Russlands Wirtschaft 2024: Halbiertes Wachstum und fast 7 Prozent Inflation

Die aktuellen Prognosen zur Entwicklung von Wirtschaftswachstum und Inflation dürften der russischen Regierung kaum gefallen. Im Durchschnitt erwarten die Analysten schließlich, dass die russische Wirtschaft 2024 nur noch etwa halb so stark wächst wie 2023. Der Anstieg der Verbraucherpreise werde sich gleichzeitig im Jahresdurchschnitt aber dennoch beschleunigen.

Das ergab jedenfalls die jüngste Analysten-Umfrage der russischen Zentralbank zur Vorbereitung ihrer nächsten Leitzinsentscheidung am 22. März. Die 27 teilnehmenden Banken, Forschungsinstitute und Medien erwarten jetzt für 2024 eine Halbierung der 2023 erreichten Wachstumsrate von 3,6 Prozent auf 1,8 Prozent  Das diesjährige Wachstum wäre damit erheblich niedriger als es die Regierung in ihrem Haushalt für 2024 mit 2,3 Prozent eingeplant hat.

Zudem hat sich der Anstieg der Verbraucherpreise im Februar im Vorjahresvergleich auf 7,7 Prozent beschleunigt. Für den Jahresdurchschnitt erwarten die Analysten, dass die Inflationsrate von 5,9 Prozent im Jahr 2023 auf 6,9 Prozent im Jahr 2024 steigt.

Inflationsrate im Februar auf neues Jahreshoch gestiegen

Von April bis November 2023 hatte sich der Anstieg der russischen Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat ständig beschleunigt. Er zog von + 2,3 Prozent auf + 7,5 Prozent an. Erst im Dezember 2023 begann ein leichter Rückgang der jährlichen Inflationsrate auf 7,4 Prozent. Er setzte sich im Januar und Februar aber nicht fort.

Das Statistikamt Rosstat ermittelte für Februar einen beschleunigten Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat von 7,7 Prozent. Das ist der stärkste Preisanstieg seit einem Jahr. Vor einem Jahr, im Februar 2023, waren die Verbraucherpreise im Vorjahresvergleich noch um 11,0 Prozent gestiegen.

Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahresmonat in %

Trading Economics: Russia Inflation Rate Hits 1-Year High of 7.7%, 13.03.24

Gegenüber dem Vormonat hat sich der Anstieg der Verbraucherpreise im Februar jedoch abgeschwächt. Die Preise stiegen gegenüber Januar um 0,7 Prozent. Im Januar hatten die Preise gegenüber Dezember noch um 0,9 Prozent angezogen.

Überdurchschnittlich stark stiegen im Februar im Jahresvergleich die Preise für Dienstleistungen (+ 8,6 Prozent) und Lebensmittel (+ 8,1 Prozent). Nicht-Lebensmittel verteuerten sich gegenüber Februar 2023 unterdurchschnittlich stark um 6,6 Prozent.

Auch Anfang März waren die Verbraucherpreise 7,7 Prozent höher

Das Forschungsinstitut der Wneschekonombank (Bank für Außenwirtschaft) macht in seinem Bericht zur Entwicklung der Weltwirtschaft darauf aufmerksam, dass der jährliche Preisanstieg in Russland in der Woche bis zum 11. März zwar auch 7,7 Prozent erreichte. Im Vergleich mit der Vorwoche habe der Index der Verbraucherpreise in der zweiten März-Woche jedoch stagniert.

Anstieg der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Beiträge von Lebensmitteln, Nicht-Lebensmitteln und Dienstleistungen zur Inflationsrate in Prozentpunkten; Schätzung des VEB-Instituts

Wneschekonombank-Institut: „World Economy and Markets Review“; 15.03.24

Prognose: Bis zum Jahresende sinkt die Inflationsrate zwar, im Jahresdurchschnitt steigt sie jedoch

Im weiteren Verlauf des Jahres 2024 erwarten die von der Zentralbank befragten Analysten einen Rückgang der jährlichen Inflationsrate. Nachdem die Verbraucherpreise im Dezember 2023 gegenüber dem Vorjahresmonat noch um 7,4 Prozent gestiegen sind, wird der jährliche Preisanstieg ein Jahr später im Dezember 2024 laut der Umfrage nur noch 5,2 Prozent erreichen (siehe erste Zeile der folgenden Tabelle).

Im Jahresdurchschnitt 2024 werden die Verbraucherpreise in Russland nach Einschätzung der Analysten jedoch um 6,9 Prozent steigen (siehe zweite Zeile). Damit würde sich die Inflationsrate gegenüber 2023 um einen Prozentpunkt erhöhen – trotz des starken Rückgangs der Wachstumsrate des Bruttoinlandsprodukts auf nur noch 1,8 Prozent (siehe letzte Zeile).

2023 hat sich das Inflationstempo mehr als halbiert. Der Anstieg der Verbraucherpreise sank im Jahresdurchschnitt von 13,8 Prozent auf nur noch 5,9 Prozent.

Ergebnisse der Zentralbank-Umfrage vom März 2024 zu Inflation und Wachstum

(in Klammern: Ergebnisse der Umfrage vom Februar 2024)

Central Bank of Russia: Macroeconomic survey of the CBR, 07.02.24, 13.03 24

Der Leitzins wird im Jahresdurchschnitt 2024 deutlich höher sein als 2023

Auch zur Entwicklung des Leitzinses der Zentralbank wurden die Analysten befragt. Er wird nach ihrer Einschätzung von 9,9 Prozent im Jahresdurchschnitt 2023 auf 14,5 Prozent im Jahresdurchschnitt 2024 steigen, also um 4,6 Prozentpunkte.

Vor allem zur Stabilisierung des Rubel-Kurses (Chart) hatte die Zentralbank den Leitzins (Chart) im Verlauf des letzten Jahres bis auf 16 Prozent im Dezember angehoben. Offenbar rechnen viele Analysten jetzt damit, dass die Zentralbank bis weit in das Jahr 2024 hinein an einem hohen Leitzins festhalten wird. Schwächt sich das Wirtschaftswachstum aber wie erwartet ab, dürften die Forderungen nach einer Senkung des Leitzinses lauter werden.

Olga Belenkaya, Chefvolkswirtin der Börsenfirma FINAM, erwartet in einer ausführlichen Analyse der Geldpolitik vor dem Hintergrund der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, dass die Zentralbank im zweiten Quartal 2024 beginnen dürfte, über eine allmähliche Senkung des Leitzinses zu diskutieren. Sie geht davon aus, dass der Leitzins nur langsam gesenkt wird, um Abflüsse von Ersparnissen in den Konsum und auf ausländische Devisenmärkte zu verhindern. Wahrscheinlich werde der Leitzins bis zum Jahresende von 16 Prozent auf 12 bis 14 Prozent zurückgenommen.

Zentralbank-Umfrage: 2024 wächst die Wirtschaft nur noch um 1,8 Prozent

Die russische Regierung geht in ihrem Ende September beschlossenen Haushaltsplan für 2024 davon aus, dass die Wirtschaft um 2,3 Prozent wächst. Auch nachdem die Regierung Mitte Januar ihre Schätzung für das Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 von 2,8 auf rund 3,5 Prozent angehoben hatte, hielt Wirtschaftsminister Reschetnikow an der Prognose fest, dass das reale Bruttoinlandsprodukt 2024 um 2,3 Prozent steigen werde (Politcom.ru; Kommersant.ru). Für April hat Wirtschaftsminister Reschetnikow eine Aktualisierung dieser Prognose angekündigt.

Wenn der Minister dabei der Analysten-Umfrage der Zentralbank folgen würde, müsste er seine Wachstumsprognose senken. Der Mittelwert der Wachstumsprognose der Analysten stieg gegenüber der letzten Umfrage von Anfang Februar jetzt zwar um 0,2 Prozentpunkte. Mit 1,8 Prozent erwarten die befragten Experten für 2024 aber immer noch ein deutlich schwächeres Wachstum als die Regierung. Auch die russische Zentralbank rechnet in ihrer Mitte Februar veröffentlichten mittelfristigen Prognose in diesem Jahr nur mit einem Wirtschaftswachstum von 1 bis 2 Prozent.

Deutsche Institute erwarten 2024 in Russland rund 2,5 Prozent Wachstum

Deutlich mehr Zustimmung hat die Wachstumserwartung der russischen Regierung von 2,3 Prozent inzwischen bei den führenden deutschen Konjunkturforschungsinstituten gefunden. In ihren in der ersten März-Woche veröffentlichten „Frühjahrsprognosen“ erwarten die fünf Institute für 2024 im Durchschnitt ein Wachstum der russischen Wirtschaft von 2,5 Prozent. Damit wäre der Produktionsanstieg der russischen Wirtschaft noch etwas stärker als der Internationale Währungsfonds Ende Januar mit 2,6 Prozent prognostizierte. Das Berliner DIW hob seine Wachstumsprognose für 2024 jetzt sogar auf 3,4 Prozent an (s. Ostexperte-Bericht).

BIP-Prognosen 2023 bis 2025

Veränderung des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahr in Prozent

Wachstumsprognosen von 1,7 % für 2024 sind zu pessimistisch

Das britische Wirtschaftsmagazin „The Economist“ zeichnete Anfang März im Vergleich zu vielen Berichten deutscher Medien ein ungewohnt positives Bild der russischen Wirtschaft (Internet-Kopie in „Financial Review“ kostenfrei verfügbar). Prognosen, dass sich Russlands Wirtschaftswachstum 2024 auf 1,7 Prozent abschwächen werde, hält „The Economist“ für „zu pessimistisch“ (nennt aber in dem Artikel keine eigene Prognose).

Zur Preisentwicklung meint das Magazin, viele Prognosen gingen davon aus, dass die Inflationsrate „before long“, also in nicht allzu langer Zeit, auf nur noch rund 4 Prozent sinken werde (Laut der Zentralbank-Umfrage ist bis Ende 2025 mit einem Rückgang der Inflationsrate auf 4,1 Prozent zu rechnen).

Russlands Inflation habe sich im letzten Jahr wegen der stark gestiegenen staatlichen Nachfrage beschleunigt, erklärt „The Economist“. Die Ausgaben der Regierung seien vor dem Hintergrund der Invasion in die Ukraine real um rund 8 Prozent gestiegen. Die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen habe die Produktionskapazitäten der Wirtschaft überschritten.

Besonders schwierig sei es geworden, Arbeitskräfte zu finden, nicht zuletzt, weil Hunderttausende einberufen worden und Zehntausende ins Ausland geflohen seien. Der Anstieg der Nominallöhne habe sich vom Jahresanfang 2023 von 11 Prozent bis zum Oktober auf 18 Prozent beschleunigt. In arbeitsintensiven Branchen hätten diese Lohnerhöhungen die Preise nach oben getrieben.

Lob für die „straffe“ Geldpolitik

Nach Meinung von „The Economist“ sind die Verantwortlichen in der russischen Zentralbank der Überzeugung, dass ihrer Zinspolitik, mit der der Leitzins seit Juli 2023 mehr als verdoppelt wurde, eine Abschwächung der Inflation zu verdanken sei. Mit dieser Einschätzung, so das Wirtschaftsmagazin, hätten sie wahrscheinlich recht. Die gestiegenen Zinsen hätten die russische Bevölkerung dazu motiviert, ihre Einkommen lieber zu sparen als sie auszugeben. Die „straffere“ Geldpolitik habe auch die Aufnahme von Krediten gedämpft. Im Dezember seien die Verbraucherkredite gegenüber dem Vormonat nur noch um 0,6 Prozent gestiegen, nachdem sie im vorherigen Verlauf des Jahres 2023 meistens um rund 2 Prozent zugenommen hätten.

Nur wenige andere Zentralbanken, so „The Economist“, hätten eine so straffe Politik verfolgt. Dennoch sehe es aus, als ob die russische Wirtschaft auf eine „sanfte Landung“ zusteuere, bei der die Inflation sinke ohne die Wirtschaft einbrechen zu lassen.

Russland hat neue Lieferketten aufgebaut

Zur Wirkung der Sanktionen meint „The Economist“, am Beginn des Krieges hätten die Sanktionen den russischen Unternehmen die Beschaffung von Materialien zwar erschwert. Inzwischen hätten die Unternehmen jedoch dauerhafte Lieferketten mit „freundlichen Staaten“ aufgebaut. Die Einfuhren kämen jetzt gut zur Hälfte aus China, dessen Lieferanteil sich gegenüber der Vorkriegszeit verdoppelt habe.

Für Probleme in Russlands Unternehmensbereich sieht das Wirtschaftsmagazin wenig Hinweise. Tatsächlich sei die Zahl der Schließung von Unternehmen auf ein 8-Jahres-Tief gesunken. Die Moskauer Börse erwarte in diesem Jahr mehr als 20 Börsengänge von Unternehmen, nach acht im letzten Jahr.

„The Economist“: … die Paria-Wirtschaft der Welt ist wieder auf Kurs

Das renommierte Wirtschaftsmagazin zieht ein positives Fazit: Russlands reales Bruttoinlandsprodukt sei im letzten Jahr um mehr als 3 Prozent gestiegen. Die Arbeitslosigkeit bleibe auf einem Rekord-Tief.

Die größte Sorge sei, dass der Rubel abwerten könne. Grund dafür könnten niedrige Ölpreise oder eine weitere Runde von schmerzhaften Sanktionen sein. Möglich sei auch, dass China das Interesse an einer Unterstützung Putins verliere.

Dennoch meint „The Economist“ abschließend, die „Paria-Wirtschaft“ der Welt sei erneut „zurück auf Kurs“.

BOFIT: Russlands Wirtschaftswachstum ließ in den letzten Monaten nach

Auf Anzeichen für eine Abschwächung des Wachstums der russischen Wirtschaft macht BOFIT, das Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, aufmerksam .

Das Institut weist in seinem Wochenbericht darauf hin, dass die vom russischen Wirtschaftsministerium monatlich geschätzten Zuwachsraten des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahresmonat in den letzten Monaten abgenommen haben. In der folgenden BOFIT-Abbildung zeigt das die blaue Linie. Im Januar 2024 sank der Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahresmonat unter 5 Prozent (rechte Skala). In der zweiten Jahreshälfte 2023 hatten die Zuwächse der gesamtwirtschaftlichen Produktion gegenüber dem Vorjahresmonat hingegen 5 Prozent überstiegen.

Die rote Linie in der Abbildung zeigt, dass das von Rosstat berechnete Volumen der Produktion in fünf „Kernbereichen“ der russischen Wirtschaft seit dem Herbst 2023 etwas  abgenommen hat. Die Abbildung lässt erkennen, dass der Index der saisonbereinigten Produktion in den fünf „Kernbereichen“ (2018=100) seit dem Herbst 2023 im gleitenden 3-Monats-Durchschnitt von rund 118  Punkten auf rund 117 Punkte sank.

Index des Volumens der Produktion in „Kernbereichen“ der  Wirtschaft
und Anstieg des Bruttoinlandsprodukts gegenüber dem Vorjahresmonat in %

BOFIT, Bank of Finland: Russian growth fades, budget spending up sharply, 15.03.24

Ostexperte.de-Artikel zu Konjunktur und Wirtschaftspolitik in Russland von Klaus Dormann:

Titelbild
Russlands Wirtschaftsminister Maksim Reschetnikow. Quelle: Maksim Konstantinov / Shutterstock.com