Russland: Konjunktur läuft besser als erwartet

Konjunktur läuft besser als erwartet: Mehr Wachstum bei weniger Inflation

Produktion und Preise entwickeln sich in Russland 2017 deutlich günstiger als viele Experten noch zur Jahresmitte erwarteten. Die Prognose von Wirtschaftsminister Oreschkin, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 2 Prozent wachsen und so rund zwei Drittel des Produktionsrückgangs in den Rezessionsjahren 2015 und 2016 aufholen werde, wurde damals oft für viel zu optimistisch gehalten. Auch die russische Zentralbank war vor drei Monaten mit ihrer Prognose von 1,3 bis 1,8 Prozent noch spürbar skeptischer als der Minister.

Wachstumserwartungen für 2017 häufig gestiegen

Mitte September hob die Zentralbank ihre Wachstumsprognose für 2017 aber in ihrem „Monetary Policy Report“ um 0,4 Prozentpunkte auf 1,7 bis 2,2 Prozent an. Sie entspricht damit jetzt weitgehend der Einschätzung des Wirtschaftsministeriums, das seine Prognose Ende August von 2,0 auf 2,1 Prozent anhob.

Konjunkturexperten in Banken und Forschungsinstituten setzten im Verlauf der letzten drei Monate ihre Prognosen im Durchschnitt ähnlich stark nach oben wie die Zentralbank. Laut „Factosphere.com“ rechnen die Analysten aber dennoch weiterhin mit einem rund 0,5 Prozentpunkte schwächeren Wachstum als das Wirtschaftsministerium und die Zentralbank. Der Mittelwert der von Factosphere.com erfassten Prognosen für 2017 betrug am 18. September 1,5 Prozent.

Die OECD hob ihre Prognose für das Wachstum der russischen Wirtschaft im Jahr 2017 am 20. September sogar von 1,4 Prozent auf 2,0 Prozent an. Sie teilt auch die Einschätzung des russischen Wirtschaftsministers für 2018. Wie er erwartet die OECD im nächsten Jahr einen weiteren Produktionsanstieg um 2,1 Prozent.

Prognosen gesamtwirtschaftliche Produktion in Russland im September 2017

Schätzung des Bruttoinlandsprodukts, real gegenüber dem Vorjahr, angegeben in Prozent (Stand: 20. September 2017).
InstitutDatum201720182019
OECD, Paris2017/09/202,02,1
Factosphere.com-Umfrage2017/09/181,51,5
Berenberg Bank, Hamburg2017/09/151,41,91,9
Commerzbank, Frankfurt2017/09/151,32,0
Russische Zentralbank2017/09/151,7 bis 2,2
Urals 50 $/b
1,0 bis 1,5
Urals 44 $/b
1,5 bis 2,0
Urals 42 $/b
Standard & Poor‘s2017/09/151,8
Deka Bank, Frankfurt2017/09/131,81,5
OPEC2017/09/121,51,4
Helaba, Frankfurt2017/09/071,61,6
Economist-Poll2017/09/071,71,9
DIW Berlin2017/09/070,91,51,7
IWH, Halle2017/09/072,12,01,8
Nordea, Stockholm2017/09/061,61,41,5
Institut für Weltwirtschaft, Kiel2017/09/061,21,51,5
RWI, Essen2017/09/051,51,51,8
FocusEconomics-Poll2017/09/051,41,7
Reuters-Poll2017/09/011,71,8
Wirtschaftsministerium,
Basis-Szenario
2017/08/312,1
Urals 49 $/b
2,1
Urals 43,8 $/b
2,2
Urals 41,6 $/b
Euler Hermes2017/08/301,51,9
SEB, Stockholm2017/08/291,92,01,9
Eurasian Development Bank (EDB)2017/08/241,92,01,9
Economist Intelligence Unit, London2017/08/161,61,51,6
Wells Fargo2017/08/111,42,0
IWF, World Economic Outlook Update2017/07/241,41,41,2
http://www.factosphere.com/
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Rohstoffsektor treibt Wachstum

Wichtigster Grund für die Aufwärtsrevisionen der Wachstumsprognosen war das von vielen nicht erwartete starke Wachstum im zweiten Quartal, in dem das reale Bruttoinlandsprodukt 2,5 Prozent höher war als vor einem Jahr. Im ersten Quartal war die Produktion nur um 0,5 Prozent gestiegen.

Im ersten Halbjahr 2017 erreichte die russische Wirtschaft damit ein Wachstum um 1,5 Prozent gegenüber dem ersten Halbjahr 2016. Mit Abstand am kräftigsten stieg die Produktion im Bereich „Bergbau, Rohstoffproduktion“ (+ 4,1 Prozent) und im Transportgewerbe (+ 3,5 Prozent). Das „Verarbeitende Gewerbe“ erreichte einen Anstieg um 1,1 Prozent. Etwas niedriger als ein Jahr zuvor war die Produktion im ersten Halbjahr hingegen unter anderem in der Landwirtschaft (- 0,3 Prozent) und der Bauwirtschaft (- 0,3 Prozent).

Dass der Rohstoffbereich für die russische Wirtschaft im bisherigen Jahresverlauf der wichtigste Wachstumstreiber ist, bestätigt die Entwicklung der Industrieproduktion. Insgesamt war sie in den ersten acht Monaten 1,9 Prozent höher als im Vorjahr. Dabei erreichte der Bereich „Bergbau/Rohstoffproduktion“ einen Anstieg um 3,2 Prozent (Kohle: + 7,0 Prozent; Erdöl: + 0,8 Prozent; Erdgas: + 14,1 Prozent), das Verarbeitende Gewerbe wuchs um 0,9 Prozent.

Verbrauchskonjunktur noch schwach, Infrastrukturprojekte geben Impulse

Demgegenüber ist die konjunkturelle Erholung bei den Verbrauchern bisher kaum angekommen. Während laut Rosstat die real verfügbaren Haushaltseinkommen in den ersten acht Monaten noch 1,2 Prozent niedriger waren als im Vorjahr nahm der Einzelhandelsumsatz preisbereinigt nur um 0,2 Prozent zu.

Die russische Zentralbank verweist zur Begründung der Anhebung ihrer Wachstumsprognose für 2017 um 0,4 Prozentpunkte auf 1,7 bis 2,2 Prozent in ihrem Mitte September veröffentlichten „Monetary Policy Report“ insbesondere auf die Investitionsentwicklung: Das Erholungstempo der Investitionen übertraf im zweiten Quartal die Erwartungen deutlich. Große Infrastrukturprojekte unterstützten den Anstieg der Investitionsaktivtäten. Angesichts der Belebung der Inlandsnachfrage stockten die Unternehmen auch ihre Lagerbestände auf.

Prognosen deutscher Konjunkturbeobachter sehr unterschiedlich

Auch einige deutsche Konjunkturforschungsinstitute und Banken hoben ihre Prognosen für das diesjährige Wachstum der russischen Wirtschaft im September kräftig an (Deka Bank von 1,2 auf 1,8 Prozent; IWH Halle von 1,5 auf 2,1 Prozent). Andere blieben bei ihren relativ niedrigen Wachstumserwartungen (DIW Berlin: 0,9 Prozent; IfW Kiel: 1,2 Prozent). Deswegen reicht die Spanne der Prognosen deutscher Konjunkturexperten aktuell von 0,9 Prozent (DIW) bis 2,1 Prozent (IWH).

In ihrer „Gemeinschaftsdiagnose“, die am 28. September veröffentlicht wird, werden sich die Konjunkturforschungsinstitute vermutlich auf rund 1,5 Prozent einigen. Das würde in etwa auch den durchschnittlichen Wachstumserwartungen entsprechen, die Anfang September bei Analysten-Umfragen ermittelt wurden. Der IWF wird am 04. Oktober seinen neuen „World Economic Outlook“ vorstellen. Der Fonds erwartete schon im Frühjahr für dieses Jahr ein Wachstum von 1,4 Prozent in Russland.

Institut für Weltwirtschaft: Russlands Wirtschaftspolitik bremst Wachstum

Das Kieler Institut für Weltwirtschaft, das in diesem Jahr mit einem Wachstum von 1,2 Prozent rechnet, konstatiert zur aktuellen Konjunkturbelebung in Russland der Einkaufsmanagerindex signalisiere eine anhaltende Expansion. Das Verbrauchervertrauen befinde sich auf dem höchsten Niveau seit drei Jahren.

Der private Konsum werde dadurch gestützt, dass die Inflation, die zu Beginn des vergangenen Jahres noch bei 15 Prozent gelegen hatte, inzwischen unter die Zielmarke der Notenbank von 4 Prozent gesunken sei. Zur Stabilisierung der Preise beigetragen habe die Aufwertung des Rubel, der gegenüber dem US-Dollar seit Februar 2016, als er ein historisches Tief erreicht hatte, um rund 30 Prozent aufgewertet habe.

Auch eine Lockerung der Geldpolitik wird nach Einschätzung der Kieler Ökonomen allerdings nicht dazu führen, dass sich die russische Wirtschaft „dynamisch“ erholt. Nach wie vor sei die Politik der Regierung nicht geeignet, das Vertrauen der Investoren zu gewinnen. Auch angesichts einer voraussichtlich weiterhin restriktiven Finanzpolitik werde das russische Bruttoinlandsprodukt deswegen 2018 und 2019 mit 1,5 Prozent nur wenig schneller steigen als 2017.

Für das nächste Jahr trauen auch die Konjunkturforscher beim Berliner DIW und beim Essener RWI der russischen Wirtschaft nur einen Anstieg der Produktion um 1,5 Prozent zu. Die DekaBank, die ihre Prognose für 2017 auf 1,8 Prozent (von 1,2 Prozent) nach oben revidierte, geht davon aus, dass die Konjunkturdynamik in der zweiten Jahreshälfte 2017 wieder etwas zurückgeht.

2018 rechnet auch sie nur noch mit einem Wachstum um 1,5 Prozent. Spürbar optimistischer bleibt von den deutschen Konjunkturforschungsinstituten nur das Institut für Wirtschaftsforschung Halle. Es rechnet auch 2018 mit einem Anstieg der Produktion der russischen Wirtschaft um rund 2 Prozent.

2018 sieht die Zentralbank skeptischer als das Wirtschaftsministerium

Damit sind die Forscher in Halle ähnlich optimistisch wie das russische Wirtschaftsministerium. Es geht in seinem Ende August veröffentlichten Basisszenario davon aus, dass die russische Wirtschaft auch 2018 um 2,1 Prozent wächst.

Basis-Szenario des Wirtschaftsministeriums 2016 bis 2020

 20162017201820192020
Ölpreis Urals, $/barrel41,749,043,841,642,4
Rubel/Dollar (Jahresdurchschnitt)66,959,764,766,968,0
BIP, real-0,22,12,12,22,3
Industrieproduktion1,32,02,52,52,5
Investitionen-0,94,14,75,65,7
Arbeitslosenquote in % (Jahresende)5,65,25,04,94,7
Preisanstieg (Dez./Dez.)5,43,74,04,04,0
Preisanstieg (Jahresdurchschnitt)7,14,04,04,04,0
Real verfügbare Einkommen-5,11,22,11,11,2
Reallöhne0,83,13,91,31,5
Einzelhandelsumsatz, real-4,61,22,92,62,5
Wirtschaftsministerium: Maxim Oreshkin: The forecast of GDP growth in the Russian Federation in 2017 in the base scenario was raised to 2.1%, in 2018-20. - up to 2,1-2,3%; Prognose sozio-ökonomische Entwicklung bis 2020; 31.08.2017

Der Anstieg der Investitionen soll sich 2018 auf 4,7 Prozent beschleunigen. Das Wachstum der real verfügbaren Einkommen, das im laufenden Jahr nur gut 1 Prozent erreichen dürfte, soll sich 2018 fast verdoppeln. Damit könnten nach Meinung des Ministeriums die Voraussetzungen gegeben sein, um den Einzelhandelsumsatz im nächsten Jahr real um fast 3 Prozent steigen zu lassen. Die Konjunkturerholung käme im Jahr der Präsidentenwahl auch beim russischen Verbraucher an.

Spürbar skeptischer als das Wirtschaftsministerium sieht die russische Zentralbank im „Monetary Policy Report“ die Perspektiven für 2018. Sie setzt in ihrem neuen Basisszenario weiterhin eine Wachstumsspanne von nur 1 Prozent bis 1,5 Prozent an (wobei sie wie das Wirtschaftsministerium von einem Rückgang des Ölpreises auf rund 44 Dollar je Barrel ausgeht). 2019 hält sie 1,5 bis 2 Prozent Wachstum für erreichbar. Ein stärkerer Produktionsanstieg, das betont die Zentralbank in ihrem Kommentar zur jüngsten Leitzinssenkung, ist nur bei „strukturellen“ wirtschaftspolitischen Reformen möglich.

Analysten erwarten aktuell für 2018 meist ein Wachstum zwischen 1,5 und 2 Prozent, nehmen also eine mittlere Position zwischen den Erwartungen von Zentralbank und Wirtschaftsministerium ein. Laut Economist-Umfrage wird das gesamtwirtschaftliche Wachstum von 1,7 Prozent auf 1,9 Prozent zulegen und damit nur wenig schwächer sein als das Wirtschaftsministerium erwartet. Laut FocusEconomics-Umfrage dürfte das Wachstum 2018 von 1,4 Prozent auf 1,7 Prozent steigen.

Anhaltend gedrückte Inflation: Zentralbank erreicht Inflationsziel

Nur geringe Unterschiede gibt es bei den Prognosen zur Inflationsentwicklung. Im August war der Anstieg der Verbraucherpreise auf 3,3 Prozent zurückgegangen. Die russische Zentralbank senkte in der letzten Woche ihren Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf 8,5 Prozent. Für Ende 2017 rechnen viele Beobachter damit, dass die Zentralbank ihr Inflationsziel erreicht und die Preissteigerungsrate unter 4 Prozent liegt.

Die Zentralbank geht davon aus, dass der Preisanstieg im Dezember zwischen 3,5 und 3,8 Prozent betragen wird und die Inflationsrate im Jahresdurchschnitt 2017 nur noch 4,0 Prozent erreicht. Das erwartet auch das Wirtschaftsministerium, das im Dezember mit einer Inflationsrate von 3,7 Prozent rechnet.

Quellen und Lesetipps zur Konjunktur in Russland und Deutschland

Konjunkturdaten und -prognosen; Preisentwicklung und Geldpolitik

Deutsche Experten zur Konjunktur in Russland und Deutschland

Sonstige Konjunkturberichte und -kommentare