Trotz der derzeitigen Krise plant Kühne + Nagel in Russland, im April 2016 ein neues Lkw-Netzwerk einzuführen. Ein Interview.
Das Logistik-Unternehmen Kühne + Nagel baut in der Krise ein nationales Lkw-Transportnetz in Russland auf. Perry Neumann, der Geschäftsführer für Russland + Weissrussland, berichtet im Ostexperte.de-Interview über die Lkw-Maut, Investitionen in der Krise und das Logistik-Geschäft in Russland.
[accordion open_icon=”chevron-up” closed_icon=”chevron-down”] [toggle title=”Über Kühne + Nagel in Russland” open=”yes”]Kühne + Nagel ist seit 1992 im russischen Markt aktiv. Momentan beschäftigt das Logistik-Unternehmen in 18 russischen Städten mehr als 700 Mitarbeiter. In Russland hat Kühne + Nagel 24 operativen Büros und Lager mit 144.000 Quadratmeter Lagerfläche. [/su_spoiler]
Herr Neumann, am 15. November wurde in Russland das Lkw-Maut-System namens “Platon” eingeführt. Es ist sehr umstritten. Die Trucker streiken. Was heißt die Maut für Ihr Logistik-Geschäft?
Das werden wir momentan von vielen Seiten gefragt. Über kurz oder lang müssen die erhöhten Kosten durch die Maut entsprechend an die Kunden weitergegeben werden, falls nicht doch wieder zurückgerudert wird, was wir aber nicht erwarten.
Bislang haben sich recht wenige Unternehmer überhaupt registrieren lassen. Mit Unternehmer meine ich Lkw-Besitzer, die für uns als Subunternehmer fahren. Wir besitzen keine eigenen Fahrzeuge in Russland.
Die Maut hat sehr viel Kritik abbekommen. Deswegen fragen wir einmal anders herum: Können Sie der Maut etwas Gutes abgewinnen?
Wenn es eine entsprechende Infrastruktur gäbe oder eine Garantie, dass durch die Maut die Infrastruktur innerhalb eines gewissen Zeitraums maßgeblich verbessert werde, könnte man der Maut etwas abgewinnen. Wir sehen aber nicht, dass sich dadurch irgendetwas an den Straßen ändern wird, beziehungsweise, dass das Geld vollständig in den Infrastruktur-Sektor einfließen wird.
Gehen Sie gegen die Maut vor?
Wir sind in verschiedenen Interessensverbänden organisiert, die das Gespräch mit den entsprechenden Regierungsvertretern suchen. Was im Endeffekt dabei herauskommen wird, kann ich nicht sagen. Ich bin da aber nicht sehr zuversichtlich, da die Implementierung bereits auf Hochtouren läuft.
Unterstützen Sie die Trucker bei ihrem derzeitigen Protest?
Nein, wir gehen nicht mit ihnen auf die Straße (lacht). Das ist letztendlich Sache des Unternehmers.
Die Maut hält Sie aber offenbar nicht davon ab, ein neues Lkw-Netzwerk in Russland aufzubauen. Was hat es damit auf sich?
Das hat in erster Linie mit der Lokalisierung zu tun. Es gibt heute bereits große Volumina auf dem lokalen Transportmarkt, die weder für den Import noch Export sind. Wir gehen davon aus, dass im Rahmen der Entwicklung der letzten eineinhalb oder zwei Jahre in Zukunft noch deutlich mehr lokalisiert und lokal produziert wird. Dafür bieten wir unseren Kunden nun eine entsprechende Lösung an.
Wir bauen ein nationales Sammelgut-Netzwerk für Sendungen von einem Kilogramm bis 2,5 Tonnen auf. Das Netzwerk reicht tief in die russischen Regionen – von Kaliningrad im Westen bis Surgut und Nowosibirsk im Osten und von St. Petersburg im Norden bis Krasnodar im Süden (siehe Karte weiter unten). Nachdem es vollständig implementiert ist, werden wir in der Lage sein, ca. 85 Prozent der russischen Bevölkerung zu bedienen.
Mit dem bestehenden Hub in Moskau haben wir eine Plattform eingerichtet, von wo aus unsere Lkw in die entsprechenden russischen Regionen fahren werden. Das heißt, wir holen die Ware im Großraum Moskau ab oder lassen sie von anderen Hubs zuführen. Dann stellen wir die Komplett-Lkw zusammen. Das Ziel ist, dass es täglich Abfahrten in alle Richtungen zu den regionalen Standorten gibt.
In den Regionen haben wir eigenes Personal, das dann für die Umladung von den großen ankommenden Lkw auf kleine Lkw zuständig sind. Von dort aus wickeln wir den Last-Mile-Service ab, der im Umkreis von mehreren hundert Kilometern vom regionalen Hub liegen kann.
Und wann soll das Netzwerk fertig sein?
Das Netzwerk wird voraussichtlich im April 2016 voll operativ sein. Dann werden wir 17 Regional-Hubs bewirtschaften. Der Zeitplan sieht folgendermaßen aus: Wir haben in Moskau bereits den Ausgangs-Hub implementiert und danach im Juli vier Büros (jeweils mit kleinem Lageranteil) in Woronesch, Rostow, Wolgograd und Krasnodar eröffnet. Im Oktober folgten fünf weitere Büros in St. Petersburg, Nischnij Nowgorod, Kasan in Samara und Ufa. Im Januar werden vier weitere hinzukommen und die letzten vier werden wir voraussichtlich bis April 2016 eröffnen.
Was werden dann dort für Waren transportiert?
Der Fokus liegt auf normaler Handelsware, das heisst keine temperaturgeführten Waren oder Lebensmittel. Wir sind allerdings dabei, eine spezielle Mehrwegpalette zu untersuchen, in der man temperaturgeführte Güter transportieren kann – wir denken da insbesondere an die Pharma- und die Kosmetikindustrie.
Wir wollen das Netz primär für Waren nutzen, die ihren Ursprung in Russland haben, aber auch als Ergänzung unserer internationalen Lieferkette. Waren, die per See-, Luftfracht oder per Lkw durch Kühne + Nagel nach Russland transportiert werden, werden wir dann auch in unserem Netzwerk bis zum Endbestimmungsort liefern.
Ist das denn eine Neuerung? Ihre Konkurrenzen haben doch sicher bereits solche Netzwerke in Russland.
Der Markt und das Land sind riesengroß. Es gibt etwa zehn solcher Netzwerke wie unseres – von russischen Unternehmen aber teilweise auch von globalen Mitbewerbern.
Wir haben alle Netzwerke analysiert und danach sorgfältig entschieden in welchem Segment wir einsteigen möchten – in Sachen Laufzeit, Preis und vor allem Servicequalität werden wir punkten.
Dabei spielt die IT eine maßgebliche Rolle, besonders in Bezug auf den Qualitätsanspruch unserer Kunden. Ohne eine ausgereifte IT Lösung funktioniert es nicht.
Für uns war es daher wichtig mit einem Produkt, das ein klares Leistungsversprechen hat, in den Markt einzutreten, auch um unseren nationalen und internationalen Kunden einen Mehrwert anzubieten.
Wir wollen mit dem neuen Netz auch Synergien generieren – insbesondere im Last-Mile-Service. In diesem Bereich können beispielsweise unsere Luftfrachtsendungen mit unserem eigenen Netzwerk zugestellt werden.
Und wieso investieren Sie gerade jetzt in der Krise?
Die Pläne wurden nicht kurzfristig und wegen der Krise erarbeitet, sondern es ging darum eine komplexe Lösung aufzustellen und zu implementieren. Unseres Erachtens gibt es nur wenige Spezialisten auf dem russischen Markt, die in diesem Segment wirklich tiefgreifende Erfahrungen haben. Wir haben über drei Jahre daran gearbeitet, die richtigen Leute für dieses Konzept zu finden, und das fiel jetzt mit der Krise zusammen, wobei wir den Zeitpunkt für günstig halten.
Warum haben Sie sich gegen eine Akquisition entschieden?
Eine Akquisition in Russland zu tätigen steht für uns nicht im Vordergrund. Wir haben uns in den letzten Jahren einige russische Unternehmen angeschaut, und sind zu dem Schluss gekommen, dass organisches Wachstum für uns mehr Sinn macht
Das heißt, Sie stellen derzeit auch neue Mitarbeiter ein?
Ja, dieses neue Transportnetzwerk wird etwa 60 Arbeitsplätze generieren. Wir haben in der Krise nicht abgebaut – ganz im Gegenteil: Wir stellen nach wie vor ein.
Weil wir eben über Ihre Mitbewerber gesprochen haben: Wie ist denn Ihre Situation auf dem russischen Logistikmarkt?
Wir sehen uns als Nummer fünf – nach Umsatz bemessen. Umsatz ist die einzige Bezugsgröße, die man in Russland in Erfahrung bringen kann. Andere Leistungskennzahlen, um sich im Wettbewerb in der Logistik zu messen, sind kaum verfügbar. Der Abstand zum Marktführer ist nicht sehr groß. Wir sind Nummer fünf mit einem Marktanteil von 0,5 Prozent! Die Top-10-Logistiker, also globale und lokale Unternehmen, kontrollieren einen Marktanteil von fünf bis sechs Prozent. Daran sieht man, wie fragmentiert der russische Logistik-Markt ist.
Hatten Sie durch die Krise einen Rückgang des Warenverkehrs?
Ja, den hatten wir. Insbesondere bei Bestandskunden, bei denen die Volumina zurückgegangen sind. Wir haben aber praktisch keinen Kunden verloren.
Mit einem Marktanteil von 0,5 Prozent kann man nur gewinnen. Es liegt an uns und daran wie gut wir strukturiert sind – an unseren Produkten, Servicequalität, Qualität der Verkaufsmannschaft – unsere Lösungsansätze insgesamt. Das Geschäft vom Markt zu nehmen ist auch in der Krise möglich.
Was macht Ihnen im Russlandgeschäft am meisten Sorgen?
Ein schwacher Ölpreis, ein schwacher Rubel und zu etwa 40 Prozent die Sanktionen. Wenn zumindest nächstes Jahr die Sanktionen gelockert werden sollten, dann sehen wir ein erneutes Wachstum auf dem russischen Markt. Das wäre wünschenswert.
Kürzlich ist der Doing Business-Bericht der Weltbank erschienen, bei dem sich Russland deutlich verbessert hat. Was ist denn für Sie in der Logistikbranche in den letzten Jahren einfacher geworden?
Wo wir in den letzten Jahren merkliche Verbesserungen feststellen, ist im Zoll-Bereich. Mit der elektronischen Zoll-Deklarierung sind jetzt wesentlich mehr Standards gesetzt als früher.
Ansonsten gibt es viele Bereiche, mit Optimierungspotenzial: die Infrastruktur ist verbesserungswürdig, die Bürokratie und Administration ebenfalls, auch unvorhergesehene Wechsel in der Gesetzgebung gibt es nach wie vor.
Der russische Markt ist und wird kein einfacher Markt sein, was aber auch Vorteile mit sich bringt. Wir sehen uns als Spezialisten, um unseren Kunden entsprechend helfen zu können, damit sie besser sind als ihre Wettbewerber.
Was wünschen Sie sich für das Russlandgeschäft im neuen Jahr?
Geschäftlich würde ich mir für das nächste Jahr wieder eine normalisierte Situation zwischen Russland und dem Rest der Welt wünschen.
Eine gelockerte Situation und ein näheres Miteinander, so kann man es zusammenfassen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Neumann!
HINWEIS: Auf der eingebundenen Karte sind nur alle bisherigen und im Interview erwähnten Standorte für das Lkw-Netzwerk aufgeführt.
[accordion open_icon=”camera-retro” closed_icon=”camera-retro”] [toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”] Quelle:Titelbild und Bilder des Artikels: Pressebilder von Kuehne + Nagel.
Eingebundene Karte: Eigene Darstellung mit Google MyMaps für Ostexperte.de.
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