Alexander Rahr: Was Jamaika für Deutschland bedeutet

Alexander Rahr: „Russland bleibt nur, mit einer rechten oder linken Opposition zu arbeiten“

Die Deutschen haben keine einfache Zusammensetzung des Bundestages gewählt. Ein eindeutiger Wählerauftrag fehlt. Ebenso fehlen Optionen für eine stabile und realistische Regierungskonstellation.

Jamaika ist scheinbar die einzige Option, wenn es sich die SPD nicht wieder anders überlegt und nach einer gewonnenen Niedersachsen-Wahl zu einer Koalition mit der CDU doch Ja sagt.

Doch Jamaika wird im Bund nicht funktionieren. Zu unterschiedlich sind die Programme der Liberalen und Grünen in Bezug auf den künftigen Industriestandort Deutschland und die Einwanderungspolitik. Die Wähler der FDP wollen keine grüne Gutmenschenpolitik. Und die Wähler der Grünen sind zu weit links für eine FDP-Programmatik. Ein Vierparteienbündnis (die CSU spielt eine maßgebliche Rolle) ist also nicht regierungsfähig. CDU, CSU, FDP und Grüne werden sich lähmen, zerfleischen.

Neuwahlen scheinen unausweichlich. Es sei denn, Angela Merkel gelingt es, die Kontrahenten alle einzulullen, gegeneinander auszuspielen, mit lukrativen Ministerposten zu belohnen, selbst aber alles unter Kontrolle zu behalten.

Wer erhält die lukrativen Ministerposten?

Merkel wird die europäische Fiskalpolitik nicht aus der Hand geben. Wolfgang Schäuble wird zwar in das Amt des Bundestagspräsidenten wechseln. Das Finanzministerium bleibt aber aller Voraussicht nach bei keiner anderen Partei als der CDU. Auch die Außenpolitik wird vermutlich – zum ersten Mal – unter der Kontrolle der stärksten Regierungspartei bleiben. Zu ernsthaft ist die politische Weltlage, um das Amt des Außenministers einem diplomatisch unerfahrenen Emporkömmling zu geben. Der Grünen-Wertepolitiker Cem Özdemir – der so gerne gegen alle Diktatoren der Welt austeilt – ist für dieses Amt denkbar ungeeignet. Ein reaktivierter Joschka Fischer? Leider keine ernstzunehmende Option.

Bei der FDP ist kein Genscher-Nachfolger in Sicht.

Die FDP wird vermutlich unter Vizekanzler Christian Lindner ein Superministerium für Wirtschaft, Energie, Digitalisierung erhalten. Die Grünen dürfen sich die Rosinen aus dem großen Topf „Umwelt, Justiz, Verkehr, Familie, Soziales, Entwicklungshilfe und Agrarwirtschaft“ herauspicken. Die CSU bekommt, wenn nicht alle Stricke reißen, das Innenministerium zugesprochen.

Wenn Ursula von der Leyen Außenministerin wird, sind die Weichen für die Kanzlerschaft 2021 klar gestellt. Sie wäre, aufgrund ihrer Erfahrung, wohl am geeignetsten, in diesen wahrhaftig stürmischen Zeiten das Ruder nicht aus den Händen zu verlieren.

Die Welt ist unberechenbar geworden

Noch nie in der jüngsten Geschichte stand die Welt so nahe an einem Atomkrieg. Noch nie seit 100 Jahren hatten wir eine solch unberechenbare Regierung in den USA. Noch nie war die Europäische Union so zerbrechlich. Noch nie war Europa mit so viel Terrorismus konfrontiert. Hinzu kommen der gefährliche Zusammenbruch des Nahen Ostens, die verheerende Migrationskrise und der ungelöste Ukraine-Konflikt mit Russland.

Natürlich ist es schade, dass die SPD die Regierung verlässt. Sie wollte das Verhältnis mit Russland soweit wie möglich normalisieren, Sanktionen aufheben und die Energieallianz fortsetzen. Jamaika könnte das alles nicht mehr wollen. Schade.

Russland bleibt dann nur die Option, mit einer starken rechten und linken pro-russischen Opposition im Bundestag zu arbeiten.

Schließlich muss eine Personalie besonders gut ausgewählt werden: die des Chefkoordinators für die zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Ländern. Bis jetzt hat Gernot Erler diesen Job gut gemacht. Es wird einen gigantischen Unterschied machen, ob dieser Posten künftig von der FDP oder den Grünen besetzt wird.

So in etwa könnte Jamaika aussehen.


BildquelleMatt RunkleJamaica. Size changed to 1040×586 px (CC BY 2.0)