Mein Praktikum in Moskau, der Ameisenhaufen und schöne Damen

„Habe ich alles?“, frage ich mich noch einmal am Flughafen in Wien und gehe in Gedanken meine Checkliste durch, ob ich auch nichts vergessen habe. Für drei Monate verlasse ich nun meine österreichische Heimat, um in Moskau mein Sommerpraktikum bei der Firma „Rufil Consulting“, einer deutschen Unternehmensberatung, im Bereich Marketing and Sales, anzutreten.

Die Frage ist eigentlich hinfällig. Würde mir noch etwas fehlen, wäre es jetzt nicht mehr möglich, für Ersatz zu sorgen. Sie dient nur zur Beschäftigung während ich auf das Flugzeug warte und um meine Nervosität etwas in den Griff zu bekommen. Schließlich sind drei Monate in Russland doch eine sehr lange Zeit.

Schon bevor man in den Flieger steigt muss man sich um einiges kümmern und hat bereits in Österreich die Möglichkeit sich mit der russischen Bürokratie vertraut zu machen. Nachdem man die Zusage für sein Praktikum hat, stehen zwei große Hürden an, zum einen der Wohnort in Russland während des Praktikums, zum anderen das Businessvisum (Arbeitsvisum ist für ein Praktikum nicht notwendig), für dessen Beantragung meistens mehr Dokumente notwendig sind, als auf der Homepage der russischen Botschaft angegeben. Fehlt ein Dokument wird der Visumsantrag grundlos abgelehnt. Es empfiehlt sich daher, sich rechtzeitig um diese Formalitäten zu kümmern, um nicht am Ende ohne Visum dazustehen – dennoch ein guter Vorgeschmack auf die Beamten in Russland.

Aber von Anfang an, wie komme ich überhaupt dazu, auf den Flug zu warten, der mich in die russische Hauptstadt bringt? Warum möchte ich ein Praktikum ausgerechnet in Moskau machen?

In meiner Schulzeit hatte ich bereits die Möglichkeit, Russisch als dritte Fremdsprache zu lernen. Im Zuge dieser Ausbildung fand auch ein Schüleraustausch zwischen meiner und einer Russischen Schule statt. Nicht nur die russische Kultur und Gastfreundschaft haben mich damals sehr beeindruckt, auch die Schönheit Moskaus. Wahre Schönheit kommt ja bekanntlich von innen und wenn man ein bisschen unter die architektonisch-kommunistische Schale gräbt, findet man durchaus eine beeindruckende und sehenswerte fremde Stadt. Schon damals habe ich den Entschluss gefasst, irgendwann wieder nach Moskau zu reisen.

Fünf Jahre später ist es dann so weit. Ich bin mittlerweile Student der Rechtswissenschaften und als solcher auch an anderen Bereichen der Russischen Föderation, als bloß der Kultur interessiert, ist Russland doch mehr als ein „Global Player“ am Weltmarkt. Ein Praktikum in Moskau zu machen erscheint mir in vielerlei Hinsicht als beste Möglichkeit. Man hat über die Zeit des Praktikums einen hohen Lerneffekt, sowohl was die Arbeit im Unternehmen betrifft, als auch sprachlich und kulturell. Russland wird als aufstrebende Wirtschaftsmacht gehandelt, was einen Blick hinter die Kulissen des russischen Wirtschaftssystems umso spannender macht. Ein mehrmonatiger Auslandsaufenthalt ist mittlerweile auch am heimischen Arbeitsmarkt eine oft gesehene Anforderung bei Stellenausschreibungen. Auch die Erweiterung des Horizontes und der Blick über den Tellerrand sind gut und meines Erachtens zusätzlich wichtig für die Persönlichkeitsbildung. Auf sich allein gestellt zu sein in einem Land dessen Sprache man nicht perfekt beherrscht, ist eine Herausforderung, die zu bewältigen ebenfalls einen großen Mehrwert für den Lebensstil und auch die Persönlichkeit eines jungen Menschen hat.

Es gab also für mich keinen Zweifel, dass dies eine gute und lebensprägende Entscheidung für mich sein würde. Da die Firma, in der ich mein Praktikum absolviere, als Arbeitssprache neben Russisch auch Englisch und Deutsch hat, fällt es mir leicht, mich mit den Kollegen zu verständigen. Denn während ich auf Russisch gut über alltägliches reden kann, würde ich wohl beim wirtschaftlichen Fachvokabular aussteigen.

Seit etwas mehr als zwei Wochen bin ich nun hier und fühle mich schon wie zu Hause. Die Arbeit ist spannend und hält jeden Tag neue Herausforderungen bereit. Es stört mich nicht mehr, morgens und abends in die Sardinenschachtel von Metro einzusteigen und auch an die meisten russischen Eigenheiten habe ich mich gewöhnt. Langsam kommen mir jedoch Zweifel, ob drei Monate in Moskau wirklich eine so lange Zeit sind. Einer meiner Professoren pflegte immer zu sagen, ob kurz oder lang käme auf die Tätigkeit an. Drei Minuten mit einer schönen Dame seien recht kurz und drei Minuten im Ameisenhaufen recht lang. Da ich in Russland schon viele schöne Damen, aber noch keine Ameisen gesehen habe, fürchte ich also die Zeit wird schneller vergehen als gewollt.


Autor: Josef Heinrich Steger, RUFIL CONSULTING