Über die neuesten Flüchtlingsbewegungen an der belarussischen Grenze
An der Grenze zwischen Belarus und Polen haben die ersten Migranten die Sperren überwunden. Doch wie kommen sie an die EU-Außengrenze?
Bereits im Laufe des Montags gab es Meldungen von belarussischer Seite, Flüchtlinge hätten erfolgreich den Grenzübertritt nach Polen geschafft. Sie beriefen sich auf Aussagen von belarussischen Grenzschützern. Nun gibt es solche Berichte auch von polnischer Seite. Der Sender Radio Bialystok berichtet, dass zwei große Migrantengruppen mit mehreren Dutzend Menschen die EU-Außengrenze erfolgreich überwunden hätten. Einige davon seien von polnischen Sicherheitskräften festgenommen und an die Grenze zurückgebracht worden. Andere seien in Polen noch auf der Flucht – wahrscheinlich mit dem Ziel Deutschland. Radio Lublin, ein weiterer polnischer Sender spricht konkreter davon, dass eine der beiden Migrantengruppen gefasst worden sei.
Die EU hat als Konsequenz aus den Vorwürfen an Belarus, man würde die Migranten aktiv an die Grenze schleusen, Sanktionen gegen 30 natürliche und juristische Personen des Landes angekündigt. Der Vorwurf: der Zustrom der Migranten auf der Belarus-Route sei „organisiert“. Der belarussische Korrespondent der Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta berichtet darüber hinaus davon, dass Polen beabsichtige, die Grenze nach Belarus komplett zu schließen. Der belarussische Außenminister Uladsimir Makei reiste derweil nach Moskau, was die Nesawisimaja Gaseta auf Versuche des Kreml zurückführt, die verfahrene Situation zu lösen. Russische Experten warnen in der Zeitung vor einer Gefahr unbeabsichtigter militärischer Auseinandersetzungen.
Hier stellt sich konkret die Frage, inwieweit sich das offizielle Belarus, wie die EU vorwirft, aktiv als Flüchtlingsschleuser betätigt und inwieweit es nur – wie Lukaschenko selbst angibt – die Flüchtenden nur an der Weiterreise hindert. Lukaschenko schiebt sogar die Organisation des Migrationsstroms über sein Land auf mafiöse Strukturen „in der EU“. Tatsache ist, dass für die in Frage kommenden Gruppen Touristenvisa für Belarus aktuell leicht erhältlich sind, mit denen sie nach Minsk reisen, um von dort westwärts weiterzukommen.
Im Minivan an die Grenze
Wie der Transport an die Grenze funktioniert, hat ein Reporter der russischen Zeitung Kommersant vor Ort in einer Reportage festgehalten. Er begleitete Flüchtlinge aus dem kurdischen Teil des Irak auf ihrem Weg durch Belarus. Andere, vorausgegangene Migranten hätten diesen mitgeteilt, wie man an die Grenze kommt – vom Visum in der Türkei über eine Taxifahrt in Minsk und die Fahrt in einem privaten Minivan an die Grenze. Privatpersonen, die Reisende als Kuriere in andere Städte bringen, sind in Osteuropa sehr verbreitet.
Die Fahrer würden sich austauschen, wo Straßen gesperrt seien und wie man sich der Grenze am besten nähert – bis auf fünf Kilometer brächten sie die Migranten in Richtung Polen, so der Zeitungsbericht. Dabei hätten die Flüchtlinge die Wahl, ob sie zum entstandenen, wilden Flüchtlingscamp mit mehreren Tausend Leuten wollten oder lieber an ein einsames Grenzstück mit dem Ziel eines geheimen Durchbruchs. Die in Belarus allgegenwärtigen Straßen-Checkpoints der Verkehrspolizei seien bei der Durchreise des Reporters verlassen gewesen.
Vieles spricht nach dem Bericht des Kommersant-Journalisten dafür, dass die Fluchtroute weitgehend eigenständig wurde: private Transportunternehmen und der Austausch der Migranten schaffen einen Weg dorthin, wo die Menschen nicht erst animiert durch die Belarussen hin wollen. Dabei kann man von einer stillschweigenden Duldung der belarussischen Behörden ausgehen, da die eingeschlagenen Wege über vorhandene Checkpoints andernfalls schnell unterbunden würden.
Ein Indiz für eine aktive Beteiligung ist die einfache Ausstellung der Visa für das Land für „Touristen“, die aus Gegenden kommen, in denen Auslandsreisen wohl eine sehr seltene Ausnahme darstellen dürften. Dass Belarus aber gar „Werbung“ für die eigene Fluchtroute macht, dafür gibt es keine Belege – sie ist höchstwahrscheinlich auch nicht möglich. Sie spricht sich aufgrund des Wunsches der Migranten, aus ihrer hoffnungslosen Situation in einer krisenhaften Heimat weg zu kommen, von selbst herum.