Kolumne: Auf das alles bleibt, wie es ist

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Reisen bildet, sagt der Volksmund. Das gilt sogar dann, wenn man nur im eigenen Land verreist. Deutschland geht es gut, aber das wird nur so bleiben, wenn sich das Land den Herausforderungen der Zukunft stellt und die Politik die richtigen Weichen stellt – auch Richtung Osteuropa.

Milch von glücklichen Kühen

Ich bin im Urlaub! Ein herrliches Gefühl. Landluft, Sonne, Tiere in echt, Berge, Wald, Ruhe, kein Internet. Gibt es doch einmal ein Netz, bauen sich die Seiten Zeile für Zeile auf. Ja, Sie haben es erraten: Der Ort meiner Wahl liegt in Deutschland. Man darf ja wieder reisen. Eigentlich ist das meiste so wie früher, nur mit Mund-Nasen-Schutz eben, aber auch das nur noch beim Einkaufen. Die Außengastronomie hat geöffnet, drinnen ginge auch… mit Mund-Nasen-Schutz. Angeboten wird Fleisch vom hiesigen Metzger, das Brot kommt aus dem Kloster, wo auch das Bier gebraut wird. Selbstredend sind die Eier und die Milch von glücklichen Hühnern und Kühen. Alles schmeckt köstlich. Eine wahre Idylle, ein geschlossener regionaler Kreislauf, der sich allerdings nur rechnet, wenn genug Touristen kommen und die Subventionen aus der EU reichlich fließen. Noch vor hundert Jahren war der Landstrich bettelarm. Und natürlich kosten alle regional erzeugten Lebensmittel deutlich mehr als im Supermarkt. Dort gibt es dann auch Tomaten, Orangen, Kiwi, Mango, Zucchini, Avocado, ganz frühe Melonen; alles, was in Deutschland nicht oder noch nicht wächst, und zum Teil von sehr weit herkommt. Von da, wohin deutsche Maschinen und Autos exportiert werden.

Machen, aber bitte nicht hier

Auf dem Weg ins Urlaubsparadies haben wir in unterschiedlichen Gegenden ein paar Mal Station gemacht. Deutschland ist schon ein schönes Land, aufgeräumt, rausgeputzt, tolle Infrastruktur, erstaunlich viel Natur für ein hoch entwickeltes Industrieland. Damit das auch überall so bleibt, wird in einer Stadt gegen den Bau einer ICE-Fabrik protestiert, in einer anderen entzündet sich die Wut der Menschen an der Errichtung eines Windparks, ein paar Kilometer weiter soll eine Stromtrasse nicht gebaut werden, und vor Ort – Sie ahnen es – begehren die Einwohner gegen den Bau von Funkmasten auf. Sicher gibt es in jedem einzelnen Fall gute Gründe für den Einspruch, aber da sich diese Liste endlos fortsetzen ließe, lässt sich ein gewisses Muster erkennen. Fortschritt, Digitalisierung, Smart Manufacturing, Energiewende, Umweltschutz, Umverteilung, Nachhaltigkeit alles prima, solange es nur nicht vor der eigenen Haustür stattfindet. Diese Einstellung ist für ein Land ohne Rohstoffe und im weltweiten Vergleich mit sehr hohen Löhnen erstaunlich, um nicht zu sagen gefährlich.

Starting a Business – Platz 125

Es ist deshalb kein Wunder, dass die Deutschen mittlerweile alles Mögliche können, nur Verwaltung und Organisation offenbar nicht mehr. Und Ich meine nicht die Corona-Pannen-Serie. Im „Ease of Doing Business-Index“ stehen wir mit Platz 22 noch einigermaßen passabel da. Aber Position 125 bei „starting a business“ ist gelinde gesagt ein miserabler Wert. Gründer sind arm dran. Wie in einem Brennglas zeigt sich, dass die Verkrustung der Strukturen lähmende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung hat. Besitzstandsdenken und Zukunftsängste dominieren das Verhalten, nein nicht der Unternehmen, der politischen Entscheidungsträger. Unabhängig vom derzeitigen Wahlkampf scheinen Umfragewerte wichtiger als langfristige Perspektive. Die Wirtschaft muss mit den Umständen leben, sich anpassen, aber letztlich führt diese Verzagtheit auch zu negativen Folgen für die gesamte Gesellschaft. Energie ständig teurer. Die Mieten steigen und steigen. Obwohl andere Industrieländer vormachen, wie man mit intelligenten Lösungen Wohnungen als Spekulationsobjekte ausschließt. Die Abgabenlast wächst und die Renten sind trotz Norbert Blüms historischer Aussage nicht sicher. Die Rechnung werden diejenigen zahlen müssen, die die Zukunft des Landes bedeuten: die Jungen. Die aber sind zahlenmäßig so unterlegen, dass sie demoskopisch viel weniger interessant sind als die Alten.

Der Status quo sagt nichts über die Zukunft

Wenn Sie sich schon seit einiger Zeit fragen, warum ich Ihnen das alles in einer Kolumne zu Osteuropa erzähle, dann kommt jetzt der Versuch einer Antwort. Deutschland befindet sich augenblicklich in einer recht komfortablen Situation, immer noch viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, im Wechsel mit den Chinesen Exportweltmeister, im „Made in…“-Ranking belegt Germany seit Jahren den ersten Platz. Und wir sind ein reiches Land. Wir sind im Wortsinn reich. Bei den Superreichen belegen wir den 3. Platz, aber auch pro Kopf der Bevölkerung sind wir unter den Top 20. Wir sind reich an Bildung, Vielfalt, Kulturen, Religionen, aber auch an Patenten, Universitäten, im Weltmarkt führenden und hoch innovativen Mittelständlern und extrem effektiven Konzernen. Und genau das ist unser Problem! Der Status quo sagt nichts über die Zukunft aus und verführt zu Trägheit und einer Binnensicht, die den Blick auf das große Ganze verstellt.

Wohlstand wird mit Arbeit, nicht mit Meinung verdient

Wir sind zwar die viertgrößte Volkswirtschaft, aber nur mit einem Anteil von dreieinhalb Prozent am weltweiten BIP. Dafür sind wir sehr stark abhängig vom Export. Mittlerweile wird fast jeder dritte Euro in Deutschland mit dem Export verdient, jeder vierte Arbeitsplatz hängt am Außenhandel. Dieses Erfolgsmodell mit immer neuen Regeln zu torpedieren und moralische Ansprüche zu postulieren, die fern jeglicher wirtschaftlichen Realität sind, wird sich früher oder später im Rückgang des Wohlstands niederschlagen. Wer wirklich glaubt, dass ein Lieferkettengesetz, dass Deutschland allein beschließt, die Welt ändert, ist im besten Fall Idealist. Energie grün erzeugen zu wollen und dabei die Staaten als Lieferanten ausschließen zu wollen, die zumindest für den Übergang die dringend benötigten Rohstoffe liefern, ist fahrlässig. Erlauben Sie mir noch ein letztes Beispiel: Zu glauben, eine Technologie sei „sauber“, weil man den Dreck und die Giftstoffe nicht sieht, die bei der Produktion anfallen, ist naiv. Geld und Wohlstand für alle werden nicht mit Meinungen sondern mit harter Arbeit, Innovation und Flexibilität verdient.

Der Souverän wünscht sich Zusammenarbeit

Politik ist eigentlich nicht unbedingt der Fokus dieses launischen Textes, aber manchmal sollten Politiker sich einfach anschauen, was der Souverän denkt. In einer repräsentativen Forsa-Umfrage sprechen sich knapp zwei Drittel der Befragten für eine engere Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland aus, allerdings sieht nur ein Drittel eine Chance dazu. Satte drei Viertel sind für den Abschluss der Bauarbeiten von Nordstream II. Der Vorsitzende des Ost-Ausschusses Oliver Hermes kommt zu dem Schluss: „Wenn es nach den Wünschen der deutschen Bevölkerung gehen würde, könnten die EU und Russland ihre Beziehungen auf vielen Feldern deutlich ausbauen. Die Wirtschafts- und Energiebeziehungen bekommen durchweg gute Noten. Eine große Mehrheit kann sich einen gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraum unter Einschluss Russlands vorstellen, will das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 fertig bauen und mit Russland beim Thema Wasserstoff kooperieren.“ Dann stellen wir uns doch für einen kurzen Moment vor, es ginge nach dem Willen des deutschen Volkes – sollte dann Wirtschaftspolitik nicht eher den Rahmen der Möglichkeiten ausloten als Verbotsschilder aufzustellen?

Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

Titelbild
travelview I Shutterstock.com