Kolumne: Gemischtes Doppel #44 – Alexej Nawalnys Fußsoldaten
Heute ist der 14. Juni 2017, willkommen beim Gemischten Doppel. Diesmal Maxim Kireev (RU): Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny will das Regime zwingen, ihn zu den Präsidentschaftswahlen 2017 zuzulassen. Sein einziges Druckmittel: Proteste auf den Straßen des Landes. Das ist riskant.
Von Maxim Kireev, n-ost
Liebe Leserinnen und Leser,
was machen deutsche Politiker, wenn in Russland ein Regimekritiker eingesperrt wird, wie es vor zwei Tagen mit Alexej Nawalny geschehen ist? Natürlich werfen sie den Machthabern dann vor, die Zivilgesellschaft zu unterdrücken, Menschenrechte zu missachten und gegen alles Gute in der Welt zu sein.
Das hätte man auch in dieser Woche erwartet. Doch diesmal stimmt irgendwas nicht. So konnte sich der Russlandbeauftragte der Bundesregierung Gernot Erler in einem Interview mit der Deutschen Welle nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass Nawalny die Staatsmacht provoziert habe. Marieluise Beck, Grünenpolitikerin mit ausgeprägtem Russlandinteresse, erklärte ihrerseits, sie könne „ihre Hand nicht dafür ins Feuer legen“, dass Nawalny ein überzeugter Demokrat sei. Nanu, was ist denn da los?
Protest auf der Twerskaja
Eigentlich hatte Alexej Nawalny am Montag zu einer Großdemo gegen Korruption auf dem Moskauer Sacharow-Prospekt aufgerufen, ein Ort, der zum traditionellen Sammelpunkt für Oppositionsdemos geworden ist. Laut Nawalny jedoch traute sich keine Veranstaltungsfirma, den Oppositionellen anständige Bühnen- und Soundtechnik zu vermieten. Kurzerhand rief der Aktivist seine Anhänger auf, sich stattdessen auf der unweit des Kremls gelegenen Twerskaja-Straße zu versammeln. Die Logik: Wenn die Machthaber es nicht auf die sanfte Tour wollen, dann eben so.
In Teilen der russischen Opposition stieß das auf Kritik. Weil die Demo auf der Twerskaja keine Genehmigung der Stadt habe, setze Nawalny seine Anhänger bewusst dem Risiko aus, verhaftet zu werden. Man könne die Menschen nicht als Fußsoldaten missbrauchen. „Nawalny hat die Protestbewegung mit seiner Entscheidung in die Bredouille gebracht”, sagte etwa der bekannte Menschenrechtler Lew Ponomarjow.
Diese nachvollziehbare Kritik an Nawalny beruht auf einem Missverständnis. Und zwar auf jenem, dass Nawalny Teil eines breiten Protests gegen die Regierung und die herrschende Ordnung ist. Eine friedliche Bewegung, die den Staat möglichst nicht provozieren soll.
Doch diese Protestbewegung gibt es schon lange nicht mehr.
Wahlkampagne des Oppositionellen
Die aktuellen Antikorruptionsproteste sind vielmehr Teil einer Wahlkampagne des Oppositionellen. Weil Nawalny weiß, dass der Staat ihn auf legalem Weg nicht zur Wahl zulassen will, braucht er Argumente. Und Nawalnys einziges Argument, das ihm im heutigen Russland Gewicht verleihen kann, ist seine Fähigkeit, Menschen auf die Straße zu bringen. Und zwar dorthin wo ER es will, und nicht dahin, wo es die Obrigkeit zulässt.
Hier liegt auch der große Unterschied zu den Protesten im Winter 2011/12. Damals bestand das Ziel der Proteste darin, ehrliche Wahlen durchzusetzen, nicht darin, einen der Wortführer der Opposition an die Macht zu bringen.
Nawalnys Ziel heute ist ein anderes. Er will die Macht. Und nun hat es der Oppositionelle tatsächlich geschafft, sich als einziger Politiker ins Spiel zu bringen, der vom Kreml überhaupt wahrgenommen wird. Niemand außer Nawalny schafft es heute, Tausende Menschen zu einer nicht genehmigten Demo auf die Straße zu bringen. Die kürzlichen Proteste, die von Michail Chodorkowskis Organisation „Offenes Russland“ organisiert wurden, entpuppten sich als Luftnummer. Die seit Wochen andauernden Kundgebungen gegen den Abriss von Plattenbauten in Moskau andererseits sind an ein konkretes Thema gebunden und eigentlich unpolitisch.
Turbulenz in Putins System
Natürlich bedeutet das nicht, dass alle Demonstranten automatisch für Nawalny sind. Ebenso wenig bedeutet es, dass er sein Ziel erreichen wird. Allerdings sollte jedem klar sein, dass es dem Oppositionsführer mittlerweile nicht einfach darum geht, Missstände anzuprangern oder das System zu Reformen zu zwingen.
Im nächsten Jahr sind Wahlen, und Nawalny will diese Turbulenz in Putins System nutzen. Idealerweise, um einen (aus heutiger Sicht äußerst unwahrscheinlichen) Wechsel herbeizuführen. Dazu wird es noch viele Aufrufe zu nicht genehmigten Kundgebungen geben. Und Nawalny wird viel berechtigte Kritik dafür einstecken müssen, aus Russland ebenso wie aus dem Westen. Aufhalten wird es ihn nicht.
Im Gemischten Doppel geben Inga Pylypchuk (Ukraine) und Maxim Kireev (Russland) im wöchentlichen Wechsel persönliche (Ein)-Blicke auf ihre Heimatländer.
Das Gemischte Doppel ist Teil des Internationalen Presseclubs Stereoscope von n-ost. Für Abonnenten immer mittwochs als Newsletter und auf ostpol.
Wenn Sie das Gemischtes Doppel abonnieren wollen, schreiben Sie eine E-Mail.
Tipps, Feedback und Anregungen aller Art bei Facebook, Twitter und an stereoscope@n-ost.org.