lebensmittelfälschungen. Dies berichtet das Fachmagazin top agrar

RSPMO-Geschäftsführerin Ljudmila Manizkaja äußerte Zweifel an der Rosstat-Statistik zur russischen Käse-Selbstversorgung. Angeblich soll sie 2015 bei 25 Prozent und 2016 bei 67 Prozent gelegen haben. Manizkaja ist der Ansicht, dass dieser große Unterschied ein Resultat von Lebensmittelfälschungen sei. In Wahrheit werde deutlich weniger Milch produziert.

Außerdem erklärte die Branchenexpertin, dass der Inlandskonsum von Milchprodukten aufgrund steigender Preise gesunken sei. Ihren Angaben zufolge betrug der Pro-Kopf-Verbrauch von Milchprodukten in Russland 2016 nur durchschnittlich 234 Kilogramm, während er 1991 bei 387 Kilogramm gelegen habe.

Hinsichtlich des russischen Milchkuh-Bestands sagte Manizkaja, dass dieser trotz Subventionen in den letzten fünf Jahren um 8 Prozent auf 8,2 Millionen Tiere gesunken sei. Ihr zufolge sei das russische Subventionssystem in der Milchbranche veraltet.

Not macht erfinderisch

Als Reaktion auf die Mitte 2014 eingeführten EU-Sanktionen hatte Russland ein Embargo für Lebensmittel aus der EU verfügt, das zuletzt bis Ende 2018 verlängert wurde. Besonders die russische Milchbranche ist vom Einfuhrverbot betroffen: Bisher hat Russland rund ein Viertel seines Rohmilchbedarfs aus anderen Ländern, etwa 7,5 Millionen Tonnen pro Jahr, importiert.

Der Engpass soll manche russische Milch- und Käsehersteller dazu verleiten, Produkte mit Zusatzstoffen zu strecken. Die regierungsunabhängige Verbraucherorganisation Roscontrol testete 2015 46 Milchprodukte und stellte dabei fest, dass 60 Prozent davon Ersatzstoffe enthielten.

Auch aus Tests der staatlichen Kontrollbehörde für landwirtschaftliche Produkte Rosselchosnadsor (russisch: »Россельхознадзор«) ist ersichtlich, dass Produkte mit billigen Pflanzenfetten wie Palmöl oder Kokosfett hergestellt wurden.

Angaben zu Zusatzstoffen seien auf Verpackungen nicht vorhanden. Rosselchosnadsor warnte davor, dass manche Unternehmen die Milch nicht nur mit Wasser strecken, sondern mit gesundheitsschädlichen Stoffen wie „Stärke, Kreide, Seife, Backpulver, Kalk oder sogar Zement“.

Die Nachrichtenseite „Fontanka” veröffentlichte im Juni ein Experiment mit Hüttenkäse auf ihrer Website. Bei diesem stellte sich heraus, dass der Käse nach Anzünden zehn Minuten lang brannte. Der Hüttenkäse soll also keine Milch enthalten haben, sondern mit Fett-Zusatzstoffen gepanscht und „nur geeignet für Kerosinlampen“ gewesen sein. Der Hüttenkäse-Hersteller musste seinen Betrieb inzwischen einstellen.

Lebensmittelembargo bleibt zur Freude russischer Hersteller bestehen

„Eine gute Gelegenheit” nannte der russische Ministerpräsident Dmitri Medwedew das Einfuhrverbot für EU-Lebensmittel, um die einheimische Landwirtschaft zu unterstützen. Auch der russische Landwirtschaftsminister Alexander Tkatschow gilt als Verfechter der Lebensmittel-Sanktionen. Er hatte in der Vergangenheit mehrfach die Hoffnung geäußert, dass das Einfuhrverbot möglichst lange aufrecht erhalten wird.

Die Verlängerung des Embargos sorgte bei einigen russischen Produzenten für Freude: Der eigentlich als IT-Experte arbeitende Oleg Sirota stieg letztes Jahr auf Käseherstellung um und produziert jetzt Parmesan und Mozzarella, die bislang aus Italien bezogen wurden. Dem Magazin Geo sagte Sirota, dass es keine europäische Konkurrenz mehr gebe und dies für die russischen Hersteller eine „einmalige Chance” sei.

Übernimmt Asien die Rolle der EU?

Der Nachrichtenseite Heise online zufolge könnte Asien potentiell den russischen Markt mit Produkten versorgen, die bislang aus der EU importiert wurden. Im Mai unterzeichnete der thailändische Premierminister Prayut Chan-o-cha einen Vertrag zum Aufbau einer großen Milchproduktionsanlage unweit von Moskau.

Dieses Projekt, dessen Kosten sich auf eine Milliarde US-Dollar belaufe, werde gemeinsam von der thailändischen Charoen-Pokphand-Gruppe, dem chinesische Konzern Banner Infant Dairy Products, dem russischen Staatsfonds RDIF und arabischen Investoren vorangetrieben.

In der geplanten Milchfabrik sollen in spätestens fünf Jahren 80.000 Kühe auf bis zu 60.000 Hektar Fläche stehen, um jährlich mehr als 400.000 Tonnen Milch zu geben. Ebenso haben vietnamesische Anleger 720 Millionen US-Dollar in zwei weitere Milchproduktionsanlagen investiert, die ab 2017 den Großraum Moskau bedienen sollen.