Russlands Haushaltspolitik auf hartem Sparkurs

Russlands Haushaltspolitik auf hartem Sparkurs: Defizit soll schon 2019 wieder unter 1 Prozent des BIP sinken

Das russische Parlament berät seit Oktober die Haushaltsplanung der Regierung bis zum Jahr 2020. Am 27. Oktober fand die erste Lesung statt, am 17. November ist die zweite Lesung geplant.

Die russische Regierung hat sich ehrgeizige finanzpolitische Ziele gesetzt. Das Defizit im föderalen Haushalt soll schon in diesem Jahr auf 2,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zurückgehen. Von 2014 bis 2016 war es von 0,4 auf 3,4 Prozent des BIP gestiegen, weil sich die Ölpreise reichlich halbierten, Russland in eine Rezession geriet und das Bruttoinlandsprodukt in zwei Jahren um rund 3 Prozent sank. 2018 soll das Defizit weiter auf 1,3 Prozent des BIP gedrückt werden und bereits ab 2019 wieder unter einem Prozent liegen. Mit 0,8 Prozent des BIP wäre es dann fast wieder so niedrig wie 2014. Damals lag der Urals-Ölpreis allerdings noch bei fast 100 Dollar/Barrel.

Planziel: Fast „schwarze Null“ jetzt ohne „Ölpreis-Doping“ erreichen

Dass der Urals-Ölpreis, der sich aktuell der 60-Dollar-Marke nähert, im Planungszeitraum wieder Rekordhöhen erreicht und die Haushaltseinnahmen entsprechend reichlich sprudeln läßt, unterstellt die Regierung jedoch nicht. Sie geht im Gegenteil von einem Rückgang der Ölpreise aus. Sie schätzt, dass der Urals-Ölpreis in diesem Jahr voraussichtlich fast 50 Dollar/Barrel erreichen wird, 2018 aber auf 43,8 Dollar/Barrel sinkt und 2019 und 2020 nur rund 42 Dollar/Barrel beträgt.

Mit realen Ausgabeneinsparungen soll das Defizit gedrückt werden

Um der „Schwarzen Null“ bei anhaltend niedrigen Ölpreisen rasch nahe zu rücken, bleibt die Regierung bei einem harten Sparkurs. Sie will die Ausgaben bis 2020 nominal kaum auszuweiten. 2020 sollen sie nur 2,6 Prozent höher sein als 2017. In den beiden nächsten Jahren soll es sogar leichte nominale Einsparungen geben (2018: – 1,2 Prozent; 2019: – 0,9 Prozent). Real würde dies bei einer erwarteten jährlichen Inflationsrate von rund 4 Prozent bis 2020 weitere spürbare Einschränkungen der Ausgaben bedeuten.

Die föderalen Ausgaben sollen weniger wachsen als der Wert der gesamtwirtschaftlichen Produktion, ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) sinken. Während die Ausgaben im laufenden Jahr voraussichtlich 18,1 Prozent des BIP entsprechen werden, sollen es 2019 nur noch 15,9 Prozent sein. Die „Ausgabenquote“ soll in den nächsten 2 Jahren also um 2,2 Prozentpunkte gesenkt werden.

Der Anteil der Einnahmen am BIP soll zwar auch verringert werden, aber deutlich schwächer um 0,9 Prozentpunkte auf 15,1 Prozent des BIP im Jahr 2019.

Mit diesem Sparkurs könnte das Defizit im Föderationshaushalt von 2,2 Prozent im Jahr 2017 auf 0,8 Prozent im Jahr 2019 gedrückt werden.

Föderationshaushalt 2014 bis 2020 (2017 bis 2020 Planung)

Einnahmen, Ausgaben und Defizit in Prozent vom Bruttoinlandsprodukt

Föderationshaushalt 2014 bis 2020 (2017 bis 2020 Planung)

Quellen: Ria Novosti: The State Duma adopted in first reading the draft budget for 2018-2020; 27.10.2017; Economic Expert Group: Review, 19.10.2017; Federal Budget Execution (engl.); Russisches Finanzministerium: The main directions of the budget, tax and customs-tariff policy for 2018 and the planning period 2019 -2020; 03.10.2017; Internationaler Währungsfonds: Russian Federation: Article IV Consultation; 10.07.2017

Rückblick: Ausfall von Öl- und Gaseinnahmen trieb Defizit über drei Prozent

Die Haushaltsplanung zeigt: Auch wenn dafür bei anhaltend niedrigen Ölpreisen weitere reale Einsparungen erforderlich sind – die russische Regierung will, dass das Defizit im Föderalhaushalt möglichst schnell wieder ähnlich niedrig ist wie vor dem Einbruch der Ölpreise im Jahr 2014.

Wie wichtig die Ölpreisentwicklung für die Haushaltsentwicklung ist zeigt ein Rückblick. 2014 erreichte der Urals-Ölpreis im Jahresdurchschnitt noch rund 98 Dollar/Barrel. Der Föderationshaushalt schloss 2014 mit einem Defizit von nur 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den nächsten zwei Jahren sanken die Ölpreise jedoch um gut die Hälfte (rund – 57 Prozent) auf nur noch rund 42 Dollar.

Die föderalen Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor schrumpften mit dem Ölpreiseinbruch von 2014 bis 2016 um rund 35 Prozent. Während die Öl- und Gaseinnahmen 2014 noch gut die Hälfte der gesamten Einnahmen im Haushalt stellten (51,3 Prozent), waren es 2016 nur noch 36,0 Prozent. Präsident Putin sprach diesen Rückgang in seiner Rede vor Investoren beim Forum „Russia Calling“ vor rund einer Woche an. Er hob hervor, dass der Anteil der Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor an den gesamten Einnahmen bis 2020 weiter auf rund 33 Prozent sinken soll.

Einnahmen des Föderalen Haushalts in Milliarden Rubel;
Struktur der Einnahmen in Prozent (Anteile der Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor: grüne Säulen; Anteile der übrigen Einnahmen: blaue Säulen)

Einnahmen des Föderalen Haushalts in Milliarden Rubel; Struktur der Einnahmen in Prozent (Anteile der Einnahmen aus dem Öl- und Gassektor- grüne Säulen; Anteile der übrigen Einnahmen- blaue Säulen)
Quelle: Center for Macroeconomic Analysis and Short Term Forecasting: About the federal budget for 2018 and for the planning period of 2019 and 2020; 18.10.2017

Wie haben sich die öffentlichen Ausgaben real entwickelt?

Das private Forschungsinstitut „Center for Macroeconomic Analysis and Short Term Forecasting (CMASF)“ hat in einer für die Duma verfassten Stellungnahme zur Haushaltsplanung Grafiken zur realen Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben im föderalen Haushalt veröffentlicht. Aus der folgenden Abbildung ergibt sich: Von 2012 bis 2016 wurden die Ausgaben (grüne Linie) bereits real um rund 11 Prozent gesenkt. Bis 2019 werden sie – so das CMASF – um weitere rund 11 Prozent eingeschränkt werden (wenn die Haushaltsplanung realisiert wird).

Reale Entwicklung der Einnahmen (rote Linie) und der Ausgaben (grüne Linie) im Föderalen Haushalt (2012 = 100); Defizit in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (blaue Säulen)

Reale Entwicklung der Einnahmen (rote Linie) und der Ausgaben (grüne Linie) im Föderalen Haushalt (2012 = 100); Defizit in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (blaue Säulen)
Quelle: Center for Macroeconomic Analysis and Short Term Forecasting: About the federal budget for 2018 and for the planning period of 2019 and 2020; 18.10.2017

Wo wird besonders stark gespart?

Überdurchschnittlich starke reale Rückgänge errechnet das CMASF für die Ausgaben im Gesundheits- und Erziehungswesen und für den Bereich „Innere Sicherheit“. Ein umfassenderes Bild der langfristigen realen Entwicklung der öffentlichen Ausgaben bietet aber eine von BOFIT, dem Forschungsinstitut der finnischen Zentralbank, veröffentliche Abbildung. Sie zeigt die Entwicklung nach Ausgabenbereichen in der Gesamtheit der öffentlichen Haushalte, nicht nur im föderalen Haushalt, in den letzten 10 Jahren.

Reale Ausgabenentwicklung im Gesamthaushalt 2008–17
Quelle: BOFIT (Bank of Finland): Recovery of Russian government budget revenues has brought rebalance; 25.08.2017

Für die Zeit nach dem Ende des Ölpreishochs im Jahr 2014 weist die BOFIT-Abbildung reale Rückgänge der Ausgaben in den Bereichen Wohnungsbau, Innere Sicherheit, Bildungswesen und Wirtschaft aus.

Siluanow: Abhängigkeit von Energieeinnahmen wird signifikant verringert

Finanzminister Siluanow fasste das Ziel seiner Haushaltspolitik in seiner Rede beim Investitionsforum „Russia Calling“ zusammen. Es solle gewährleistet werden, dass die Haushaltsentwicklung weniger abhängig von den Ölpreisen und anderen externen Faktoren ist. Der Haushaltsplan für 2018 bis 2020 zeige, dass die Abhängigkeit vom Energiebereich signifikant verringert werden soll.

Russland komme wieder mit dieser Politik wieder in eine Lage wie in der Zeit vor dem Ausbruch der Weltfinanzkrise im Jahr 2008. Damals habe das „non-oil deficit“ (Haushaltsdefizit ohne Berücksichtigung der Öl- und Gaseinnahmen, das 2014 auf fast 10 Prozent des BIP gestiegen ist) nur 5 bis 6 Prozent des BIP betragen. Diese Konstellation sei „ziemlich stabil“ gewesen sei. Für 2019 und 2020 seien jetzt ähnlich niedrige Defizite geplant.

Viel Lob von IWF, Weltbank und Rating-Agenturen

Realisieren sich die Pläne der russischen Regierung, wird das Haushaltsdefizit 2019 also weitgehend verschwunden sein. Gleichzeitig soll der Anteil der föderalen Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt mit 15,9 Prozent rund 15 Prozent niedriger sein als 2014. Das gefällt allen, die wenig von Haushaltsdefiziten und viel von „weniger Staat“ halten. So gibt es reichlich Lob für die russische Regierung, zum Beispiel im Bericht des Internationalen Währungsfonds, der nach Konsultationen in Moskau im Juli veröffentlicht wurde, von der Weltbank und von Rating-Agenturen.

Für den IWF ist die russische Haushaltspolitik mit ihrer Kombination einer „begrenzten fiskalischen Stimulierung“ und einer „restriktiven Einkommenspolitik“ ein Teil der „effektiven“ Antwort der Regierung auf die großen externen Schocks. Das eingeschlagene Tempo der fiskalischen Konsolidierung nennt der Fonds „angemessen“. Allerdings werde die Haushaltspolitik der inländischen Nachfrage voraussichtlich wenig Impulse geben. Auch in der Einkommenspolitik werde sie ihren restriktiven Kurs wohl beibehalten. So werde die Erholung des privaten Verbrauchs gedämpft bleiben. Empfehlung des IWF: Bei der Kürzung von Ausgaben sollte die Regierung länger wirksame und besser gezielte Maßnahmen ins Auge fassen, damit gewährleistet ist, dass die öffentlichen Ausgaben das Wachstum stützen.

Ganz ähnlich äußerte sich Ende Oktober Kristin Lindow, Russland-Analystin der Rating-Agentur Moody’s in einem Reuters-Interview. Russlands Finanzpolitik habe – gemeinsam mit der Geld- und Wechselkurspolitik – dazu beigetragen, Russlands Abhängigkeit von hohen Ölpreisen zu verringern. So habe das Finanzministerium in diesem Jahr begonnen, Dollars am Devisenmarkt aufzukaufen, wenn die Preise 40 Dollar/Barrel übersteigen. Allerdings ließ Lindow erkennen, dass Moody’s wohl nicht vor den Präsidentenwahlen im nächsten Frühjahr eine Überprüfung des Ratings in Erwägung ziehe. Zuletzt hatte die Agentur die Einstufung Russlands (Ba1) im Februar 2017 bestätigt und dabei den Ausblick für eine Verbesserung des Ratings von „negativ“ auf „stabil“ verbessert.

Die Wachstumsprognosen der Regierung von jährlich gut 2 Prozent bis 2020 hält die Moody’s- Analystin für zu hoch. Ohne weitere Reformen, wie zum Beispiel die Verringerung des Anteils von Staatsunternemen an der Wirtschaft, werde die russische Wirtschaft in den nächsten Jahren nur um rund 1,5 Prozent jährlich wachsen können.

Die Weltbank nennt in ihrem Oktober-Bericht zur russischen Wirtschaft hingegen nicht nur die Ölpreisannahmen der Haushaltsplanung „prudent“ (klug, vorsichtig), sondern auch die Wachstumsprognosen der Regierung (+ 2018: 2,1 Prozent; 2019: +2,2 Prozent; 2020: + 2,3 Prozent). Mit ihren eigenen Wachstumsprognosen bleibt die Weltbank aber um fast einen halben Prozentpunkt unter den Erwartungen der Regierung, obwohl sie ihre Prognosen Anfang Oktober im „Country Snapshot Russia“ deutlich anhob (2017: + 1,7 Prozent; 2018: + 1,7 Prozent; 2019: +1,8 Prozent).

Aber auch viele kritische Fragen zum Haushaltsplan

Vom russischen Rechnungshof, der russischen Industrie- und Handelskammer und wissenschaftlichen Instituten (Gaidar Institut, Higher School of Economics, Moscow State University) gab es aber auch viele kritische Kommentare zur Haushaltsplanung. Anton Feinberg und Ivan Tkachev haben sie gesammelt und verweisen in einem reich bebilderten Artikel in rbc.ru auf Meinungen zu folgenden Fragen:

  • Was ist wichtiger – Stabilität oder Wachstum?
  • Werden die geplanten Kürzungen in den Bereichen „Innere Sicherheit“ und Verteidigung verwirklicht?
  • Wird auch beim Infrastrukturausbau wie vorgesehen gekürzt?
  • Was bedeutet die Haushaltsplanung für die Pensionszahlungen?
  • Werden die Steuern für Unternehmen erhöht?

Viel Stoff für die weiteren Haushaltsberatungen in der Duma (und für Ostexperte-Berichte). Hier dazu nur ein Hinweis auf eine Analyse des Gaidar-Instituts.

Seine Experten halten die Ölpreisannahmen der Haushaltsplanung für „extrem“ niedrig, gehen selbst von Preisen von 46 bis 48 Dollar im Prognosezeitraum bis 2020 aus. Sie kommen zu folgender Schlussfolgerung:

Das wahrscheinlichste Szenario ist nicht, dass die Ausgaben wie im Haushaltsplan vorgesehen nominal auf dem Niveau des Jahres 2017 gehalten werden, sondern dass die Budget-Kennzahlen erheblich aktualisiert werden dürften, um Zielen zu entsprechen, die von der Regierung im Kontext mit dem „politischen Zyklus“ (den Präsidentenwahlen) gesetzt werden dürften. Das sei auch vor sechs Jahren bei den Dekreten von Präsident Putin im Mai 2012 der Fall gewesen. Die in der Haushaltplanung unterschätzte Entwicklung der Einnahmen und Ausgaben lässt Raum für neue Ausgabenverpflichtungen, meinen die Gaidar-Experten.

Quellen und Lesetipps zu Russlands Finanz- und Haushaltspolitik

Presseberichte und -kommentare:

Russische Regierung zur Haushaltspolitik:

Reden von Präsident Putin und Finanzminister Siluanow beim Forum „Russia Calling“:

Interviews mit Wirtschaftsminister Oreschkin und Finanzminister Siluanow:

Forschungsinstitute, Weltbank, IWF und Analysten zur Haushaltspolitik:

Fachzeitschrift mit mehreren Beiträgen zum russischen Staatshaushalt (kostenpflichtig):

Titelbild
[toggle title=”Fotoquelle” open=”yes”]Titelbild: Mos.ru, Moscow-City2015, Size changed to 1040×585 px., CC BY 4.0