“Metro-Aufseher” in Moskau – eine Ära geht zu Ende

“Metro-Aufseher” in Moskau wurden am 1. April entlassen

„Linke Seite freihalten!“, poltert eine ältere Dame im strengen Ton. Ihre Stimme hallt aus Lautsprechern, die entlang eines Tunnels montiert sind, der wie ein Krater in die Tiefe ragt. Rasch sortiert sich eine Gruppe junger Moskowiten zur rechten Seite. Links galoppiert ein Mann mit grimmiger Miene in den Untergrund.

Dies ist eine Szene, wie sie jahrzehntelang fest zum Alltag der russischen Hauptstadt gehörte. Doch vorgestern, am 1. April, ist eine Ära zu Ende gegangen. Die Aufpasser in den Glaskabinen am Ende der Rolltreppen, die eine gefühlte Ewigkeit in den Abgrund gleiten, wurden von ihrer Aufgabe enthoben. Damit verliert Moskau ein Teil seines Stadtbilds – und die „Metro“ einen Teil ihrer Menschlichkeit.

Jeder Tourist kannte die zumeist pensionierten Damen und Herren, die wie Vermittler zwischen der Außenwelt und dem Untergrund wirkten. Manche von ihnen ermahnten voller Enthusiasmus im Minutentakt, andere wiederum blickten apathisch in die Leere. Hin und wieder konnte man auch Aufpasser erwischen, die friedlich in Traumwelten schlummerten – obwohl dies strengstens verboten war.

Doch wie sah eigentlich der Arbeitsalltag der Metro-Aufseher aus? Gab es auch andere Aufgaben außer die großmütterliche und gutherzige Warnung vor dem Sturz in die Tiefe? Wie hoch war die Bezahlung des Wachpersonals? Und was passierte, wenn ein Mitarbeiter versehentlich einschlief? Das Stadtmagazin The Village hat sich mit zwei Metro-Aufseherinnen unterhalten – und spannende Antworten auf diese Fragen erhalten.

Was waren die Aufgaben der Aufseher?

Irina arbeitete 20 Jahre lang als Aufseherin an den Rolltreppen der Moskauer U-Bahn. Ihre Aufgabe war es, den Menschenstrom zu beobachten – und Mitarbeiter zu informieren, falls etwa Besonderes geschah. Wenn eine Rolltreppe ausfiel, musste ein Elektriker gerufen werden. Und manchmal stürzte eine Deckenlampe auf die Passagiere herab. Häufig fielen Personen und verletzten sich Rücken, Arme und Beine. Auf wundersame Weise blieben Betrunkene meistens verschont, erzählt Irina. Dafür erlitten Kinder oftmals Verletzungen – wegen unachtsamer Eltern.

Swetlana dagegen arbeitete erst seit zweieinhalb Jahren als Metro-Aufseherin. Zuvor absolvierte sie ein sechswöchiges Training. „Das war sehr ernst“, hebt sie hervor, „schließlich geht es um die Sicherheit der Passagiere“. Auch sei der Job „nicht für jeden“ gewesen.

Besonderheiten des Jobs

„Mein Gehalt war 17.000 Rubel“, erzählt Irina. Nach dem EZB-Kurs vom 2. April entspricht die Summe rund 283 Euro. Dem wurde eine Prämie von 50 Prozent hinzugefügt. Ohne Fehltage oder Abzüge kam man so auf 20.000 bis 25.000 Rubel. Das Gehalt war niedrig, jedoch hätten sich die Leute „irgendwie damit abgefunden“. Viele der Mitarbeiter erhielten zusätzlich Rentenbezüge. Während der Arbeit war es untersagt, sich ablenken zu lassen oder das Telefon zu verwenden, erklärt Irina. Jedoch musste sie ab und zu per Funk mit dem Wachpersonal sprechen, um auf verdächtige Personen hinzuweisen.

„Wir müssen jede Minute und jede Sekunde aufpassen“, sagt Swetlana. Wer einschlief, riskierte eine Lohnkürzung. Doch wegen der monotonen Arbeit und der schlechten Luft sei dies häufig vorgekommen. Teilweise seien die Mitarbeiter sogar bewusstlos geworden. Besonders anstrengend war laut Swetlana das Beobachten von langen Tunneln zur Peak-Time, jeweils drei Stunden am Morgen und am Abend. Natürlich sei es auch verboten gewesen, im alkoholisierten Zustand zur Arbeit zu erscheinen.

Wie die Fahrgäste auf die Aufseher reagierten

„Meistens wurde ich gefragt, wie man irgendwohin fahren kann“, erinnert sich Irina. Sie sei genervt gewesen von unhöflichen Fahrgästen, die nicht einmal „Guten Tag“ sagten. Dennoch verzichtete sie darauf, sich in ihrer Glaskabine einzuschließen. „Ein Passagier in der Metro ist wie ein blinder Kater“, sagt sie.

Die Fahrgäste waren unterschiedlich, erzählt Swetlana. Problematisch seien nur jene gewesen, die anderen Passagieren Unannehmlichkeiten bereiteten – hauptsächlich „Penner und Personen unter Alkoholeinfluss“.

Was als Nächstes geschehen soll

Irina möchte bei der Moskauer Metro bleiben und sucht nach einer freien Stelle. Doch wie es für die anderen Aufseher weitergehe, das wüsste in Wahrheit niemand. Viele der ehemaligen Mitarbeiter seien gezwungen, zuhause zu bleiben und von der Rente zu leben. Interessant sei Irinas Meinung nach die Arbeit als Kassiererin oder Reinigungskraft – doch anderes als der Job als Aufseherin handele es sich dabei Vollzeitstellen, die weniger attraktiv für Pensionäre seien.

Swetlana dagegen hofft auf eine Rettung durch die Gewerkschaft. Ihrer Meinung nach wolle die Administration die „sogenannten Babuschkas“ loswerden. Doch obwohl viele der älteren Damen bereits über 80 Jahre alt seien, wollen viele von ihnen nicht in die Rente gehen, sagt Swetlana.

Moskauer-Metro-Gewerkschaft kritisiert Entlassungen

Von den Entlassungen seien über 1.200 Personen betoffen, erklärt Nikolai Gostew, der Vorsitzende der Moskauer Metro-Gewerkschaft. Das Verhältnis der Gewerkschaft zur Administration sei angespannt. Ihm zufolge sollen in Zukunft mehrere Rolltreppen gleichzeitig von einer Person überwacht werden – in einem abgeschotteten Raum mit Bildschirmen. Dies sei unzureichend für die Sicherheit der Fahrgäste, warnt Gostew. Zum Beispiel könne der Aufseher nicht hören, falls ein Gast laut aufschreien sollte.

 … diese Kabine bleibt auch in Zukunft leer:

https://www.instagram.com/p/BOmyjYWhlCD/?taken-by=mosmetro&hl=de

Titelbild
Gefunden auf flickr.com (Evgeniy Isaev, Moscow metro., Size changed to 1040x585px., CC BY 2.0 ( [/su_spoiler]