Exklusiv-Interview mit dem CEO von DB Cargo Russia, Uwe Leuschner, zum Geschäft der Deutschen Bahn in Eurasien
Uwe Leuschner ist Senior Vice President Eurasia bei der DB Cargo AG und CEO von DB Cargo Russia. Im Exklusiv-Interview mit Ostexperte.de spricht Leuschner über die Aktivitäten der Deutschen Bahn in Russland und im eurasischen Raum, die kulturellen und politischen Besonderheiten Russlands sowie den 2010 gegründeten Wirtschaftsclub Russland.
Der Sitz des Unternehmens befindet sich in Mainz. Vorstandsvorsitzender ist Jürgen Wilder. Nach Eigenangaben erwirtschaftete das Unternehmen im Geschäftsjahr 2015 mit 66.327 Mitarbeitern an ca. 2.000 Standorten in über 140 Ländern einen Gesamtumsatz von rund 15,5 Mrd. Euro.
DB Cargo Russia entwickelt Schienenfrachtprojekte und Transportlösungen für den Import und Export von Gütern zwischen der Europäischen Union, Russland, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), Mongolei und China. Das Unternehmen kooperiert bei zahlreichen Projekten mit der russischen Eisenbahngesellschaft RZhD sowie der weißrussischen Eisenbahngesellschaft BTsch.
Herr Leuschner, in Ihrer beruflichen Laufbahn sind Sie viel herumgekommen. In welchen Ländern arbeiten Sie derzeit?
Aktuell bin ich für den DB-Konzern bzw. für DB Cargo als Senior Vice President Business Development Eurasia zuständig für alle Schienenmärkte, die östlich der europäischen Außengrenzen liegen. Das reicht von der Ukraine über Weißrussland, dem Baltikum, Russland, der Kaukasusregion mit Georgien, Aserbaidschan, Armenien, Iran, Usbekistan, Tadschikistan sowie Turkmenistan bis nach China. In diesen Ländern bin ich oft unterwegs.
Warum ist es in Zeiten von E-Mails und Telefon nötig, so häufig zu reisen?
In mehr als 20 Jahren Tätigkeit in Russland habe ich gelernt, dass man viel telefonieren und E-Mails schreiben kann. Doch am besten löst man Probleme, wenn man sich tief in die Augen schaut. Nur dann findet man Akzeptanz sowie Respekt, die nötig sind, um selbst schwierige Situationen zu beherrschen. Meine Reisen überschatten meinen Aufenthalt in irgendwelchen Büroräumlichkeiten. In diesem Sinne bin ich jemand, der in Eurasien zu Hause ist.
Sie haben in den “wilden 90er-Jahren” in Russland gearbeitet. Wie war es damals, als Ausländer in Russland Geschäfte zu machen?
Die 90er-Jahre waren eine komplizierte Zeit. Das Ende der Sowjetunion brachte ja nicht nur den Zusammenbruch des politischen Systems, sondern er führte dazu, dass die Produktionsstandorte und Infrastruktur vernachlässigt wurden und schlussendlich zusammengebrochen sind. Die Mentalität der Menschen, die ihre Identität verloren haben und einem Räuberkapitalismus ausgesetzt waren, hat dazu geführt, dass auch das Russlandbild in Deutschland mit Russenmafia, Prostituierten, Schwarzgeld usw. in Verbindung gebracht worden ist. Das hatte aber mit der Realität wenig zu.
Wie war denn die Lebensrealität in Russland?
Die Realität war, dass Menschen ihren Arbeitsplatz verloren hatten und in einer neuen Gesellschaft Orientierung suchten. Bei all dem Geläster und dummen Geschwätz, was es auch heute zu und über Russland gibt, sollte man eines nicht vergessen: Russland hat bisher eine Geschichte von 25 Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hinter sich. Was sich in diesen 25 Jahren in diesem Land und in den Köpfen der Menschen verändert hat, das ist epochal.
Wladimir Putin bezeichnete den Zusammenbruch der Sowjetunion als größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts.
Sicher, wenn Herr Putin das sagt, dann mag es im Verständnis der Russen genau das sein, was ihre Emotionen trifft. Aber das, was die epochale Veränderung danach betrifft, haben die Russen einen Riesenweg hinter sich gebracht. Sie haben es heute nicht verdient, dass man sie ausgrenzt. Russen wollen als Europäer wahrgenommen werden. Wenn wir das verstehen lernen, dann würde es uns in Europa viel besser gehen. Das ist die Erfahrung meines Arbeitslebens. Russland gehört zu Europa. Nur mit Russland wird es in Europa dauerhaft Frieden geben.
Welches sind die wichtigsten Projekte der Deutschen Bahn im eurasischen Raum?
Die DB ist seit 1992 in Russland tätig. Da gibt es zum einen den Geschäftszweig von DB Schenker Logistics, unserer Logistiksparte, die sich insbesondere um Kontraktlogistik-Lösungen für den russischen Markt bemüht. Zum Beispiel sind wir Logistikdienstleister für die olympischen Spiele in Sotschi gewesen. Auch sind wir involviert in Zulieferprojekte für die Automotive-Industrie in Kaluga, Nischni Nowgorod und in Sankt Petersburg. Zum anderen sind wir seit den 90er-Jahren mit einer eigenen Tochter für Schienenverkehr in Russland vertreten. Diese Tochter hat sich in der Vergangenheit mit konventionellen Schienengütertransporten im Bereich Russlands beschäftigt, aber seit mehr als zwei Jahren ist dieses Unternehmen als „DB Cargo Russia“ der aktive Mittler für Carrier-Dienstleistungen innerhalb des Transitkorridors zwischen China und Europa.
Inwiefern bemüht sich die Deutsche Bahn um den Transitkorridor zwischen China und Europa?
Die DB hat 2011 die ersten Containerzüge aus China gefahren. Die Landbrücke, das heißt der Schienentransport aus China nach Europa bzw. von Europa nach China, ist zum etablierten Produkt geworden. 2016 wurden auf dem Schienenweg ca. 40.000 Containerblockzüge zwischen Europa und China ausgetauscht. Wir sind heute mit unserer DB Cargo auf einem sehr guten Weg, diese Zahlen weiter zu erhöhen. In diesem Jahr planen wir ca. 65.000 bis 75.000 Container. Wir sind zurzeit als DB Cargo Russia in der Situation, dass wir täglich einen Containerzug zwischen China und Europa durch die Bereiche Kasachstan oder Russland-Weißrussland bewegen.
Aus welchen Branchen stammen ihre Kunden?
Die Branchen haben sich verändert und weiterentwickelt. Wir haben einst begonnen mit Elektronikproduzenten. Fast jeder Laptop und ein Großteil der Drucker, die irgendwo auf deutschen oder europäischen Consumer-Märkten zu haben sind, waren irgendwann einmal in einem unserer Container. Inzwischen gibt es viele Produkte im Bereich Textilien. Zudem liefern wir in Richtung Asien vor allem Automotive-Komponente sowie Chemieprodukte zur Weiterverarbeitung. Wir haben teilweise auch Pharma- und Maschinenbauerzeugnisse, die wir für Investitionsprojekte in Asien Eastbound transportieren.
Ronald Pofalla hat 2016 von einer Rekordzahl gesprochen, was den Güterverkehr zwischen China und Deutschland angeht. Welche Rolle spielt Russland dabei?
Zu Beginn war Russland ein Transitland. Inzwischen ist es vielschichtiger. Die Destinationen aus China nach Moskau, Sankt Petersburg und Regionen im Uralbereich nehmen zu. Es gibt also erste Zugprodukte, die direkt zwischen Russland und China laufen. Zum Glück sind wir inzwischen soweit, dass nicht bloß eine einspurige Verbindung zwischen einem Punkt A und einem Punkt B besteht. Stattdessen konnten wir ein Hub-System in Kasachstan, Russland und Weißrussland etablieren. Natürlich auch in Europa. Die Landverbindung zwischen Asien und Europa hat nicht nur an Bedeutung gewonnen, sondern sie wird dringend gebraucht. Unsere Vorteile bestehen darin, dass wir innerhalb von 14 Tagen Container über zehntausende Kilometer transportieren können. Und wir haben eine relativ neutrale bzw. positive CO2-Bilanz innerhalb der Transportwege. Das ist ein Riesenvorteil gegenüber Air Freight und Ocean.
In den Medien heißt es häufig, dass sich DB Cargo im Sinkflug befindet. So wie Sie es mir schildern, gilt dies nicht für den eurasischen Raum. Woran liegt das?
Wir lernen derzeit das System Eisenbahn neu. Die Eisenbahn entwickelte sich häufig nur regional. Heute gewinnt sie eine neue Dimension, da es um Distanzen von 10.000 km und mehr geht. Mit dem Schienenverkehr zwischen Asien und Europa können wir Wachstum generieren. Die größten Hindernisse des technischen Ausbaus sind Einschränkungen in der Eisenbahngesetzgebung innerhalb der Europäischen Union. Ein Beispiel: In Russland, Kasachstan und Weißrussland kann man mit Zügen fahren, die 1,5 km lang sind. Diese Möglichkeit haben wir in der EU nicht, dort geht nur die Hälfte.
Warum gibt es in der EU solche Restriktionen?
Der Grund ist das dichte Eisenbahnnetz in der EU. Die Ausweichwege in der EU sind oft nur für Züge ausgelegt, die nicht länger als 700 Meter sind. Da muss von der Politik in Bezug auf die Gesetzgebung einiges verändert werden, aber auch die infrastrukturellen Voraussetzungen. Es gibt in Russland, Kasachstan und Weißrussland eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 1.150 Kilometern pro Tag. Auf dem Territorium der Europäischen Union sind es zurzeit 300 km pro Tag. Wir wollen schnell die Effizenz verbessern und die Transitzeiten zwischen China und Europa auf ein Niveau drücken, das ungefähr bei 9 Tagen liegen könnte.
Wie lange dauert es derzeit von China bis nach Deutschland?
Wir fahren zur Zeit ungefähr in einem Zeitabschnitt von 14 Tagen von Zentralchina nach Duisburg. Wir haben es zum Teil in 11 Tagen geschafft, aber 13 oder 14 Tage ist zurzeit die Norm.
Fahren die Züge leer wieder zurück nach China?
Das ist ja die Kunst dabei. Wir versuchen den Rundumverkehr, sowohl Westbound als auch Eastbound, in einem gleichen Verhältnis zu schaffen. Heute ist das Verhältnis noch nicht ausgeglichen. Von drei Westbound-Zügen aus China in Richtung Europa fahren maximal zwei Züge wieder zurück. Das ist natürlich ein absolutes Manko. Darin besteht auch eine Wachstumschance für das Gesamtprodukt.
Wie stark konkurriert DB Cargo mit Güterlieferungen per Lkw?
Im Massengüterbereich haben wir eine gute Position. Doch insbesondere im Konsumgüterbereich sind wir in dieser schnelllebigen Zeit dem Lkw an vielen Stellen mehr und mehr unterlegen. Da gilt es nachzudenken, welche multimodularen Lösungen wir innerhalb unserer Konzernstrukturen vervollkommnen können, um den Kunden schnell und bestmöglich zu versorgen.
Wie hat sich die politische Eiskälte zwischen Westeuropa und Russland auf das Geschäft der DB Cargo ausgewirkt?
Ich wehre mich gegen den Begriff der politischen Eiskälte. Es mag sein, dass es Leute gibt, die sich eiskalt mit Russland fühlen. Ich habe mich nie so gefühlt und werde mich auch nie so fühlen. Natürlich haben wir gemerkt, dass unsere Kundschaft nicht mehr so viel und nicht mehr so geplant Lieferungen und Transporte garantieren konnte. Doch ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Einbrüche, die es im Handelsaustausch gegeben hat, bald zu Ende sein werden. Meinen Optimismus hat die sogenannte „Eiskälte“ oder „Krise“ nicht gebrochen.
Sie sind nicht nur aktiv bei DB Cargo, sondern haben 2010 den Wirtschaftsclub Russland ins Leben gerufen. Was hat Sie zu dieser Entscheidung bewegt?
Wir haben den Club mit Karin von Bismarck und anderen Mitstreitern ins Leben gerufen, um eine Diskussionsplattform für mittelständische deutschsprachige Unternehmern zu schaffen. Wir wollten, dass Menschen sich treffen, miteinander reden, sich austauschen, und Vertrauen gewinnen. Denn wer Russland kennt, der weiß: Geschäfte macht man nur zwischen Menschen. Und diese Menschen machen nur erfolgreiche Geschäfte, wenn sie sich kennen und vertrauen.
Wie hat sich die Arbeit des Wirtschaftsclubs Russland in den letzten sieben Jahren entwickelt?
Wir haben eine Konferenz für deutsche Wirtschaftsclubs in Ost- und Mitteleuropa ins Leben gerufen, die es bereits seit sechs Jahren gibt. Zudem haben Karin von Bismarck und ich 2014 eine Roadshow entlang der Seidenstraße gestartet und den Zukunftspreis Neue Seidenstraße ausgerufen, den wir in diesem Jahr zum dritten Mal unter dem Motto „Faces of the New Silkroad“ ausgeschrieben haben. Darüber hinaus initiieren wir seit 2016 die Veranstaltungsreihe „One World, One Sky“ in 16 Ländern, verbunden mit Charity-Aktivitäten und fünfstelligen Spendensummen. Dies betrifft die Finanzierung von kranken Kindern und Studentenstipendien, Kinderkrankenhäusern sowie Waisenhäusern.
Sehen Sie Bemühungen in der deutschen Politik, die Annäherung zwischen der Eurasischen Wirtschaftsunion und der Europäischen Union zu fördern?
Sicherlich ist in der Vergangenheit dazu nur sehr wenig passiert. Insbesondere in der Vorbereitung zu den Bundestagswahlen versuchen wir, mit Politikern über diese Themen zu sprechen. Wer in den Veranstaltungskalender des Wirtschaftsclubs Russland schaut, findet dort zahlreiche Politikergespräche aus allen vertretenen Fraktionen des Bundestages, die innerhalb der nächsten Monate Frage und Antwort stehen. Wir wollen diesen Dialog aber vor allem in Brüssel weiterführen. Wichtig ist, dass wir Unternehmererfahrungen präsentieren, und nicht irgendwelche Zeitungsweisheiten oder politisch artikulierten Positionen austauschen. Das ist unser Anliegen, an dem wir aktiv arbeiten.
Vielen Dank für das Interview, Herr Leuschner.
Dieses Interview führte Ostexperte.de-Chefredakteur Thorsten Gutmann.
Der Bahntower (eigene Schreibweise: BahnTower) ist der Sitz der Dachgesellschaft der Deutschen Bahn in Berlin. Das Gebäude steht am Potsdamer Platz und bildet den östlichen Abschluss des Sony Centers. Es hat eine Gesamthöhe von 103 Metern und verfügt über 26 Etagen. Quelle: PoliticalPost DE, Deutsche Bahn Zentrale, Berlin, Size changed to 1040x585px., CC BY-SA 3.0 [/su_spoiler]