AHK-Chef Matthias Schepp: „Viele deutsche Unternehmen haben sich mit der Krise enger an Russland gebunden“
Der Vorsitzende der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK), Matthias Schepp, spricht im Ostexperte.de-Interview über die Themen Lokalisierung und Geschäftsklima in Russland. „In den letzten Monaten haben wir verstärkte Investitionsaktivitäten deutscher Firmen gesehen“, erklärt er optimistisch. Im Gespräch geht es auch um Investitionshemmnisse und die neuen US-Sanktionen.
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Was genau bedeutet „Lokalisierung in Russland“ überhaupt? Welchen Herausforderungen und Aufgaben sind Unternehmen ausgesetzt, die ihren Lokalisierungsgrad erhöhen wollen?
Lokalisierung heißt die Verlegung von Produktionskapazitäten aus dem Ausland nach Russland. Deutsche Unternehmen bauen hier vor Ort eine Produktion auf und stellen in Russland her. Lokalisierung ist einer der wichtigsten Trends im Russlandgeschäft der vergangenen Jahre. Das hat auch damit zu tun, dass sich die russische Regierung im Zuge der Sanktionen bemüht, Importe zu ersetzen.
Um den lokal produzierten Anteil zu erhöhen, müssen russische oder in Russland ansässige Zulieferer gefunden werden, die Teile oder Rohstoffe in ausreichender Qualität liefern können. Das ist keine leichte Aufgabe. Auch qualifizierte Fachkräfte zu finden, ist gerade in den russischen Regionen ein Problem.
Welche deutschen Unternehmen in Russland stechen besonders durch ihre Bemühungen um Lokalisierung hervor? Welche nennenswerten Investitionen wurden in den vergangenen Monat bekanntgegeben?
Um alle Firmen zu nennen, die sich mit ihren Lokalisierungsbemühungen hervortun, sind das schlicht zu viele. Darunter befinden sich viele typische Mittelständler, aber auch große Konzerne. Betrachtet man die jüngste Vergangenheit, ließe sich etwa der Pumpenbauer Wilo hervorheben, der erst kürzlich einen sogenannten Sonderinvestitionsvertrag abgeschlossen hat und die Vorreiter beim Abschluss dieser Verträge, der Landmaschinenhersteller Claas und der Werkzeugmaschinenbauer DMG Mori.
Wir freuen uns auch, dass wir in den vergangenen Monaten an einer Vielzahl von Werkseröffnungen und Grundsteinlegungen teilnehmen durften. Im Sommer haben unter anderem der Heizgerätehersteller Viessmann, der Elektrokomponentenhersteller Phoenix Contact und der Messgeräteproduzent WIKA neue Produktionen eröffnet.
Die Grundsteinlegung für ein Mercedes-Benz-Werk der Daimler AG im Juni mit einer Investition von über 250 Mio. Euro und dem Abschluss eines Sonderinvestitionsvertrags ist wohl das öffentlichkeitswirksamste Projekt. BMW prüft ebenfalls den Bau eines ersten eigenen Werks in Kaliningrad. Auch hier wird von einer Investition von mehreren Hundert Millionen Euro gesprochen.
Andere Firmen haben ihre Lokalisierungsaktivitäten ebenfalls vorangetrieben. Der Pharmahersteller Bionorica hat im Sommer mit dem Bau einer Produktion in Zentralrussland für rund 40 Mio. Euro begonnen und der Heizkörperproduzent Kermi hat Mitte September den Grundstein seines neuen Werks gelegt – mit einer Investition von rund 20 Mio. Euro.
Erwähnen möchten wir an dieser Stelle auch die zahlreichen deutschen Unternehmen, die schon lange auf dem Markt sind und ihr Geschäft vor Ort ausbauen sowie diejenigen, die mit Beratung und Dienstleistungen zum Gelingen der Lokalisierung beitragen.
Inwiefern profitieren Unternehmen durch eine Lokalisierung auf dem russischen Markt? Wie sehr ist die Regierung um ausländische Investoren bemüht?
Durch eine Lokalisierung in Russland winken größere Kundennähe, kürzere Transportwege und eine geringere Abhängigkeit von Wechselkursschwankungen. Wesentlicher Grund, nach Russland zu gehen, ist aber die Marktgröße und das enorme Wachstumspotenzial, die sich besser nutzen lassen, wenn man vor Ort ist. Auch staatliche Förderungen und Nachlässe, für die ein bestimmter Lokalisierungsgrad oft eine Voraussetzung ist, bieten ausländischen Unternehmen Chancen.
Die russische Regierung bemüht sich sehr um ausländische Investoren, die im Land Arbeitsplätze schaffen und Technologien mitbringen. Besonders in den russischen Regionen werden deutsche Investoren umworben, oft von den Gouverneuren persönlich.
Auch auf institutioneller Ebene hat das Land in den vergangenen Jahren viel für sein Investitionsklima getan. Im aktuellen Doing-Business-Ranking der Weltbank liegt Russland auf Platz 35 von 190 und verbessert sich damit gegenüber dem Vorjahr um fünf Plätze. Wenn man beachtet, dass man 2011 noch auf Platz 123 lag, kann sich das mehr als sehen lassen. In einigen Bereichen wie dem Erhalt von Elektrizität und Krediten, der Vertragsumsetzung sowie der Registrierung von Eigentum gehört das Land zur Spitzengruppe.
Andererseits haben deutsche Unternehmen nach wie vor mit Benachteiligungen gegenüber russischen Konkurrenten zu kämpfen, insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungsverfahren.
Wie entwickelt sich das Investitionsklima in Russland? Welche Regionen sind bei deutschen Unternehmen für ein besonders gutes bzw. schwaches Investitionsklima bekannt?
Das Investitionsklima in Russland entwickelt sich durchaus vorteilhaft. Dazu trägt auch der Wirtschaftsaufschwung und die Erholung nach der Krise bei. Anfang des Jahres blickten über zwei Drittel der von der AHK befragten deutschen Firmen positiv oder leicht positiv auf das Geschäftsklima im Land.
Allerdings trüben Unsicherheiten wie die im August beschlossenen neuen US-Sanktionen die Stimmung und lassen Investoren zurückhaltender agieren. Außerdem ist unklar, wie groß die Wachstumsmöglichkeiten der russischen Wirtschaft langfristig ohne umfangreiche Strukturreformen sind.
In unserer traditionellen Geschäftsklima-Umfrage wollen wir von den Unternehmen immer auch wissen, in welchen russischen Regionen das Investitionsklima am besten ist. Auf den oberen Plätzen rangieren dabei aktuell die Stadt Moskau, St. Petersburg, das Moskauer Gebiet, die Republik Tatarstan vor Kaluga, Krasnodar, Swerdlowsk, Samara, Uljanowsk und Lipezk. Da auch die Nähe zu den Absatzmärkten eine Rolle spielt, sind östlich des Urals und im Fernen Osten kaum deutsche Firmen vertreten.
Welche Faktoren zählen bei deutschen Unternehmen, die am russischen Markt interessiert sind, zu den größten Investitionshemmnissen?
Der erste Eindruck und der Ruf spielen bei einer Investitionsentscheidung durchaus eine Rolle. Daher sind natürlich die gegenseitigen Sanktionen, die die Debatte bestimmen, nicht hilfreich, wenn deutsche Mutterhäuser von Investitionsentscheidungen überzeugt werden sollen.
Unternehmen wünschen sich ein stabiles Umfeld für ihre Geschäfte – da werden auch der Rubelverfall und wechselnde rechtliche Rahmenbedingungen kritisch gesehen. Auch die Wirtschaftskrise der letzten Jahre – und jetzt die Ankündigung neuer US-Sanktionen – dürften Investoren abgeschreckt haben.
Die ausufernde Bürokratie, Korruption sowie die schwierige Suche nach Fachkräften und passenden Zulieferern sind weitere Hemmnisse, die unsere über 800 Mitgliedsunternehmen immer wieder in unseren Umfragen nennen.
Ab 2013 haben sich viele deutsche Unternehmen wegen Wirtschaftskrise und Sanktionen aus Russland zurückgezogen. Nun ist die Wirtschaft wieder im Aufschwung. Kommen also auch die Unternehmen wieder zurück?
Viele Unternehmen haben zwar ihre Aktivitäten zurückgeschraubt, den russischen Markt aber auch in der Krise nicht verlassen. Von Rückzug und Rückkehr kann man daher nicht reden. Viele Unternehmen haben sich im Gegenteil gerade mit der Krise enger an Russland gebunden – mit Lokalisierung.
In den letzten Monaten haben wir – wie anfangs erwähnt – verstärkte Investitionsaktivitäten deutscher Firmen gesehen. Auch neue Unternehmen betreten den Markt, das freut uns natürlich sehr.
2015 hat Russland den „Sonderinvestionsvertrag“ (SpezInvestKonktrakt) eingeführt. Können Sie nach zwei Jahren ein Fazit ziehen? Wie beliebt ist das Investitionsinstrument bei deutschen Unternehmen? Inwiefern konnten sie davon profitieren?
Der Sonderinvestitionsvertrag (SPIK) ist ein vieldiskutiertes und umstrittenes Instrument der russischen Importersatz- und Lokalisierungspolitik. Eine Hand voll deutscher Unternehmen haben bereits Sonderinvestitionsverträge unterzeichnet. Der Landmaschinenbauer Claas war sogar das erste Unternehmen überhaupt. In diesem Jahr haben der Pumpenhersteller Wilo und Daimler unterzeichnet. Weitere Firmen planen den Abschluss eines solchen Vertrags.
Mit dem Abschluss eines SPIKs verpflichten sich Firmen, ein langfristiges Investitionsprojekt mit hohem Lokalisierungsgrad in Russland umzusetzen. Im Gegenzug sichert ihnen die Regierung unveränderte Rahmenbedingungen und Steuervergünstigungen zu. Außerdem erhalten die Produkte den Status „Made in Russia“ bereits bevor die Unternehmen tatsächlich den eigentlich benötigten Lokalisierungsgrad dafür erreicht haben. Damit sind sie russischen Produkten gleichgesetzt und können an staatlichen Ausschreibungen und Förderungen teilnehmen.
Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass das Instrument des SPIK allein Unternehmen nicht zu einer Investition bewegt. Ausschlaggebend ist vielmehr die langfristige Strategie der Firmen. Stimmt der SPIK mit den Zielen aber überein, kann er sinnvoll sein. Außerdem kann er mit seiner Signalwirkung für zusätzliche politische Unterstützung sorgen.
Kritisch gesehen werden vor allem die langfristige Verpflichtung und der langwierige Prozess eines SPIK-Abschlusses. Der SPIK umfasst zudem nur bestimmte Branchen und Produktgruppen. Ob die Ziele nicht auch ohne SPIK erreicht werden können, wird in den AHK-Komitees heiß diskutiert.
Möglicherweise bringt eine Überarbeitung des Vertrags, ein SPIK 2.0, an dem die Ministerien aktuell arbeiten, Verbesserungen. Eine wesentliche Änderung könnte der Übergang vom „lokalen Produkt“ zum „lokalen Produzenten“ für den Status „Made in Russia“ sein. Bislang können nur Produkte, nicht Hersteller dieses Siegel erhalten. Außerdem könnte der Vertrag, der aktuell nur Industriegüter umfasst, auf Dienstleistungen und Software ausgeweitet werden.
Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer ist Mitveranstalter der Business-Konferenz „InRussia 2017“ am 23. November 2017. Welche Bedeutung hat dieses Event? Was sind die Themen?
Die InRussia, die wir gemeinsam mit dem russischen Industrieparkverband AIP veranstalten, beschäftigt sich vor allem mit dem Thema Produktionslokalisierung und dem Thema Zulieferer. Mit der Veranstaltung wollen wir die Kontakte zur russischen Wirtschaft vertiefen und für einen internationalen Austausch zu Investitionsprojekten in Russland sorgen. Auch andere internationale Wirtschaftsverbände nehmen daran teil.
Besonders am Herzen liegt uns die Zuliefermesse, die im Rahmen der InRussia stattfindet. Dort können internationale Unternehmen nach Partnern für die Lieferung von Teilen und Technologien suchen. Das Thema Zulieferer ist wie erwähnt einer der Hemmnisse bei der Lokalisierung in Russland.
Als AHK werden wir auf der Konferenz eine neue Initiative der mit dem Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik Deutschlands, dem Russischen Exportzentrum und dem Ost-Ausschuss vorstellen. Sie ist der Entwicklung einer Plattform zur Einbeziehung russischer Zulieferern von Komponenten in das Einkaufssystem deutscher Produktionsunternehmen gewidmet.
Vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Schepp.
Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.