Kolumne: Vom Glücklichsein und anderen Träumen

Russlands Start in ein besseres Jahr

Neues Jahr, neues Glück – auf diese Sprichwortformel scheint aktuell so ziemlich jeder zu hoffen. Und wie sind die Aussichten? In Russland eher verhalten, das neue Jahr bringt gelockerte Korruptionsvorschriften und ein mittelmäßiges Abschneiden beim „World Happiness Index“. Trotzdem sind die Menschen optimistisch – und das Land schlägt sich wacker im Kampf gegen Corona.    

Straffreiheit bei Nichtbefolgung der Korruptionsregeln

„Neues Jahr, neues Glück“, lautet im Volksmund eine gängige Formel zu Beginn eines Jahres. Sie intendiert, dass das neue möglichst besser verlaufen möchte als das alte, aber auch, dass das Schicksal nicht in unseren Händen liegt. Diesen Wünschen kann man sich nach einem Corona verseuchten Jahr natürlich nur anschließen. Allerdings will sich nicht jeder darauf verlassen, dass höhere Mächte es schon richten werden, und bestimmt sein Schicksal lieber selbst. Von diesem Gedanken beseelt müssen auch die Autoren einer Gesetzesvorlage gewesen sein, die noch im alten Jahr in die Duma eingebracht wurde und jetzt zur ersten Lesung ansteht. Sie sieht Straffreiheit dann vor, wenn die Nichtbefolgung der Korruptionsregeln die Folge einer durch eine physische Person nicht zu beeinflussender Umstände ist. Was? Zur Erklärung heißt es, dass solche Verstöße dann nicht verfolgt werden, wenn die Person die Situation nicht vorhersehen konnte, z.B. im Fall einer Havarie, einer Naturkatastrophe, terroristischer oder militärischer Akte, Epidemien, Streiks, Force Majeure usw.

Die Legislative schützt die Exekutive vor der Judikative

Diese Regelung soll für Abgeordnete aller Ebenen, Senatoren, Richter, Staatsanwälte, Zollbeamte, Mitarbeiter der Zentralbank, Armeeangehörige, die Spitzen der regionalen und lokalen Verwaltungen, also für so ziemlich alle beim Staat in Lohn und Brot Stehenden gelten. Über „normale“ Russen wird kein Wort verloren. In verschwurbelten Formulierungen wird dann ausgeführt, wie ein solcher Fall aussehen könnte. Und dann endlich habe ich es auch begriffen. Seit der Empfehlung des Präsidenten, dass russische Staatsdiener ihr Eigentum im Ausland angeben, repatriieren und wo möglich Abgaben in Russland darauf abführen sollen, geht die Angst um, dass man diese Regeln nicht befolgen kann. Bisher galten solche Usancen vor allem für Unternehmen mit Auslandsgeschäft, die dem Gesetz der Devisenregulierung und -kontrolle unterliegen. Jetzt aber, und das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, hindern Corona, Sanktionen und/oder Reisebeschränkungen den ein oder anderen daran, den entsprechenden Nachweis zu erbringen. Ein Flug an die Cote d’Azur oder in die Toskana ist augenblicklich kaum möglich. Hier versucht also die Legislative die Exekutive vor der Judikative zu schützen – und umgekehrt.

Don’t worry, be happy

Den Durchschnittsrussen werden solche Vorlagen wenig kümmern. Die allermeisten haben weder Rücklagen noch Immobilien, geschweige denn ausländische, und müssen sich eher mit Reallohnrückgängen – das sechste Jahr in Folge, steigender Inflation und dem möglichen Verlust des Arbeitsplatzes auseinandersetzen. Und natürlich kann man das messen. Wie für jeden anderen Lebensbereich gibt es auch dafür einen Vergleichsindex, in diesem Fall den World Happiness Report. Was nach viel Spaß, Party und Samstagabendunterhaltung klingt, bildet in Wirklichkeit die Zufriedenheit der Bürger eines Landes mit ihrer Lebenssituation ab. Der Mittelwert aus den sechs Parametern: Prokopfeinkommen, soziale Absicherung, Lebenserwartung, Freiheit das eigene Leben zu bestimmen, Großzügigkeit und die Absenz von Korruption bzw. deren Wahrnehmung ergeben die Position im internationalen Ranking. Kaum überraschend, sind unter den Top Ten alle skandinavischen Länder und die Schweiz zu finden, unter den ersten 20 immerhin 14 europäische Länder. Die weltschmerzverliebten Deutschen schaffen es immerhin auf den 17. Rang. Russland liegt mit Position 73 ungefähr in der Mitte aller untersuchten Länder, Tendenz leicht fallend.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen Glück und Korruption?

Die Russen waren also schon einmal etwas glücklicher als im Augenblick. Vielleicht hat das ja auch mit dem Umstand zu tun, dass der Korruptionsindex Russland im letzten Jahr auf Platz 137 von 180 führt, zusammen mit Staaten wir Liberia und Uganda. Es ergibt sich nämlich eine bemerkenswerte Korrelation zwischen der „Happiness“ und der „Korruptionswahrnehmung“. Alle skandinavischen Länder sind auch hier unter den Besten zu finden. Deutschland schafft es – ohne den Selbstbespiegelungsdefekt – sogar auf Platz neun. Singapur ist unter den Transparenten der einzige Neuling. Gibt es also tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Glück und Korruption? Offensichtlich wirkt sich gefühlte und echte Korruption auf den Gemütszustand der Menschen aus. Wenn das wirklich so wäre, dann läge die Lösung nah: Weniger Korruption, glücklichere Menschen.

Den meisten Russen geht es heute besser

So einfach ist es dann doch nicht. Russland ist im Vergleich mit anderen Ländern bisher relativ gut durch die Corona-Pandemie gekommen. Die wirtschaftlichen Deformationen fallen geringer aus als zum Beispiel in Europa. Die groß angelegte Impfaktion ist in vollem Gang, und wenn ich mich – jenseits aller Reports und Statistiken – mit den „normalen“ Russen unterhalte, sind die durchaus optimistisch für die Zukunft. Denn, bei aller möglicherweise berechtigten Kritik, muss man immer berücksichtigen, wo Russland herkommt. Bei fast allen Russen sind die Neunziger mit all ihrem Chaos, der Herrschaft der Oligarchen und der Mafia, dem Verlust der Identität und bei den meisten auch der Ersparnisse noch sehr präsent. Die Jelzinsche Präsidentschaft haben sie als traumatischen Abschnitt ihrer Geschichte erlebt, und leider verbinden die meisten damit auch immer noch die Vorstellung von Demokratie. Der Westen ist an dieser Fehlentwicklung und Sichtweise nicht ganz unschuldig. Verglichen damit, geht es den meisten Menschen heute deutlich besser. Und wer weiß, vielleicht erfüllt sich ja dieses Jahr die Hoffnung auf ein neues Glück im neuen Jahr.

Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

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