Kolumne: “Zölle und andere Wunderlichkeiten”

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Handelspolitik

Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de. Heute geht es um Zölle, staatsregulierte Spritpreise und das meistgestohlene Produkt Käse.

Zölle als Herrschaftsinstrument

Zöllner sind, das liegt in der Natur ihrer Tätigkeit begründet, vor allem bei Touristen, der Wirtschaft und Kriminellen nicht besonders beliebt. Erstere müssen – nicht selten unter starkem Protest – ihr Urlaubssouvenir abgeben, Unternehmen in aller Regel Gebühren zahlen und die dritte Klientel ist bei einer Tätigkeit erwischt worden, die im besten Fall halblegal ist. Freunde macht man sich so nicht, aber im Sinne der Aufrechterhaltung der Ordnung sind Zollorgane nach wie vor unentbehrlich. Wenigstens, so lange es Meldungen wie „Hamburger Zoll findet Drogen im Wert von einer Milliarde Euro“ gibt. Seit im Weißen Haus ein erratischer Alleinherrscher via Twitter die Welt täglich aufs Neue in Panik und Schrecken versetzt, dienen Zölle leider auch noch als Herrschaftsinstrument, mit dem man unliebsame Handelspartner zu erpressen versucht.

Beachtliche Entwicklung des russischen Zolls

Der russische Zoll hat in den letzten Jahren eine durchaus beachtliche Entwicklung genommen. Von einer Behörde sowjetischer Prägung hin zu einem gut funktionierenden Apparat, mit elektronischer Zolldeklaration, guter Ausstattung und professionellen Mitarbeitern. Das mag auch damit zusammenhängen, dass der Zoll einen nicht unerheblichen Teil zum russischen Budget beisteuert und zu diesem Behufe akribisch alle Ein- und Ausfuhren dokumentiert. Für die Verkündung der neuesten Erfolgsmeldungen der russischen Wirtschaft sind in aller Regel das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und das Russische Statistische Bundesamt Rosstat zuständig, allerdings sind die Zahlen der Zollbehörden auch äußerst aufschlussreich. Ein Blick auf das erste Halbjahr 2019 genügt um zu verstehen, Wachstum sieht anders aus.

Russisch-Amerikanischer Außenhandel wächst kräftig

Um etwas mehr als zwei Prozent sind im Zeitraum Januar bis Mai sowohl Ex- als auch Importe gesunken. Weiter gefallen ist auch der Anteil der Lieferungen aus der EU von einstmals über 50 auf derzeit etwas mehr als 42 Prozent, so wie der Anteil der Importe aus China Jahr für Jahr weiter steigt. Erheblich sind die Verluste im deutsch-russischen Außenhandel, die sich in beide Richtungen im zweistelligen Bereich bewegen. Waren die Deutschen noch vor sechs Jahren Russlands wichtigster Handelspartner, liefern wir heute noch etwas mehr als die Hälfte des Umsatzes Russlands mit der Volksrepublik – und das hat nicht nur politische Gründe. Solche würde man eher im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten vermuten. Hier allerdings verzeichnet die Statistik erstaunliche Steigerungsraten. Um mehr als 20 Prozent ist die Handelsbilanz gewachsen, bei den Exporten gar um mehr als 30 Prozent. Aber auch bei amerikanischen Lieferungen beträgt das Wachstum erstaunliche 13 Prozent. Das ist unter allen westlichen Industrieländern der mit weitem Abstand höchste Wert.

Russen klauen am liebsten Käse

Und dann sind da noch die euphemistisch so genannten Off-Shore-Finanzplätze. Im- und Exporte aus Zypern: Steigerungsrate jeweils mehr als 100 Prozent. Mit den Britisch Virgin Islands ist der Handelsaustausch geradezu phantastisch: Import 675 Prozent, Export mehr als 50 Prozent. Industriegüter kommen bisher nicht von diesen und anderen Inseln. Apropos Inseln: Hier lohnt ein Blick unter dem Aspekt des Nahrungsmittelembargos auf die Lieferländer: die Einfuhren aus Kuba sind um 184 Prozent, die aus Papua-Neuguinea um 84 und die aus Neuseeland um 76 Prozent gestiegen.

Trotz dieser neuen Partner müssen Russen bei Lebensmitteln tiefer in die Tasche greifen, und das nicht nur bei exotischen Produkten. Auch Grundnahrungsmittel sind zum Teil deutlich teurer geworden. Dazu passt diese Meldung: „Russen klauen am liebsten Käse“, allerdings steht nicht dabei welche Sorten. Da der Import von Palmöl zurückgegangen ist, liegt‘s vielleicht daran, dass russischer Käse jetzt einfach besser schmeckt. Schweizer kann es jedenfalls kaum gewesen sein, denn die Importe sind gesunken. Die Hitliste wird in absteigender Reihenfolge von Wurst, Kaffee und Konditoreiprodukten bestimmt. Und wie kaum anders zu erwarten, ist bei Männern besonders der Klau von Alkohol „beliebt“ und bei Frauen der von Kosmetika. Wie wunderbar, wenn ein Klischee sich bestätigt.

Benzin muss bezahlbar bleiben

Und dann sind da noch die Kohlenwasserstoffe, buchstäblich der Treibstoff der Handelsbilanz. Aber zuerst zu einem Gesetz, dass der Präsident unterschrieben hat, um die Binnen-Preise für Kraftstoffe zu regulieren. Wer jetzt denkt, diese Maßnahme diene in erster Linie dem Verbraucherwohl – was angesichts der Tatsache, dass die Anzahl der statistisch Armen in Russland bei mittlerweile fast 21 Millionen liegt und bei weiter fallenden Reallöhne – durchaus nachvollziehbar wäre, der muss – wie ich – noch einmal genau lesen. Der Staat zahlt im Falle eines höheren Benzin- oder Dieselpreises im Ausland den Mineralölfirmen die Differenz zum Inlandspreis bis zu einer Höhe von 60 bis maximal 75 Prozent, damit die Preise im Land stabil bleiben. Kraftstoffpreise sind in Russland ein ähnlich sensibles Thema wie hierzulande, allerdings stellt sich schon die Frage nach der Sinnhaftigkeit.

Zahlpause für Hypothekenbesitzer

Und hier kommt ein Land ins Spiel, das als Lieferant eher selten in die Schlagzeilen gerät: das Sultanat Brunei. Hauptexportgut des Landes sind Öl und Gas. Und siehe da, der Export nach Russland ist um 14.904 Prozent gestiegen. Nein, kein Schreibfehler, die Russische Föderation kauft schon seit einiger Zeit Kraftstoffe aus anderen Ländern zu. Einerseits muss Russland also Kraftstoffe im Ausland für Devisen kaufen, weil die heimischen Raffineriekapazitäten zu gering sind, andererseits werden erhebliche Fördersteuern und Exportzölle auf Öl und Gas erhoben, um den Haushalt damit auszugleichen. Aber vielleicht ist es auch eher Symbolpolitik, ähnlich der ein Gesetz zu verabschieden, das eine Hypothekenzahlpause festlegt für Schuldner in „schwierigen Lebensumständen“. Was sich im ersten Moment wie eine Entlastung der Kreditnehmer liest, ist notwendig, um den rasanten Anstieg notleidender Kredite nicht noch weiter zu befördern. Ein Grund für die Inanspruchnahme ist neben Invalidität und Arbeitslosigkeit der Rückgang von mehr als 30 Prozent des monatlichen Einkommens. Der Gesetzgeber geht also davon aus, dass es kein Einzelfall ist, wenn das Einkommen um mehr als 30 Prozent sinkt? Vielleicht klauen die Russen deshalb Käse…

Titelbild
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