Verschärfte Konkurrenz für „Russland-Versteher“

Verschärfte Konkurrenz für „Russland-Versteher“

Denkwerkstatt „LibMod“ will „Ukraine verstehen“ – Verstärkt sich die Lagerbildung im Petersburger Dialog?

Mitte November feierte in Berlin ein neuer Think Tank seine Eröffnung. „Zentrum Liberale Moderne (LibMod)“ haben die Gründer, die Eheleute Marieluise Beck und Ralf Fücks, ihre Denkwerkstatt genannt. Marieluise Beck war zuvor Bundestagsabgeordnete für die Grünen, mit Unterbrechungen bereits seit 1983. Ralf Fücks ist seit 1982 Mitglied bei den Grünen, war 1991 bis 1995 Senator für Stadtentwicklung und Umweltschutz in Bremen und leitete danach bis 2017 die Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Gründung des bisher noch kleinen Think Tanks (7 Mitarbeiter) fand sehr viel Aufmerksamkeit – auch weil der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck an der Eröffnungsfeier teilnahm. Zahlreiche Medien berichteten – auch RT Deutsch. Im Radio Berlin Brandenburg und im Deutschlandradio erhielt Fücks Gelegenheit, in halbstündigen Interviews seine Pläne zu erläutern.

Im folgenden Bericht finden Sie insbesondere Hinweise zur Frage, welche Intentionen LibMod mit seiner Seite „Ukraine verstehen“ und gegenüber Russland verfolgen dürfte. Interessant wird auch sein, wie sich das Verhältnis von LibMod zum Petersburger Dialog entwickeln wird. Wird sich die von vielen konstatierte „Lagerbildung“ im Petersburger Dialog weiter verschärfen?

Wer sind die „Gesellschafter“ von LibMod?

LibMod nennt auf seiner Internet-Seite 10 Gesellschafter der gemeinnützigen GmbH. Die TAZ vermerkt dazu:

„Auf der Gesellschafterliste des Zentrums stehen neben Beck (im Bundestag zuletzt die größte Streiterin für die Belange der Ukraine) und Fücks (erst im Oktober Unterzeichner eines „transatlantischen Manifest in Zeiten von Donald Trump“) unter anderem John Kornblum (ehemaliger US-Botschafter und Talkshow-Dauergast) sowie Eckart von Klaeden (Daimler-Lobbyist und Vorstand der Atlantik-Brücke).“

Zu den Gesellschaftern gehören aber nicht nur bekannte „Transatlantiker“, sondern auch Persönlichkeiten, die über langjährige Erfahrungen in deutsch-russischen Gremien verfügen.

Prof. Gert Weisskirchen, SPD-Bundestagsabgeordneter von 1976 bis 2009, war 10 Jahre außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion und von 2005 bis 2009 Vorsitzender der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe.

Alexandra Gräfin Lambsdorff initiierte 1993 die Gründung des Deutsch-Russischen Forums. Sie war dort viele Jahre Mitglied des Vorstandes und Schatzmeisterin. Im „Petersburger Dialog“ engagierte sie sich im Lenkungsausschuss. Ihr Ziel sei gewesen, so beim Aufbau einer Zivilgesellschaft in Russland zu helfen. Das berichtet der Bonner General-Anzeiger in einem interessanten Portrait der Gräfin (Bonner Köpfe: Mittlerin zwischen Wirtschaft und Politik). Aus dem Deutsch-Russischen Forum zog sie sich jedoch enttäuscht zurück. Dazu schreibt der General-Anzeiger:

„Sie blickt ernst. „Damit bin ich total gescheitert. Das ist die große Frustration meiner letzten Jahre.“ Unter Wladimir Putin gebe es keinerlei Opposition mehr. „Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie erfolgreich seine Propaganda inzwischen auch bei uns in Deutschland wirkt.“

Was will LibMod?

Beck und Fücks haben sich für ihre Denkwerkstatt wahrlich ehrgeizige Ziele gesetzt. In ihrem Einladungsschreiben zur Eröffnung heißt es:

„LibMod steht für die Verteidigung und Erneuerung der offenen Gesellschaft. Die liberale Moderne, jene Kombination aus individueller Freiheit, demokratischer Republik, Weltoffenheit und kultureller Vielfalt, steht unter Druck. Sie wird von innen wie von außen herausgefordert.

In Zeiten fundamentaler Veränderungen braucht es vorausschauendes Handeln und parteiübergreifendes Nachdenken über die Zukunft unseres Gemeinwesens und der internationalen Ordnung. Wir wollen dazu beitragen, die freiheitliche Gesellschaft zu stärken, neue Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden und die politische Willensbildung zu befördern.“

Ein Schwerpunkt von LibMod: „Ukraine verstehen“ …

Im Rahmen dieses weit gespannten Aufgabenfeldes wird ein Schwerpunkt auf die „Östliche Nachbarschaft“ gesetzt. Als „Themenprojekt“ wurde dazu bereits die Web-Seite „Ukraine verstehen“ entwickelt. Finanziell gefördert wird die Seite, darauf weist LibMod hin, von der International Renaissance Foundation“, einer Stiftung des US-Investors George Soros.

LibMod stellt sich im Hinblick auf die Ukraine im Editoral „Weshalb Ukraine verstehen“ folgende Aufgaben:

  • Die Wahrnehmung der Ukraine als Land mit einer eigenen Kultur, einer eigenen Geschichte und dem Recht auf eine eigene Zukunft zu schärfen.
  • Die Aufmerksamkeit für die annektierte Krim und den kriegsgeschüttelten Donbass wach zu halten.
  • Das mühsame Ringen um eine demokratische Ukraine kritisch und solidarisch zu begleiten und die europäische Perspektive der Ukraine zu verteidigen.

Ukraine verstehen, … um die Machtstrukturen in Russland zu ändern

Konkreter zeichnen sich die Intentionen von LibMod in der Ukraine und in Russland  ab, wenn man in der reich illustrierten BILD-Reportage zur Eröffnungsfeier mit Ex-Bundespräsident Gauck die Erläuterungen liest, die Marieluise Beck BILD bei der Eröffnung des Zentrums gab (BILD sprach mit Think-Tank-Gründern: Warum Putin diese Denkfabrik fürchten muss).

Warum schon zu Beginn der Arbeit des Think Tanks ein „großer Fokus“ der Denkwerkstatt auf der Ukraine liegen werde, begründet Beck so:

„Die Frage, ob es der Ukraine gelingen wird, zu einem einigermaßen demokratischen und freien Staat zu werden und herauszukommen aus dem Leben in Willkür und Korruption, wird darüber entscheiden, ob die Bevölkerung in Russland sich auch traut, von den Regierenden ein besseres Leben zu verlangen.“

Der Think Tank gehe davon aus, „dass Putin die Veränderungen in der Ukraine so sehr bekämpft, weil er sie als Bedrohung für die Machtstrukturen in Russland ansieht“. Gerade darum müsse man sich für die Ukraine einsetzen.

Ralf Fücks fasst diese Position in seinem auf der Web-Seite des Zentrums veröffentlichten Artikel „Neue Ostpolitik? Russland und die Ukraine in der deutschen Debatte“ mit einem Zitat des russischen Schriftstellers Victor Jerufejew so zusammen:

„Die Zukunft der Ukraine hat großen Einfluss auf die Zukunft Russlands. Wer ein modernes, demokratisches und europäisches Russland will, muss alles tun, um den Weg der Ukraine nach Europa zu unterstützen.“

In einem 35-minütigen Interview im rbb-Inforadio mit Sabina Matthay stellte Fücks LibMod ausführlich vor. Dabei äußerte er sich auch zur Bedeutung der Ukraine für eine demokratische Entwicklung in Russland und zur russischen Politik (Min. 21 bis 26). Russland verfolge das Ziel, Europa von den USA zu trennen und damit im Grunde eine russische Hegemonie über ganz Europa zu errichten. Russland wolle auch über Aktivitäten in den sozialen Medien („Troll-Fabriken“) Europa spalten. In der Bevölkerung der EU solle ein Gefühl von Misstrauen gegenüber der eigenen Demokratie gestärkt werden.

Was Fücks zum „Petersburger Dialog“ meint

Zum „Petersburger Dialog“, an dem er in der folgenden Woche in Berlin teilnahm, meinte Fücks im rbb, der Dialog bewege sich inzwischen eher in einem „Modus der Konfliktvermeidung“, eine offene Auseinandersetzung finde kaum statt (Min. 26 bis 29).

Auf der russischen Seite würden “vor allem Funktionäre und loyale Parteigänger des Kreml” den Ton angeben: “Ich glaube, für die russische Seite ist das Wichtigste, dass es diesen Dialog überhaupt gibt, weil er den Anschein von Normalität in den deutsch-russischen Beziehungen erzeugt. Und auf der deutschen Seite ist es nicht so viel anders. Man hält die Kontakte aufrecht, bricht die Brücken nicht ab, aber ein wirklicher Dialog, eine offene Auseinandersetzung findet kaum statt”, heißt es in einer rbb-Pressemeldung zum Interview mit Ralf Fücks.

Was russische Staatsmedien zu „LibMod“ meinen

RT Deutsch veröffentlichte zum neuen Think Tank einen Meinungsbeitrag von Gert-Ewen Ungar: „Zentrum liberale Moderne: Weder modern noch liberal.“

Leseprobe:

„Wer das politische Wirken von Marieluise Beck verfolgt hat, wird sich nicht über die dezidiert gegen Russland gerichtete Position ihres Zentrums wundern. Sie ergreift aktiv Partei gegen Russland und unterstützt das Putsch-Regime in der Ukraine,…“

„Es war Ralph Fücks, der die Heinrich-Böll-Stiftung zu dem transformiert hat, was sie heute ist: Eine transatlantisch und einseitig prowestlich ausgerichtete Denkfabrik, die zentrale grüne Werte und das pazifistische Erbe ihres Namensgebers preisgegeben hat.“

Zuvor war in RT Deutsch bereits der Beitrag „Die Abgründe der Freiheit: Grünen-Prominenz eröffnet NATO-Think-Tank“ erschienen.

Wie verstehen sich Ukraine- und Russland-Versteher?

Auch in der innerdeutschen Debatte über die Russland-Politik dürfte „LibMod“ für neue Kontroversen sorgen. Eine Versachlichung der Diskussion ist kaum zu erwarten.

Ein Schlaglicht auf das Verhältnis zwischen „Russland-Versteher“ Alexander Rahr (Deutsch Russisches Forum) und den Gründern des Informationszentrums Liberale Moderne wirft das Interview, das Armin Siebert (sputniknews) beim Petersburger Dialog mit Rahr führte. Als Siebert Rahr fragte, was er „von Personalien wie Marieluise Beck und Ralf Fücks im Petersburger Dialog“ halte, wollte Rahr keinen Kommentar geben – was auch eine Antwort ist (Minute 5:50).

Man darf gespannt sein, ob das liberale Forum LibMod auch die Diskussion mit bekannten „Russland-Verstehern“ wie Alexander Rahr, Matthias Platzeck oder Gabriele Krone-Schmalz suchen wird.

Mehr Osteuropaforschung fordert auch Alexander Rahr

In seinem Interview mit Armin Siebert beim „Petersburger Dialog“ in Berlin unterstrich auch Alexander Rahr, wie notwendig eine Intensivierung der Osteuropa-Forschung sei. Russland sei ein großer Staat, ein Pol in der neuen multipolaren Welt. Deshalb sollten wir „das Innenleben“ dieses Staates genau studieren. Eben dies täten unsere Think Tanks aber nicht mehr.

Rahr betonte, das Denken, dass „der andere“ Propaganda betreibt, müsse überwunden werden: „Wir müssen das Innenleben verstehen, wir müssen es nicht akzeptieren. Wir müssen mehr wissen, was in Russland passiert.“ Er habe den Eindruck, dass die Russen heute viel besser über Deutschland informiert seien, als die Deutschen über Russland.

Altbischof Huber kritisierte „Lagerbildung“ im Petersburger Dialog

Der frühere Bischof der evangelischen Landeskirche Berlin und EKD-Vorsitzende, Wolfgang Huber, hatte zuvor in seiner Rede zur Eröffnung des Petersburger Dialogs am 23. November kritisiert, dass es auf der deutschen Seite eine „Lagerbildung“ von Russland-Kritikern und Russland-Verstehern gebe.

Claudia von Salzen beschrieb in einem Vorbericht im Tagesspiegel, wie es zu der „Lagerbildung“ kam. Der Petersburger Dialog sei nach seiner Gründung 2001 stark von Vertretern von Politik und Wirtschaft dominiert worden, obwohl er eigentlich ein Forum sein sollte, um die Zivilgesellschaften beider Länder miteinander ins Gespräch zu bringen.

Als nach der Annexion der Krim 2014 der Dialog ausfiel, weil mehrere deutsche Politiker und Organisationen ihre Teilnahme absagten, sei der „für die deutsche Russlandpolitik so typische Konflikt zwischen „Putinverstehern“ und Kremlkritikern deutlicher als zuvor zutage getreten. Von Salzen erinnert daran, dass es Marieluise Beck und Ralf Fücks waren, die mit dem inzwischen verstorbenen Andreas Schockenhoff (CDU) damals eine Reform des Petersburger Dialogs durchsetzten. Weitere Nichtregierungsorganisationen wurden als Mitglieder in den Trägerverein aufgenommen, der bisherige Vorsitzende Lothar de Maiziere durch Ronald Pofalla abgelöst.

Gefordert wurde laut von Salzen von den Reformanhängern schon damals, die institutionelle Anbindung des Trägervereins des Petersburger Dialogs an das „Deutsch-Russische Forum“ zu beenden, weil das Forum „zu kremlfreundlich“ sei. Aber die Geschäftsstelle des Petersburger Dialogs ist noch heute beim „Deutsch-Russischen Forum“ angesiedelt. Darauf verwies jetzt gegenüber dem Tagesspiegel Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin beim „Europäischen Austausch“ (eine der Nichtregierungsorganisationen, die neu als Mitglied aufgenommen wurden).

Mittlerweile habe sich bei den Reformkräften Ernüchterung breitgemacht, berichtet von Salzen. Das liege auch daran, dass es auf russischer Seite keinen Reformprozess gegeben habe.

Russland-Beauftragter Erler: „Lagerbildung“ führt nicht weiter

Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung, wurde von Armin Siebert beim Petersburger Dialog auf die Kritik Hubers an der „Lagerbildung“ angesprochen. Erler hält die Unterschiede in der Beurteilung aber offenbar nicht für so groß wie Huber. Er sieht keine „Lagerbildung“ und meint:

„Naja, ich bin auch selber oft schon da irgendwo eingeordnet worden. Ich halte gar nichts von dieser Eintütung von bestimmten Positionen.

Natürlich gibt es Unterschiede in der Beurteilung der Situation. Trotzdem ist eine Lagerbildung erstens gar nicht angemessen für die Unterschiede, die wir haben, und zweitens führt sie nicht weiter.

Sich intensiv mit der russischen zeitgeschichtlichen Entwicklung und auch mit dem, was die russische politische Klasse denkt, zu beschäftigen, macht schon Sinn, um Politik überhaupt zu verstehen und nachvollziehen zu können. Deswegen muss man sie nicht akzeptieren.

Und das ist, glaube ich, der Punkt, der diese Sache mit den Russland-Verstehern und Russland-Kritikern so unsinnig macht.“

Matthias Platzeck wirbt weiter um Verständnis für Russland

Der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, wirbt derweil weiterhin unermüdlich für eine Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen. Kurz vor dem Petersburger Dialog hielt er eine Rede auf Gut Gödelitz (Video; Bericht der Sächsischen Zeitung).

Gleich nach dem Petersburger Dialog meinte er bei einer gemeinsamen Veranstaltung mit der früheren Moskauer ARD-Korrespondentin Gabriele Krone-Schmalz auf Schloss Neuhardenberg zum Stand der deutsch-russischen Beziehungen: „Wir stehen vor einem Scherbenhaufen!” Das berichtet die Märkische Oder-Zeitung MOZ.de. Die Entfremdung beider Völker werde immer größer. „Je weniger Kontakte es gibt und je weniger man übereinander weiß, umso größer ist die Gefahr, dass man denen glaubt, die Halbwahrheiten oder Lügen verbreiten”, warnte der 63-Jährige. Und er erinnerte daran, dass in früheren Zeiten solche Unkenntnis in Kriege mündete.

Lesetipps zu LibMod und zur Diskussion über die deutsche Ostpolitik

Veröffentlichungen des Berliner Think-Tanks “Zentrum Liberale Moderne” (LibMod):

Interviews von Ralf Fücks zum „Zentrum Liberale Moderne“ und seinen Zielen:

Deutsche Medien zu LibMod:

RT Deutsch zu LibMod:

Infos zum Streit von „Putin-Verstehern“ und „Kreml-Kritikern“ im Petersburger Dialog;
Interviews von Armin Siebert beim Petersburger Dialog am 23./24.11.2017:

Matthias Platzeck und Gabriele Krone Schmalz zur Russlandpolitik:

Weitere Kommentare und Reden zur deutschen und europäischen Russlandpolitik:

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Heinrich-Böll-Stiftung, Marieluise Beck. Size changed to 1040×585 px. CC BY-SA 2.0