Kolumne: Hoffnung und mehr Hoffnung

Ost-Ausschuss-Kolumne über Wirtschaft und Politik

Auch das Jahr 2021 war und ist geprägt von den Einschränkungen durch die Corona-Pandemie. Trotz allem haben sich die Ökonomien rund um den Globus im Schnitt gut entwickelt und es besteht die berechtigte Hoffnung auf ein erfolgreiches Jahr 2022. Ein bisschen Wasser gießt der russische Zoll in den Wein. Wir alle hoffen, dass die guten Perspektiven für eine deutsch-russische Kooperation in den Zukunftsfeldern Energie, Gesundheit, Umwelt und Nachhaltigkeit sich in Projekten materialisieren.

Corona – alles schon Routine?

Das war’s. Geschafft! Das zweite Coronajahr neigt sich dem Ende zu. So surreal es auch immer anmutet, die meisten Menschen, die Unternehmen, die Politik, die Kultur, der Sport – alle haben sich irgendwie mit diesem Zustand arrangiert oder arrangieren müssen. Die täglichen Statistiken zu Infektionsraten, Intensivbetten, Todesfällen – alles Routine. Aber, eigentlich ist daran gar nichts normal. Weltweit sterben jeden Tag zehntausende Menschen. Bis heute sind es mehr als fünf Millionen weltweit, die Dunkelziffer liegt weitaus höher.

Mein Sohn, keine zwei Jahre alt, glaubt, dass Menschen Masken tragen müssen. Er kennt es einfach nicht anders. Im Krieg, so sagt man, ist die Wahrheit der erste Verlierer. In der Pandemie sind es Toleranz, Verständnis, Solidarität. Und die Wahrheit hat, zusammen mit der Vernunft, auch dieses Mal wieder wenig zu lachen. Vom Desinfektionsmittelempfehler Trump, über den per se „schuldigen“ Bill Gates bis zu Wurmkuren wabern dümmliche Gerüchte zum Thema Corona durch den Sumpf der sozialen Medien. Die österreichischen Pferde können einem leidtun! Die Politiker haben bis jetzt auch eher durchschnittlich performt. Das alles führt zu massiver Verunsicherung. Die wachsende Aggressivität der zunehmend erschöpften und genervten Bevölkerung ist überall spürbar. Aber, es ist Weihnachten, das Fest des Friedens und der Liebe, und leise rieselt der Schnee.

Wirtschaftlich mehr Licht als Schatten

Lassen wir also die Pandemie für einen Augenblick im Dunkelfeld der Aufmerksamkeit und widmen uns der Rückschau auf das Jahr. Rein wirtschaftlich betrachtet war’s ziemlich gut. Es wäre noch besser gelaufen, wenn nicht eine Melange aus Lieferengpässen, hohen Energiekosten und Chipmangel als multiple Spielverderber das Ergebnis gedrückt hätte. Trotz allem wächst die Wirtschaft: In Deutschland, in Europa, in der Welt.

Die jüngste Umfrage des Ost-Ausschusses und der AHK zum Geschäftsklima in Russland bestätigt diesen Trend. Über die Hälfte der befragten Unternehmen sieht die wirtschaftliche Lage als gut bis sehr gut an. Respekt! Das ist eine satte Steigerung zum Vorjahr. Auch mit Blick aufs nächste Jahr herrscht Optimismus. Die eigene Position in Russland sehen die meisten Firmen schon traditionell positiv. Auch die Handelszahlen geben berechtigten Anlass zur Hoffnung. Selbst die bis dato in Russland eher ungeliebten Themen Umwelt, Nachhaltigkeit und Klimawandel sind hoch offiziell in die politische Agenda für die nächsten Jahre aufgenommen worden. Gepaart mit einem sehr pragmatischen Ansatz der neuen Bundesregierung zur Zusammenarbeit mit Russland ergibt das sehr viel mehr Licht als Schatten.

Merkantile Strukturen

Und dann das! Monat für Monat verkündet der Föderale Russische Zolldienst mit stolzgeschwellter Brust seinen Beitrag zum Staatsbudget. In den ersten elf Monaten dieses Jahres hat die Behörde „ihre“ Einnahmen um fast 50 Prozent auf 6,3 Billionen Rubel im Vergleich zum Vorjahr gesteigert. Geschröpft werden Unternehmen beim Ex- und beim Import und jedes Jahr aufs Neue, besonders zum Jahresende. Importierte Ware macht davon fast zwei Drittel der Summe, knapp 4 Billionen Rubel, aus. Und genau da liegt das Problem. Würden die Einnahmen parallel zum Export steigen, könnte man wirtschaftliche Dynamik dahinter vermuten. Allerdings sind die Zollerträge regelmäßig höher. Wie ist das möglich? Fragt man die vom Import abhängigen Unternehmen, ergibt sich rasch ein klares Bild. Die Zollbehörden beanstanden Vorgänge, Preise, Deklarationen, Ursprungszeugnisse und so weiter, und erheben zum Teil erhebliche Nachforderungen. In den meisten Fällen wurden die gleichen Dokumente in den Vorjahren, ja sogar im Laufe dieses Jahres, problemlos anerkannt. Man kann es nennen, wie man will: Rückfall in den Merkantilismus, Wegelagerei, in jedem Fall schadet es der russischen Wirtschaft und dem Investitionsstandort Russland, den deutschen Produzenten sowieso.

Widerstreitende Interessen

Die Zollbehörden allerdings können Steigerungen ihrer Effizienz und Mehreinnahmen an das Finanzministerium melden. Man wird unweigerlich an den wunderbaren realsozialistischen Slogan: „Wir haben die Pläne erfüllt und übererfüllt“ erinnert. Historisch gesehen, ist die Sache mit der sozialistischen Planwirtschaft nicht wirklich gut ausgegangen. Heute bekennen sich nur noch die Bolivarische Republik Venezuela, die Republik Kuba, die Volksrepublik Bangladesch, die Demokratische Republik Korea – also Nordkorea, die sozialistische Republik Vietnam und die Volksrepublik China zum Sozialismus. Inwieweit diese Volkswirtschaften dem Marxschen Ideal entsprechen oder doch eher Staatskapitalismus verkörpern, sei dahingestellt. Wieso all diese Länder glauben, eine Republik zu sein, gehört zu den ewigen Rätseln der Geschichte. In einer Republik bestimmt der Souverän, also das Volk die Geschicke des Landes. Fakt ist, dass der Eifer der Zöllner bei deutschen und internationalen Unternehmen, die, weil es in Russland an qualifizierten Lieferanten mangelt, importieren müssen, Schnappatmung auslöst.

Markterschließung und Absatzchancen

Über Jahre hinweg löste eine Charmeoffensive zu den Vorteilen einer lokalisierten Produktion die andere ab, werben alle Föderationssubjekte und die Regierung selbst für den Standort Russland. Und das, obwohl sich die Rahmenbedingungen für ausländische Investoren in den letzten Jahren nicht wirklich verbessert haben. Man müsste einfach einmal die Unternehmen fragen, was sie für ökonomisch sinnvoll halten. In der oben genannten Umfrage geben 84 (!) Prozent der Firmen zu Protokoll, dass ihr Antrieb Markterschließung und Absatzchancen sind. Steuervorteile und Subventionen spielen dagegen eine absolut untergeordnete Rolle, lokale Lieferanten ebenso. Marktchancen macht man allerdings sehr schnell dadurch zunichte, dass Firmen ihr Business-Modell und ihre Kostenrechnung durch unbegründete Forderungen nicht mehr realisieren können. Im besonders betroffenen Segment der Automobilproduzenten und -zulieferer sind die Margen ohnehin gering, der Markt in den letzten Jahren schwach. Zusätzliche Kosten führen schnell zu Unrentabilität. Im Zweifel ist es billiger, die örtliche Produktion zu schließen und Komponenten aus anderen Teilen der Welt zu importieren. Ist das wirklich, was die russische Regierung will?

Ein neuer Investitionszyklus wird kommen

Der russische Präsident hat vor ein paar Tagen einen ehrgeizigen Plan vorgestellt. Ein „neuer Investitionszyklus“ soll gestartet werden. Um 25 Prozent sollen die Bruttoanlageinvestitionen jährlich steigen. Das scheint ein sehr ehrgeiziges Ziel angesichts der Tatsache, dass das Vermögen der Russen augenblicklich wie Schnee in der Sonne schmilzt und der Kapitalabfluss aus Russland sich wieder dynamisiert. Die Inflation frisst noch die letzten Mittel auf. Zinssätze, die sich wieder der Zehn-Prozent-Marke nähern tun ein Übriges. Dabei liegt die Lösung auf der Hand. Selbstverständlich sind ausländische, und allen voran deutsche Investoren am russischen Markt interessiert. Bei ein wenig mehr Flexibilität in der Auslegung der Lokalisierungsvorschriften und stabilen Rahmenbedingungen müsste man die Unternehmen nicht sehr lange überreden, in Russland zu investieren. Allerdings sollte man die Zollbehörden vorher davon in Kenntnis setzen.

Raum für mehr

Die im Koalitionsvertrag beschriebenen Themen Energie, Gesundheit, Wasserstoff, Umwelt, Klima sind geradezu prädestiniert für eine Partnerschaft mit Russland und ein Multi-Milliarden-Euro-Markt. In allen diesen Feldern ist Deutschland Weltspitze und sucht Partner. Und da Weihnachten ist, darf man sich ja wünschen, dass im nächsten Jahr auch das eine oder andere Projekt das Licht der Welt erblickt.

Ich darf mich an dieser Stelle ganz herzlich bei Ihnen für Ihre Treue bedanken und wünsche Ihnen allen eine besinnliche Weihnachtszeit und ein GESUNDES neues Jahr 2022. Vielleicht hat Väterchen Frost ja auch die Aufhebung der gerade eben beschlossenen vierteljährlichen Gesundheitstests für Ausländer im Sack. Wer jemals gezwungen war, in einem der eher unattraktiven Gesundheitszentren für Ausländer ein Gespräch mit dem Psychologen zu führen, wird keinen anderen Wunsch hegen. In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen möglichst wenig Einschränkung der Bewegungsfreiheit und Geduld und Gleichmut im Umgang mit den Wunderlichkeiten des Lebens.

Der „Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft“ veröffentlicht im Zwei-Wochen-Rhythmus eine Kolumne auf Ostexperte.de.

Titelbild
Moskau im Winterlicht. Quelle: Baturina Yuliya/Shutterstock.com