Nord Stream 2 ist wieder ein Top-Thema – in Berlin, Moskau und Düsseldorf (Teil 1)

Was der US – Botschafter, Jürgen Trittin, das Handelsblatt und „Die Welt“ zu dem Projekt meinen

Der Bau der Erdgaspipeline Nord Stream 2 von Russland nach Deutschland hat längst begonnen. Rund ein Drittel der Leitungsrohre durch die Ostsee sind bereits verlegt. Dennoch droht die US-Regierung Unternehmen, die sich an dem Projekt beteiligen, immer wieder mit Sanktionen und heizt so die Diskussion über das Projekt erneut an.


Botschafter Grenell schickte deutschen Unternehmen eine „klare Botschaft“

Am 03. Januar wandte sich der US-Botschafter in Deutschland, Richard Grenell, sogar brieflich direkt an mehrere deutsche Unternehmen, die am Bau der Nord Stream 2 beteiligt sind. Der Spiegel veröffentlichte den Brief im Wortlaut.

Grenell schreibt am Schluss des Briefes, die USA würden weiterhin nachdrücklich darauf hinweisen, dass sich Unternehmen, die im Bereich der Ausfuhr russischer Energie per Pipeline tätig sind, damit an Aktivitäten beteiligen, die mit einem „erheblichen Sanktionsrisiko“ behaftet seien. Er fordert die angeschriebenen Unternehmen auf, die Gefahr zu bedenken, die Nord Stream 2 für die europäische Energiesicherheit darstelle. Sie sollten auch berücksichtigen, welcher Verlust an Ansehen und welche Sanktionsrisiken mit dem Projekt verbunden seien:

„ (…) we continue to stress that firms operating in the Russian energy export pipeline sector are engaging in activities that carry significant sanctions risk.

I therefore request on behalf of my government that your company consider the danger this project represents to European energy security, as well as the reputational costs and sanctions risks associated with it.“

Der Bau von Nord Stream 2, so Grenell, behindere die Anstrengungen, die Sicherheit der europäischen Energieversorgung durch eine Diversifikation der Lieferländer zu verbessern. Die Leitung könne es Russland zudem erleichtern, die Ukraine als Transitland für russisches Gas zu umgehen. Wenn die Ukraine kein Transitland für russisches Gas mehr sei, entfiele ein wichtiger Faktor, der Russland von Aggressionen gegenüber der Ukraine abschrecken könnte. Unternehmen, die den Bau von Nord Stream 2 oder TurkStream unterstützten, würden also dazu beitragen, die Sicherheit der Ukraine und Europas zu untergraben.

Zur Reaktion der Bundesregierung auf den Brief berichtete „Bild am Sonntag“, das Auswärtige Amt habe moniert, Grenells Briefe an die deutsche Wirtschaft entsprächen nicht den diplomatischen Gepflogenheiten. Man wolle über diese Themen mit den Gesprächspartnern in Washington direkt sprechen.

Grenells Sprecher sagte „Bild am Sonntag“, der Brief sei nicht als „Drohung“, sondern als „klare Botschaft der Politik der USA“ aufzufassen.


Grenells Interview mit der Rheinischen Post

In einem Interview mit der Rheinischen Post erläuterte Botschafter Grenell seine Briefe an die Unternehmen. Er sagte unter anderem:

„Der Inhalt dieser Briefe unterscheidet sich nicht von Aussagen, die wir auch öffentlich getätigt haben: Firmen die im Bereich des russischen Energie-Exportsektors arbeiten, riskieren eventuelle Sanktionen. (…)

Das Problem mit Nord Stream 2 ist, dass es sich nicht um ein Wirtschaftsprojekt handelt. Es wurde nur aus einem Grund entwickelt: Um für den Transport von russischem Gas auf dem Weg nach Europa eine alternative Route zu schaffen, die nicht durch die Ukraine führt. (…)

Putin hat eindeutig gesagt, dass er den Transit von russischem Gas durch die Ukraine beenden will. Die beiden Projekte, die ihm dies ermöglichen werden, sind Nord Stream 2 und Turk Stream 2. Gemeinsam machen diese beiden Projekte den Transit von russischem Gas durch die Ukraine praktisch überflüssig. (…)

Die Gefahr besteht darin, dass Russland wieder entscheiden könnte, Energie als Waffe gegen Europa einzusetzen oder anderes destruktives Verhalten an den Tag zu legen. Es ist zwar unwahrscheinlich, dass Deutschland Ziel derartiger Maßnahmen wird, aber die Nachbarn Deutschlands im Osten könnte dies betreffen. Hier steht die europäische Einheit auf dem Spiel. (…)

Viele europäische Regierungen sind gegen das Projekt. Tatsächlich ist es so, dass das Europäische Parlament am 12. Dezember Nord Stream 2 mit großer Mehrheit verurteilt hat. Deutschland sollte die Bedenken anderer EU-Mitgliedstaaten und seiner Nachbarn hinsichtlich negativer Auswirkungen des Pipelineprojektes auf sie berücksichtigen.“

Kontroverse Meinungen in führenden Zeitungen

Die Sanktionsdrohungen der USA sorgen für anhaltende Diskussionen über den Bau der Pipeline. Führende Zeitungen kommentierten in der letzten Woche nach der Veröffentlichung des Botschafter-Briefs das Projekt sehr kontrovers.


Handelsblatt: Die USA spielen mit “gezinkten Karten”

Klaus Stratmann meinte im Handelsblatt, die USA spielten im Streit um Nord Stream 2 mit „gezinkten Karten“, weil es ihnen in Wirklichkeit um den Verkauf ihres Erdgases in Europa gehe. Das von den USA (auch von Botschafter Grenell) immer wieder ins Feld geführte Argument, Nord Stream 2 mache die Ukraine erpressbar, sei nicht sehr stichhaltig:

„Erstens: Die Ukraine bezieht seit Jahren kein Erdgas mehr direkt aus russischen Quellen. Russisches Erdgas kommt nur noch über den Umweg über andere Länder in die Ukraine.

Zweitens: Nord Stream 2 kann rein von der Kapazität her den Transit russischen Erdgases durch die Ukraine nicht ersetzen. Die russische Seite sieht selbst die Notwendigkeit, auch in Zukunft Gas über die Ukraine in die EU zu leiten.“

Stratmanns Fazit: „Nord Stream 2 bringt zusätzliche Liquidität in den Markt und macht die Gasversorgung robuster.“


Die Welt: Nord Stream 2 ist „zutiefst antieuropäisch“

Richard Herzinger meinte demgegenüber in „Die Welt“ das Projekt sei „zutiefst antieuropäisch“. Die Bundesregierung weigere sich beharrlich, die Befürchtungen zahlreicher Europäer ernst zu nehmen, dass „Putins Regime die zusätzlichen russischen Gaslieferungen als politisches Mittel benutzen könnte, um europäische Staaten auseinanderzudividieren und zu erpressen.“ Deutschland begehe mit seinem starren Festhalten an Nord Stream 2 einen schweren politischen Fehler, der gravierende Konsequenzen nicht nur für die deutsch-amerikanischen Beziehungen, sondern auch für den Zusammenhalt Europas haben könnte.

Den amerikanischen Widerstand gegen die russische Energiedominanz in Europa auf das Motiv zu reduzieren, die USA wollten mit Russland einen lästigen Konkurrenten aus dem Feld schlagen, um den Europäern teureres amerikanisches Flüssiggas aufzudrängen, ist „eine demagogische Verkürzung des Problems“, schreibt Herzinger.

„Die Welt“ bietet ihren Lesern die Möglichkeit, die Meinung Herzingers zu bewerten. Nur 72 von 303 abgegebenen Stimmen teilen die Meinung Herzingers, rund 76 Prozent sind also anderer Meinung (Stand 20. Januar).


Jürgen Trittin: „Pipelinegas führt zu einer gegenseitigen Abhängigkeit“; „Grenell verhält sich wie ein Haustürvertreter für Frackinggas“

Anderer Meinung als Richard Herzinger ist offensichtlich auch Jürgen Trittin, Bundestags-Abgeordneter der Grünen und Ex-Bundesumweltminister. Er sagte Ende Dezember als Botschafter Grenell schon einmal Unternehmen mit Sanktionen drohte und in Interviews forderte, die Bundesregierung müsse die Unterstützung für Nord Stream 2 zügig einstellen, in einem Spiegel-Gespräch mit Benjamin Bidder:

„Das Grundargument, man würde sich von den Russen abhängig machen, ist falsch. Pipelinegas führt zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, weil die Bindung zwischen Produzent und Konsument groß ist. Der Produzent ist sogar abhängiger, wenn der Konsument auch andere Quellen hat. Während Europa recht einfach auf Flüssiggas LNG aus den USA oder Katar wechseln könnte, kann Russland eben nicht so einfach den Abnehmer wechseln. (…)

Grenell verhält sich wie ein Haustürvertreter für amerikanisches Frackinggas.

Anders ist das bei den Osteuropäern. Es gilt die europäische Solidarität: Kein osteuropäisches Land darf von Russland erpressbar sein. Das ist gewährleistet. Europa hat heute ein gemeinsames Gastransportnetz und die Infrastruktur für den sogenannten Reverseflow, also eine Schubumkehr in den Leitungen nach Osten. Und mit der EUGAL-Pipeline in Ostdeutschland käme ein weiterer Baustein für dieses Sicherungssystem hinzu.“

Zum zweiten Teil des Artikels geht es hier.


Quellen und Lesetipps

Nord Stream 2-Diskussion: Maas-Besuch in Russland – Brief von Botschafter Grenell

OAOEV-Neujahrsempfang am 10.01.2019

OAOEV-Interviews

OAOEV-Positionspapier zur europäisch-russischen Wirtschaftskooperation, 11.01.2019

Russland-Konferenz der IHK Düsseldorf:

Artikel von Klaus Dormann beim Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub Düsseldorf:

Ostexperte.de-Artikel von Klaus Dormann:

Titelbild
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