Warum Russlands Regionen gegen Kleinkredite vorgehen
Die Zinssätze, die russische Kredithäuser auf Kleinkredite erheben, können getrost als Wucher bezeichnet werden. Bis zu 600 Prozent der Leihsumme werden schon mal fällig. Viele russische Regionen wollen nun hart durchgreifen und Kleinkredite ganz verbieten. Doch es gibt auch Fürsprecher – und viele Russen sind auf die Geldspritzen angewiesen.
Von Maria Karnauch, RBTH
Ihr eigentlicher Vorteil ist auch ihr größtes Problem: Mikrokredite sind sehr einfach zu bekommen, meist ohne eine Sicherheit oder Bürgschaft vorweisen zu müssen. Deswegen greifen vor allem finanzschwache Bürger bei solch lockenden Angeboten schnell zu. Geraten sie aber mit der Rückzahlung in Verzug, müssen sie weitere Kredite aufnehmen, um ihre Schulden zu tilgen. Ein Teufelskreis kommt in Gang.
In der russischen Provinz wurde dieses Schema durchschaut. Jetzt wollen die politisch Verantwortlichen einschreiten. Die Regierung der Oblast Archangelsk etwa will Kleinkredite ganz verbieten, ihre Kollegen aus Tscheljabinsk in Sibirien haben das Gleiche vor.
„In den Regionen wurde die Gefahr der Kleinkredite früher erkannt als in der Hauptstadt. Die lokalen Politiker sind einfach näher an der Bevölkerung dran“, sagt Dmitri Janin, Vorsitzender der Internationalen Allianz der Verbraucherschutzverbände.
Gesellschaftliche Bedeutung
Die russische Notenbankchefin Elwira Nabiullina ist hingegen überzeugt, dass Kleinkredite „ein sozial bedeutsames Segment des Finanzmarkts“ seien. Dies erklärte sie am vergangenen Montag in der Duma. Man dürfe den Markt nicht abwürgen, denn Menschen würden weiterhin Kredite benötigen, um unzureichendes Einkommen auszugleichen. „Diese Bürger geraten dann in die Hände illegaler Kredithaie auf dem Schwarzmarkt, der nicht reguliert ist“, warnt die Zentralbankchefin.
Die russische Regierung bereitet derweil eine Gesetzesänderung vor, um den Höchstzins auf Kleinkredite gesetzlich zu deckeln. Während derzeit in Fällen von mehrfacher Kreditaufnahme kumulierte Zinsen von bis zu 600 Prozent möglich sind, soll der Höchstsatz auf dann 150 Prozent im Jahr beschränkt werden. Diese Maßnahme werde den Markt zerstören, befürchten die Kreditinstitute.
Kleines Geld, große Schulden
Dass Kleinkredite Schuldner in eine Sackgasse führen können, wird auch auf andere Weise deutlich: je höher die Gesamtverschuldung der Bevölkerung, desto größer die Nachfrage nach Kleinkrediten.
Der russische Markt für Kleinkredite sei rasant gewachsen, seit 2013 um das Fünffache, sagt Oleg Lagutkin, Geschäftsführer der Wirtschaftsauskunftei Equifax Russia. Heute seien im Land mehr als 2.400 Kleinkredithäuser registriert, jedes davon habe bis zu 100 Filialen. „Es ist ein landesweit dichtes Netz entstanden, das rund zehn Millionen Russen als Kunden zählt“, bestätigt der Verbraucherschützer Janin.
[accordion open_icon=”comment” closed_icon=”comment”] [toggle title=”Kleinkredite in Russland” open=”yes”]In Russland werden durchschnittlich rund 30 000 Rubel, umgerechnet 460 Euro, als Kleinkredit vergeben. Die Laufzeit beträgt maximal 30 Tage bei einem Prozent Tageszins. Oftmals müssen die Schuldner jedoch weitere Kredite aufnehmen, um ihre alten Kredite zu tilgen. So beträgt die Zinslast oft bis zu 600 Prozent pro Jahr.[/su_spoiler]Manche Russen nehmen Kleinkredite auf, um alte Schulden zu bezahlen. Dann haben sie oft zwei Kredite, die sie nicht bedienen können. Die Anbieter von Kleinkrediten seien gerade in jenen Regionen am stärksten präsent, in denen die Zahl der Privatinsolvenzen am höchsten sei, teilt dazu das russische Wirtschaftsministerium mit. „So geraten Menschen in eine Falle und ihre Lage wird nur noch schlimmer“, erklärt Janin.
Seit Januar dieses Jahres dürfen die Zinsen auf einzelne Kleinkredite in Russland nicht höher sein als 200 Prozent der geliehenen Summe. Der Gesetzgeber plant, den Zins weiter zu deckeln. Den Markt werde dies nicht vernichten, aber eine Bereinigung sei unausweichlich, sagt der Finanzexperte Lagutkin. Das sieht auch der Verbraucherschützer Janin so: „Ein Zins von 150 Prozent bedeutet, dass 80 Prozent der Anbieter vom Markt verschwinden. Deshalb werden sie sich wohl bis zum Schluss gegen die Gesetzesinitiative der Regierung wehren“, erklärt er.
Dieser Artikel ist zuerst bei RBTH erschienen.