Kasachstans Botschaft zu Gast bei Open International Dialogue

Ein Stück Kasachstan in Berlin: die Dialogplattform „Open International Dialogue“ lud die Botschaft der Republik Kasachstan kürzlich zum Gesprächsformat „DIPLOMATIC FUSION“ ein. Das Besondere: ein Großteil der Gäste hatte bisher keine Berührungspunkte mit Kasachstan.

von Christian Grosse

In die 1914 fertiggestellte Villa im Stil der Renaissance kehrte bereits Kaiser Wilhelm II. nach seinen Ausritten gerne ein, und auch 2006 bot das Gebäude Platz für prominente Gäste, als die deutsche Fußballnationalmannschaft ihr Quartier bezog.

Im exklusiven Ambiente des „Schloßhotel Berlin by Patrick Hellmann“nahmen internationale Gäste aus Wirtschaft, Politik und Kultur an der Abendveranstaltung teil. Eins hatten fast alle Gäste gemein: keine Berührungspunkte oder Erfahrung mit Kasachstan. Entsprechend groß war das Interesse am Vortrag von Sholpan Shynassylova, Gesandte der Botschaft der Republik Kasachstan.

DIPLOMATIC FUSION:
Die Idee von “DIPLOMATIC FUSION” ist, dass ein Botschafter, in entspannter Atmosphäre, in einem kleinen Kreis von maximal 25 Gästen, etwas über sein Land, über die Küche, über die Gastfreundschaft, über Besonderheiten seines Landes, über Kuriositäten, über die Philosophie seines Landes oder auch etwas über die aktuelle politische Situation mit den Gästen diskutiert. “DIPLOMATIC FUSION” heißt das Format auch deshalb, weil gleichzeitig ein Künstler aus dem Land vorgestellt wird. Das kann zum Beispiel ein Maler oder ein Musiker sein, ein Autor oder ein Designer. Jeder Künstler hat die Möglichkeit seine landestypische Musik vorzustellen, zu erklären oder auch beispielsweise die Instrumente und deren genaue Funktionsweise zu erläutern.Es soll sich ein Dialog mit den Gästen entwickeln und nicht nur ein klassischer Vortrag mit Fragen und Antworten. Natürlich sind auch andere Themen möglich. Es gelten die Chatham House Regeln.

Erst Kulinarik, dann Politik

Die „DIPLOMATIC FUSION“ fand in der „Champagner Lounge“ des Hotels statt. An diesem besonderen Ort der Eleganz und Entspannung bot Frau Shynassylova den Gästen einen kurzen Exkurs in die kulinarische Welt und Gewohnheiten der Kasachen. So ist die Kasachische Bevölkerung als Nomadenvolk von Hause aus ein Volk der Fleischessenden – Vegetarier stehen in Kasachstan, wie auch in Zentralasien insgesamt, vor einer Herausforderung. 

Ein kasachisches Nationalgericht ist Beschbarmak. Der Name bedeutet so viel wie fünf Finger und hat seinen Ursprung darin, dass Nomaden die Mahlzeit normalerweise mit bloßen Händen aßen. Ebenso traditionell ist Kumys, vergorene Stutenmilch, die einen sehr eigenwilligen, säuerlichen Geschmack hat (Milchsäurebakterien und Hefen sind an der Gärung beteiligt).

Musikalisch wurde der Abend von der aus Almaty stammenden kasachischen Violinistin Aiken Aitbay eröffnet und begleitet. Aitbay absolvierte ihre Ausbildung zur Violinistin am Kazakh National Conservatory, an der Kazakh National University of Arts und an der Zürcher Hochschule der Künste. Vorgetragen wurden zwei folkloristische Stücke: “bul-bul”, vom kasachischen Komponisten Daulet Kerai und „Karakemer“, des Komponisten Kuat Shildebaev. 

Die Zeit der Reformen

Die Botschaftsgesandte Shynassylova gewährte im nächsten Teil des Abends einen intensiven und tiefen Einblick in die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen in Kasachstan. Dabei verwies sie auf die vielen Schritte vom Übergang einer autokratisch geführten in eine demokratische Gesellschaft.

2023 fanden in der Republik Kasachstan erstmals seit 20 Jahren Parlamentswahlen mit unabhängigen Kandidaten statt. Gewählt wurde die 98 Sitze umfassende Mäschilis, das Unterhaus des kasachischen Parlaments. Hier zeigte die Gesandte dem interessierten Publikum auf, welche Veränderungen für die politischen Parteien eingeführt wurden. 

Unter anderem wurde die bis dahin geltende Sieben-Prozent-Sperrklausel bei Parlamentswahlen auf fünf Prozent gesenkt. Zudem wurde eine 30-Prozent-Quote für Frauen, Personen mit Behinderungen und jüngere Kandidaten eingeführt. Außergewöhnliche Änderung: auf den Stimmzetteln gab es erstmals die Wahloption „Gegen alle“. So konnten sich die Wählenden, die sich für keine Partei entscheiden konnten, eindeutig positionieren. 

Weiter erklärte die Gesandte, dass sich die Wahl in das von Präsident Kassym-Schomart Tokajew begonnene politische Reformprogramm einreihen ließe, mit dem mehr politische Pluralität und eine allmähliche Annäherung des Landes an westliche Demokratiestandards erreicht werden soll. Dies sei ein langwieriger Prozess, der insgesamt von der Bevölkerung positiv aufgenommen werde. Aber weiterhin mit vielen Herausforderungen verbunden sei. 

Anti-Atomwaffen-Politik

Besondere Erwähnung fand die Anti-Atomwaffen-Politik Kasachstans. Seit 1991 verzichtet der Staat freiwillig auf das viertgrößte Atomwaffenarsenal der Welt – seitdem wurden über 1000 Atomsprengköpfe zerstört, darunter 100 SS-18-Interkontinentalraketen.  

Im Jahr 2009 riefen die Vereinten Nationen den “Internationalen Tag gegen Nukleartests” ins Leben. Initiator war die Republik Kasachstan. Der 29. August erinnert an die Schließung des sowjetischen Nukleartestgeländes im Jahr 1991, 150 Kilometer entfernt von der kasachischen Großstadt Semipalatinsk. Die Region um Semipalatinsk, heute Semei, war von 1949 bis 1989 eines der weltweit größten Testgelände für Atomwaffen. 

Kasachstan beteiligt sich weiter aktiv an der Abkehr und der Zerstörung von Atomwaffen. Der Staat unterzeichnete 1992 den nuklearen Nichtverbreitungsvertrag und stellte alle Nuklearobjekte unter die Kontrolle der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO). 2006 gründete Kasachstan auf UN-Initiative hin in Semei gemeinsam mit Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan die erste atomwaffenfreie Zone auf der nördlichen Erdhalbkugel. 

Die vom damaligen Präsidenten Nasarbajew auf der 70. Sitzung der UN-Vollversammlung vorgestellte “Universale Erklärung für eine Welt frei von Atomwaffen” wurde am 07.12.2015 als offizielles Dokument der Vereinten Nationen angenommen. Kasachstan gehört zudem zu den 122 Mitgliedsstaaten der UN, die dem Vertrag über das völkerrechtliche Verbot von Atomwaffen zugestimmt haben. 

Neutralität hat oberste Priorität

Was die politische Ausrichtung Kasachstans betrifft, so wurde eine Botschaft deutlich hervorgehoben: Kasachstan, immerhin das neuntgrößte Land der Erde, sei sehr darauf bedacht, Neutralität in der politischen Landschaft zu bewahren. Vor allen Dingen auch in der gesamten Region Zentralasiens. Dazu gehören auch die Beziehungen zu Russland, zu den weiteren Nachbarstaaten sowie zu China. 

Sholpan Shynassylova, Gesandte der Botschaft der Republik Kasachstan. Foto: Autor

Die kasachisch-russischen Beziehungen sind für Kasachstan von großem Interesse. Russland ist der wichtigste strategische Partner und Verbündete Kasachstans und gleichzeitig einer der wichtigsten Handelspartner. Auch verwies die Gesandte auf die intensiven wirtschaftlichen Beziehungen zu China. Der bilaterale Außenhandel wuchs in den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 auf einen Rekordwert von 24,3 Milliarden US-Dollar. 

Unterschätztes Tourismus-Potenzial?

Der kasachische Handel lebt vom Öl- und Gasgeschäft. Die Regierung strebt eine Diversifizierung der Wirtschaft an und dazu gehört auch eine Stärkung des Tourismussektors. Kasachstan habe in diesem Segment ein enormes Potential, welches in Europa leider zu wenig beachtet werde, so Shynassylova. Das Thema Ökotourismus und Nachhaltigkeit spiele eine immer wichtigere Rolle. Und damit verbunden die Erhaltung von Tierarten oder aber auch die Wiedereingliederung fast ausgestorbener Tierarten, wie beispielsweise dem Kulan, eines in Teilen Asiens lebenden Wildesels.

Autor und Präsident des Open International Dialogue Christian Grosse mit der Gesandten der Botschaft der Republik Kasachstan, Sholpan Shynassylova. Foto: Autor

Denn nach fast 100 Jahren der Abwesenheit ist diese Schlüsselspezies der Steppe nach Zentralkasachstan zurückgekehrt. Durch kontrollierte Wiederansiedlung der asiatischen Wildesel wurde im Altyn Dala Projektgebiet eine stabile Kulan-Population neu etabliert. Die Esel, ebenso wie die Saiga-Gazelle, nehmen einen wichtigen Platz im Gefüge des Ökosystems Steppe hinsichtlich der Biodiversität ein.

Fantastische Landschaften, von der Steppe bis zum Altai-Gebirge, außergewöhnliche Fels- und Bergformationen als auch Skigebiete, sowie im Frühling auch die große weite Steppe mit ihren unendlichen Tulpenlandschaften hätten das Potenzial, Kasachstan zu einem beliebten Reiseziel zu machen. 

Und apropos Tulpe: die Tulpe stammt aus Kasachstan. Im 16. Jahrhundert wurde ein Teil Kasachstans vom Osmanischen Reich erobert. Ogier Ghislain de Busbecq, ein Gesandter von Kaiser Ferdinand I. am Hofe des türkischen Sultans in Konstantinopel, brachte die Gartentulpe im 16. Jahrhundert schließlich nach Prag und Wien. Er nannte die Pflanze »Tulipan«, woraus dann später »Tulpe« wurde. Tulpen in Kasachstan sind im Frühling überall vorzufinden. In den nördlichen Ebenen, in den Steppen und Halbwüsten, in Wüsten, in den Ausläufern, Bergen, auf den Almen oder auf den grünen Lichtungen des Western Tien-Shan.

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Foto: Christian Grosse