Die SPD hat einen 100-%-Parteiführer – damit sticht Martin Schulz sogar die nordkoreanische Kim-Dynastie aus, Großvater, Vater und Enkel. Auch in der verblichenen Sowjetunion gab es immer noch Gegenstimmen. Mit dem Berliner SPD-Wahlergebnis ist endgültig die Postdemokratie angebrochen.
Umso größer dürfen die Würfe sein, die man von dem Neuen an der Spitze, der so unbedingt das Kanzleramt erobern will, erwarten darf. Beispielsweise in der Außenpolitik.
Die leidige Diskussion zum Thema Türkei zeigt vor allem eins: Europa kann über die Zustände auf dieser Welt zwar trefflich lamentieren, weiß auch, was gut, richtig und angemessen wäre, kann aber das Gute, Richtige und Angemessene nicht mehr durchsetzen.
Der eurasische Kontinent ist von politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen geprägt. Es ist eine Mischung aus neuem Selbstbewusstsein, der Anpassung an die Technologien der Gegenwart, dem Streben nach Stabilität und der Besinnung auf alte, eigene Identitäten. Das gilt für die großen eurasischen Länder Russland, China, und Indien, aber auch für alte Kulturen wie den Iran und die Türkei. Die Entwicklung in Polen, Ungarn und anderen osteuropäischen Staaten zeigt, wie tief diese Prozesse nach Europa hineinstrahlen. Streng am demokratischen Erbe des 20. Jahrhunderts halten nur noch Westeuropa, Deutschland und Skandinavien fest.
Wer in der SPD jetzt eine neue Ostpolitik fordert, gibt das falsche Stichwort. Von Süden her unter wachsendem Druck (Islam und Migration), droht Westeuropa in den kommenden Jahrzehnten – bei anhaltender Entfremdung – die politische Isolierung.
Gefordert ist eine neue Eurasienpolitik. Eine Politik, die sich nicht am Ziel einer besseren Welt orientiert, sondern am Streben nach friedfertiger Nachbarschaft in Vielfalt und Verschiedenheit. Die sich löst von den unerfüllten Träumen der Jahre seit dem Kalten Krieg. Die der Realität des 21. Jahrhunderts endlich ins Auge blickt.
Eigentlich die richtige Herausforderung für einen 100-%-Mann.