Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik
In Jakutien brennen die Wälder. In der Tundra explodieren Pingos. Der Permafrost taut auf und bringt Gebäude und Industrieanlagen zum Einsturz. Im Fernen Osten häufen sich extreme Wetterlagen wie Flutkatastrophen, im Süden steigen die Temperaturen auf 40 Grad Celsius. Russland ist vom Klimawandel stärker als andere Länder betroffen. Was könnten Deutsche und Russen gemeinsam dagegen tun?
Perspektivisch ohne Kohlenwasserstoffe
Es ist noch gar nicht so lange her, dass die russische Regierung die neue Energiestrategie bis 2035 verabschiedet hat. Im Wesentlichen geht es darum, die erreichte Position im weltweiten Handel und die Bedeutung des Energiesektors für Budget, Wirtschaft und Politik, nach innen wie nach außen, zu erhalten. Ungewöhnlich ist die sehr klare Erkenntnis, dass, will man das Modell in die Zukunft tragen, ein radikaler Wandel erfolgen muss. Grüner, sauberer, flexibler und digitaler soll der Sektor werden. Der Export von Energie aus „Nicht-Kohlenwasserstoffen“ soll mittel- bis langfristig dominieren. Die Hotspots für die Erschließung, Förderung, Verarbeitung und den Weitertransport sollen in Ostsibirien, dem Fernen Osten und der Arktis liegen. Russland will der zentrale Lieferant für Energie im asiatisch-pazifischen Raum werden. Genau in diesen Regionen jedoch findet augenblicklich ein dramatisches Schauspiel statt.
Nur aus dem All wird das Ausmaß deutlich
Den besten Eindruck der verheerenden Katastrophe bekommt man aus dem All. Ein Satellitenfoto der NASA zeigt einen Rauchteppich, der sich über Tausende Kilometer erstreckt, von Sibirien bis an die Ufer des Pazifischen Ozeans und zum Nordpol. In Jakutien brennen wieder die Wälder. Der Fakt an sich ist nicht ungewöhnlich. In vielen Teilen der Welt zählen Waldbrände zum natürlichen Kreislauf der Natur, verjüngen die Wälder. Allerdings brennen in Russland immer größere Gebiete, bis weit hinter den Polarkreis. Sie brennen länger und die Hitzeentwicklung ist stärker, weil das Klima wärmer und trockener wird. Das wiederum lässt den Permafrost tauen, in dem Megatonnen Methangas gebunden sind. Es entweicht in die Atmosphäre und erwärmt die Erde weiter. Ein unsäglicher, kaum mehr aufzuhaltender Kreislauf.
Außerirdische oder Mikroorganismen?
Mit welcher Urgewalt sich das Gas Bahn bricht, kann man unter anderem auf der Halbinsel Jamal, die jenseits des Polarkreises liegt, beobachten. Ein Loch von enormer Größe ist 2020 mitten in der Tundra entstanden, Nummer 17 genannt. Die Pingos, wie Wissenschaftler die Hügel nennen, von denen nach dem Ausbruch tiefe Krater bleiben, nummeriert man in der Reihenfolge ihrer Entdeckung. Was Verschwörungstheoretiker schon mal für das Wirken Außerirdischer halten, ist ein natürliches Phänomen. Im Erdreich lebende Mikroorganismen beginnen im tauenden Boden organisches Material zu zersetzen, wobei Methan freigesetzt wird. Soweit so schlecht. Wirklich dramatisch ist dieser Prozess, weil das Gas die 25-fache Klimawirkung von CO2 hat. Kurz gesagt, je stärker der Permafrost taut, desto mehr Methan entweicht und erwärmt den Planeten. Bei den unvorstellbaren geografischen Dimensionen der sibirischen Tundra kann man sich in etwa ausmalen, welche verheerende Wirkung dieser Prozess auf das Klima hat und künftig haben wird. Allerdings bleibt diese Katastrophe von der Welt weitgehend unbeachtet.
Infrastruktur massiv bedroht
Aber damit nicht genug. Im vergangenen Jahr sackte ein Treibstofftank in der Nähe von Norilsk ab, 21.000 Kubikmeter Diesel ergossen sich in die Landschaft und sorgten für die größte Umweltkatastrophe in dieser Region. Die Ursache war tauender Permafrostboden. Einen Monat später liefen mehr als 44 Tonnen Kerosin aus einer Pipeline in der gleichen Region aus. Zum wirtschaftlichen Schaden kommt die Belastung der Umwelt. Der Grund, auf dem viele Industrieanlagen im hohen Norden gebaut sind, wird instabil. Weitere Katastrophen sind damit nur eine Frage der Zeit. Denn auch ein großer Teil der Lagerstätten für Öl, Gas, seltene Erden, Metalle und Nichtmetalle befindet sich in Regionen, die bisher ganzjährig gefroren waren und zu denen oft keine Infrastruktur im eigentlichen Sinne des Wortes führt. Man benutzt entweder den Hubschrauber oder im Winter zugefrorene Flüsse und Schneepisten. Dauerhaft Straßen zu bauen oder Schienen zu verlegen ist fast unmöglich und wäre extrem teuer. Wenn man die ehrgeizigen Ziele der Energiestrategie jedoch erreichen will, müssen Lösungen für zahlreiche durch die Klimaerwärmung entstandene Phänomene gefunden werden.
Viele Felder der Kooperation
Mit dem Finger auf Russland zu zeigen, nach dem Motto „selber schuld“, ist ebenso kurzsichtig wie destruktiv. Schließlich ist kein Land allein für den Ausstoß klimaschädlicher Gase verantwortlich. Das Gebot der Stunde sollte vielmehr eine intensive Zusammenarbeit in den Sektoren grüne Energieerzeugung, moderne Brandbekämpfung, nachhaltige Bewirtschaftung, Hightech-Tiefbau und den nachfolgenden Gewerken sein. Damit würde eine für alle Seiten vorteilhafte Situation entstehen, die nebenbei auch helfen könnte, etwaige zukünftige Lieferengpässe zu verhindern. Denn Russland wird auf jeden Fall eine wichtige Rolle bei der Energiesicherheit Deutschlands und Europas spielen, heute und auch beim Übergang zur klimaneutralen Erzeugung. Kooperationsangebote sind deshalb im ureigensten deutschen Interesse.
Mit Schaufeln gegen die Feuerwalze
Mir sind die traurigen Bilder verzweifelter Menschen, die mit Schaufeln und Wassereimern versuchen ihr Hab und Gut zu retten und Feuerwehren, deren modernste Werkzeuge Spaten und uralte Löschschläuche sind, noch gut in Erinnerung. Eine Chance gegen die wütenden Feuer hatten sie nicht. Deutsche Firmen und Spezialisten verfügen über ein hohes Maß an Erfahrung und die notwendigen Technologien, die es braucht. Angefangen von technischer Ausrüstung für Feuerwehren und die Mitarbeiter des Katastrophenschutzes, deren Bekleidung und Spezialwerkzeug über modernste Brandbekämpfungs- und Feuerlöschtechnik wie Infrarotkameras zur Früherkennung von Bränden bis hin zu Dronen zur Luftbeobachtung und Atemluftkompressoren, die die Gesundheit der Einsatzkräfte schützen können. Im Zusammenspiel mit russischer Satellitentechnik und robustem Räumgerät wäre so eine sehr viele effektivere Brandbekämpfung und -prävention möglich. All diese Maßnahmen sind nicht billig. Verglichen mit den Kosten, die die Aufforstung und der Wiederaufbau von Dörfern und Städten und Industrieanlagen verursachen würde, aber absolut notwendig.
Forstmanagement per App
Auch im Bereich Forstwirtschaft verfügt Deutschland über jahrzehntelange Erfahrungen und Methoden zur nachhaltigen Bewirtschaftung. Der Klimawandel zwingt auch hier zum Umdenken. Am Beispiel der deutschen Wälder kann man sehr genau sehen, welche Arten mit den veränderten Bedingungen besser zurechtkommen. Durch aktives Forstmanagement, eine noch recht junge Disziplin, kann man Aufforstung so steuern, dass Wälder resistenter und langfristig auch wirtschaftlich attraktiv sind. Die romantische Vorstellung eines Försters der, das Gewehr geschultert, mal eben die Rehe besuchen geht, hat mit der Realität nicht mehr viel zu tun. Per App wird Waldmonitoring betrieben und über Satelliten werden Waldwegekarten für den optimalen logistischen Abtransport erstellt. Viel Stoff also für Austausch und Kooperation.
Vom Wollen und Verstehen
Die ganz grundlegende Voraussetzung, um alle Möglichkeiten nutzen zu können, ist, dass die Russen sich helfen lassen wollen und die Deutschen verstehen, dass der Kampf gegen den Klimawandel nicht unbedingt am Brandenburger Tor entscheiden wird. Wenn in Sibirien und in anderen Teilen der Russischen Föderation weiter die Wälder brennen und der Permafrostboden taut, betreffen uns die Folgen in gleichem Maß. Unser Blick geht sehr oft nach Kalifornien, den Amazonasurwald und Australien, die russischen Wälder sind für das Weltklima aber genauso entscheidend. Die Erfüllung der hochgesteckten Ziele der russischen Energiestrategie sollte deshalb auch im deutschen Interesse sein.
Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.